Wie immer in den letzten 60 Jahren gibt es auch nach dieser Wahl eine Debatte rund um die Föderalismusreform.

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20171114_OTS0085/oesterreich-braucht-mutige-reformen-fuer-einen-modernen-bundesstaat

"Mutig" und "modern" in dieser Presseaussendung klingt natürlich immer super, aber der Teufel steckt wie immer im Detail.

Zu 1.) Es ist völlig rätselhaft, was eine Erhöhung der Zahl der Nationalratsmandate und eine Hinzufügung von Überhangmandaten mit einer Föderalismusreform zu tun haben soll. Hier werden zwei völlig verschiedene Materien (Föderalismusreform und Nationalratswahlordnungsänderung) vermanscht und vermischt, ohne erkennbaren Sinnzusammenhang.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat die dortigen Übermandate als verfassungswidrig aufgehoben, wegen des negativen Zählwerts (wenn eine Partei mehr Stimmen bekommt, kann es durch die damalige Überhangmandatsregelung passieren, dass sie weniger Mandate erhält) und ähnlicher Problematiken.

Noch dazu kurios ist, dass viele Politiker oder Spender von Kleinparteien (Haselsteiner, Schmidt, Stoisits, Sevelda) vermutlich (die Details waren nicht verlinkt) ein Wahlrecht befürworten, das Kleinparteien benachteiligt: Chancen auf die Wahlkreismandate hätten wahrscheinlich nur Großparteien, und durch die Überhangmandate würde der Mandatsanteil und damit der Einfluss der Kleinparteien geschmälert; Stimmanteil und Mandatsanteil würden auseinanderklaffen; speziell Grüne und Neos wären durch eine solche Regelung benachteiligt.

Zu 2.) Demokratie bedeutet Machtbegrenzung. Was hier vorgeschlagen wird, ist eine Machtkonzentration beim Bund und eine Schwächung aller anderer Ebenen. Sowohl Länder als auch Gemeinden verlieren durch diese "Reform" alle Einnahmen und werden völlig abhängig vom Bund, der als einziger die Möglichkeit hat, Steuern einzuheben.

Zu 3.) Die Länder erhalten Verwaltungsaufgaben übertragen, ohne die Kompetenz, sie selbst zu finanzieren. Dadurch entsteht eine Verantwortungsverunklärung und ein "Blame game": wenn irgendwas falsch läuft, wird der Bund sagen, die Länder sich schuld, weil sie schlecht verwalten, hingegen die Länder werden sagen, der Bund ist schuld, weil er zuwenig geld zur Verfügung stellt, oder Ähnliches. Eine wirkliche Bundesstaatsreform muß daher Ausgaben- und Einnahmenkompetenz zusammenführen: Verringerung von Länderkompetenzen (zum Beispiel um das baurecht) sind eine Möglichkeit, aber gleichzeitig müssen die Länder mehr Möglichkeiten haben, durch eigene Steuern ihre Aufgaben und Ausgaben zu finanzieren.

Der ganze Vorschlag ist irgendwie widersinnig und ein Etikettenschwindel: eine de-facto-Abschaffung von Landes- und gemeinde-Autonomie ist keine Bundesstaatsreform, sondern eine Bundesstaatsabschaffung und eine Umwandlung eines Bundesstaats in einen Zentralstaat. Und genau deswegen ist auch eine Volksabstimmung nötig, weil damit der Bundesstaat de facto abgeschafft würde.

Über die Abschaffung einzelner Ebenen, wie zum Beispiel der Bezirksebene, kann man ja diskutieren, aber das ist etwas völlig anderes.

Natürlich ist der österreichische Föderalismus halbherzig un unausgegoren. Das heisst aber noch lange nicht, dass es nur eine einzige Reformrichtung geben kann, nämlich die der Verzentralstaatlichung und Verwienerung.

Auch eine echte Föderalisierung mit einer Zusammenführung von Einnahmen- und Ausgabenkompetenz ist eine ernstzunehmende Option. Länder sollen in ihrem Bereich Gesetze beschliessen können, und autonom Strukturen entwerfen können, allerdings sollen sie diese auch autonom finanzieren müssen durch Steuern.

Dass so wie derzeit Länder die Möglichkeit haben, Geld unter die Leute zu werfen, aber gleichzeitig keine Steuern einheben, sondern mehr geld vom Bund fordern, ist kein Zustand, in dem Möglichkeiten und Verantwortlichkeiten in einem balancierten Verhältnis stehen.

Natürlich befinden sich manche Länder durch Verschuldung in einer Schwächesituation (insbesondere Kärnten, NÖ und Wien), aber diese Schwächesituation auszunutzen, indem man eine geradezu totalitäre Machtkonzentration auf der Bundesebene einführt, könnte eine echte Verschlimmbesserung sein.

http://diepresse.com/home/innenpolitik/5320024/Respektnet-legt-Konzept-fuer-modernen-Bundesstaat-vor

http://oe1.orf.at/player/20171114/494211

https://derstandard.at/2000067777471/Foederalismusreform-Ex-Politiker-legen-neuer-Regierung-grossen-Wurf-vor

(Der Standard hat wenigstens die richtige Überschrift, die die Proponenten scheuen: es geht hier um "Länder-Entmachtung" )

Natürlich hat diese Zentralisierung, die auch eine Verwienerung ist, einen parteipolitischen Drall, und zar hin zur SPÖ (Ederer, Muhm, etc.). Und das gemeinsame Papier weicht durchaus von dem ab, was die einzelnen Proponenten der Initiative vertreten. Nach dem Interview zu schätzen liegt z.B. Paierl nicht auf Initiativen-Linie.

Auch das Argument, als Kompensation für die Abschaffung des Bundesrats sei eine Erhöhung der Anzahl der Nationalratsmandate nötig, ist falsch und wohl ein reiner Marketingschmäh.

Man kann Halbherzigkeit immer in verschiedene Richtungen korrigieren; und Entflechtung von Bund-Länder-Kompetenz-Wirrwarr kann man sowohl durch (implizite) Länderabschaffung als auch durch Zusamenführung von Ausgaben- und Einnahmenkompetenz bei Ländern beseitigen.

Auch das Argument, grenzüberschreitende Konzerne hätten Probleme mit verschiedenen Landesregelungen, sollte nicht allgemein auf alle Materien übertragen werden: Baukonzerne mögen grenzüberschreitend tätig sein, Kinder sind es z.B. nicht, daher kann für Mindestalter für das Recht, Alkohol zu kaufen, Anderes gelten als für Baukonzerne.

D.h. man kann mit viel Plausibilität für Verbundlichung von Baurechten sein, aber gegen Verbundlichung von Kindesschtuz, Schulagenden, etc.

In Wiener Fussgängerzonen darf man nicht Schritttemporadfahren, in Grazer Fuzos schon. Das kann zu kleinen Problemen führen, aber man sollte die Vorteile des Föderalismus nicht mit diesem Argument vertuschen.

Föderalismus bedeutet demokratische Machtdekonzentration, ist eine vertikale Gewaltenteilung. Föderalismus ermöglicht Vergleiche zwischen verschiedenen Modellen, und der Standortwettbewerb dient auch dazu, Korruption und Ineffizienzen zu verringern.

Natürlich sollte Standortwettbewerb nicht beliebig weit gehen dürfen, zum Beispiel hin zu Nullsteuern. Aber der Bund könnte zum Beispiel Steuergrenzen nach oben und unten vorgeben; und innerhalb dieser vom Bund vorgegebenen Bandbreite können Länder autonom entscheiden.

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