Frauen, die straflos töten, „männerhassende“ Justiz und Medien, männliche Selbstjustiz

Zwei Urteile, die am Wiener Straflandesgericht in der letzten Zeit gesprochen wurden, sorgten für Kopfschütteln unter Experten und für aus Ahnungslosigkeit resultierendes Achselzucken unter Nicht-Experten:

Erstens die Fast-Freispruch der „Tot-Würge-Domina“ P.F. (sie erhielt Null Monate unbedingte Haft plus zwei Jahre bedingte Haft für schwere Körperverletzung mit Todesfolge eines Kunden bei wie auch immer gearteten „Würge-Spielen“).

Zweitens der Fast-Freispruch für die Mutter von L., die ebenfalls Null Monate unbedingte Haft plus einer bedingten Haftstrafe erhielt für unterlassene Hilfeleistung mit Todesfolge. Sie hatte ihren Ehemann gewähren lassen, der das gemeinsame Kind „strafweise“ heiß verbrühte, woran es in weiterer Folge im Spital verstarb.

Beide Urteile haben gemeinsam, dass Frauen Null Monate unbedingte Haft für Delikte in Zusammenhang mit Todesfolge erhielten.

Ich kann mich nicht erinnern, dass es vergleichbare Urteile im geschlechterverdrehten Fall gibt: z.B. wenn ein Mann seine „Gespielin“ bei Würgespielen erwürgt – egal, wie absichtlich oder auch nicht – dann hat er meiner Erinnerung nach nie weniger dafür erhalten als zwei Jahre unbedingte Haft, egal, wie unbescholten er vorher war und wie viele mildernde Umstände auch zu seinen Gunsten geltend gemacht wurden.

Beim Totwürge-Domina-Fall kommt hinzu, dass sie möglicherweise klassische Mordmotive hatte: sie war erstens in der Vergangenheit von Männern geschlagen und schlecht behandelt worden, was zu Hass auf alle Männer führen kann, aber nicht muss. Und sie war zweitens in Internetforen oder Ähnlichem vom Getöteten kritisiert bzw. geshitstormed worden, sie würde keinen ordentlichen Job machen, trotz guter Bezahlung. Die Tötung kann so gesehen auch absichtlicher Mord gewesen sein, um einen Kritiker zum Schweigen zu bringen. Ich persönlich war bei Prozess nicht dabei, aber wenn ich gewusst hätte, dass so ein Urteil herauskommt, dann hätte ich mich möglicherweise bemüht, teilzunehmen, um mir selbst ein Bild zu machen.

Wieso das Gericht (ein Schöffengericht: ein bis zwei Berufsrichter plus zwei nicht-berufliche Richter) dennoch außerordentliche Milde gelten ließ, ist mir persönlich ein Rätsel.

Vielleicht haben ihr Sex-Appeal und ihre bei Gericht gezeigte Reue bzw. Reue-Show ihre Wirkung gezeigt. Allerdings machte sie in den ersten Interviews nach Rechtskraft des Urteils (die Staatsanwaltschaft legte kurioserweise keine Berufung ein) alles andere als einen reuigen Eindruck, sodass die Behauptung des deutschen Polizeigewerkschafters Rainer Wendt in seinem Buch „Deutschland in Gefahr“ plausibel ist, dass Gerichte nur allzu oft auf gespielte, aber nicht ernst gemeinte „Reue“ hereinfallen und zu milde bzw. viel zu milde Fehlurteile fällen. Es stellt sich die Frage, ob die Wahrscheinlichkeit, durch Angeklagte getäuscht zu werden, die die Reue nur schauspielern, aber nicht wirklich meinen, bei Laienrichtern (Geschworenen oder Schöffen) höher ist als bei Berufsrichtern.

Die Behauptung des Gerichts, das Nachtatverhalten der Totwürge-Domina beweise, dass sie kein völlig schlechter Mensch sei (oder so ähnlich), ist zwar vertretbar, trotzdem wahrscheinlich unzureichend für ein Urteil von Null Monaten unbedingt. Sie hatte den Raum mit dem Kunden in durch sie gewürgtem und gefesselten Zustand verlassen, so wie mit dem Kunden „vereinbart“, war aber später zurückgekehrt.

Laut Aussage bzw. Prozessberichterstattung hatte sie keine Ahnung, dass Vereinbarungen, die auf schwere Körperverletzung hinauslaufen, sittenwidrig und rechtsungültig sind, was aus meiner Sicht schwer vorstellbar ist. Wenn eine Frau behauptet, nach fünf Jahren Tätigkeit als Domina nicht zu wissen, dass Vereinbarungen, die auf schwere Körperverletzung (hier noch dazu mit Todesfolge) hinauslaufen, sittenwidrig und rechtsungültig sind, dann liegt nahe, dass sie entweder strohdumm oder eine faustdicke Lügnerin ist. Kein einziger ihrer Kunden, ihrer Kolleginnen oder ihrer Bekannten soll sie informiert haben, dass derartige Vereinbarung rechtsungültig sind ? Sie will niemals etwas gelesen haben in Zusammenhang mit ihrem Beruf, was berufliche Pflichten und Risken betrifft ? Es gibt haufenweise Literatur sowohl im Internet als auch in Buchform, das darauf hinweist, dass zumindest diejenigen BDSM-Vereinbarungen, die auf schwere Körperverletzung hinauslaufen, rechtsungültig sind. Und sie will davon nie erfahren haben ? Nie in den vielen Jahren als Domina hatte sie Zweifel oder Skrupel in moralischer oder gesetzlicher Hinsicht, die dazu führten, dass sie nachforschte ? Sie will sich nie in all den Jahren zwei ganz wichtige Fragen gestellt haben: erstens „Ist das im Grenzbereich (z.B. Würgespiele) überhaupt noch anständig, was ich tue ?“ und zweitens „Ist das überhaupt gesetzlich erlaubt ?“ Was die teilweise sehr mangelhafte Prozessberichterstattung, vielleicht sogar der Prozess als solcher auch aus meiner Sicht offenließ, ist die Frage, von wem die Initiative zu der unterschriebenen Erklärung ausging, in der der Kunde alle Verantwortung auf sich nahm. Hat er das aus Eigeninitiative angeboten („Ich gebe Dir eine Erklärung, in der ich die volle Verantwortung übernehme“) oder hat sie das als Bedingung für riskante Würgespiele gefordert („Ich mache das nur, wenn Du eine Erklärung unterschreibst, in der Du alle Verantwortung auf Dich nimmst.“). Im letzter Fall würde sich auch die Frage einer Art Notgeilheit stellen: hat der Mann nur wegen der Bedingung der Domina unterschrieben, hätte aber ohne Bedingung nicht ? Auf jeden Fall sind zahlreiche derartige Vereinbarung in der BDSM-Szene rechtsungültig, und die allermeisten Beteiligten wissen das auch, sodass die Einwilligung sehr oft gar nicht ernst gemeint ist, sondern nur innerhalb des „Spiels“ Bedeutung hat, so nach dem Motto: „Ich erlaube Dir, mich zu töten, aber nur wegen des momentanen Kicks, obwohl ich weiß, dass eine derartige Einwilligung sowieso rechtsungültig ist.“ Gemäß der österreichischen Rechtslage bzw. Judikatur gilt nur die Einwilligung in schwere Körperverletzung als sittenwidrig und rechtsungültig, die in leichte Körperverletzung aber nicht. Was im Fall von P.F. dazukommt: sie hatte mit „Atemkontrolle“ im Internet geworben, sodass ein Normalkunde davon ausgehen konnte, es mit einer erfahrenen Domina zu tun zu haben, die die Grenzen genau kennt.

Die Prozessberichterstattung läuft darauf hinaus, es habe sich um einen Unfall gehandelt, und die „Tot-Würge-Domina“ habe als Friseuse ohne Universitätsdiplom in Medizin gar nicht gewusst, dass Würgen zum Tode führen kann; sie habe gar nicht geahnt, dass der Kunde sich auf ein „Würgespiel“ einlassen könnte, das mit seinem Tode endet. Auch diese Aussage ist ziemlich unglaubwürdig. Zumindest leicht selbstmörderische Tendenzen sind in der BDSM-Szene relativ verbreitet, und auch davon will die „Tot-Würge-Domina“ P.F., die keine unbedingte Haftstrafe, sondern außerordentliche Milde erhielt, nichts gewusst haben trotz jahrelanger Tätigkeit als Domina ? In den vielen Jahren ihrer Tätigkeit als Domina soll kein einziges Mal einer ihrer Kunden Selbstmordgedanken oder irgendetwas in diese Richtung geäußert haben ? Das erschiene mir unwahrscheinlich. Gerade die in der BDSM-Szene verbreitete schwarze Kleidung, die laut dem Dramatiker Tschechow ein Anzeichen dafür sei, dass jemand sein Leben betrauere (so als sei er schon gestorben oder gedenke, dies bald zu tun), bestätigt die hohe Häufigkeit von Selbstmordgedanken in der BDSM-Szene. Auch Richard Krafft-Ebing, Autors der „Psychopathia sexualis“ aus dem 19. Jahrhundert, das einerseits einen problematischen Titel hat, andererseits namensgebend für Sadismus und Masochismus wurde (De Sade und Sacher-Masoch entstammen übrigens beide katholisch geprägten Ländern), sprach im Vorwort - allerdings erst ab der neunten Auflage, was auch belegt, dass er sich langsam und schrittweise auf neues Terrain vorwagte - vom „großen Unglück“ der Betroffenen, was auch mit hoher Selbstmordrate einherging. Die gesellschaftliche Stigmatisierung spielt da oft noch mit.

Im Anschluss an die Prozessberichte erweckten zahlreiche Internet-Poster die These, die Bestätigung beweise, dass es sich um einen absichtlichen Selbstmord gehandelt habe, was so nicht stimmt. Würgespiele und der damit verbundene Sauerstoffmangel können einen berauschenden Effekt haben; für manche besteht der besondere Kick bei Würgespielen im Aufatmen nach der Beendigung des Würgens.

Vielleicht ist die Frau wirklich (obwohl sie in manchen Interviews einen recht intelligenten Eindruck machte) der verkörperte Blondinenwitz, strohdumm, attraktiv und blond.

Ein schwaches Indiz für ihre an sich schon ziemlich absurde Behauptung, sie habe nichts davon geahnt, dass das Zurücklassen in gewürgtem Zustand zum Tode führen kann (und tatsächlich auch führte), war, dass sie nur die üblichen 100 Euro verlangte, weder verlangte aus Mitleid mit dem möglichen Selbstmörder (bzw. seinen Hinterbliebenen) gar nichts noch verlangte sie zur Abdeckung des Risikos einer jahrelangen unbedingten Haftstrafe, die in diesem Fall bestand, z.B. 20.000 Euro. (aber dabei, dass sie nur die üblichen 100 Euro verlangte, kann es sich auch um besondere Chuzpe / Unverfrorenheit handeln).

Laut ihrer Aussage bzw. den diesbezüglichen Medienberichten war sie eine reine Geld-Domina gewesen, also eine Frau, die aus rein finanziellen Motiven als Domina tätig war, ohne innere Neigung, Männer zu quälen. Das ist zweifelhaft aufgrund ihrer Vorgeschichte, aber möglich. (Ohne genaue Prozessbeobachtung kann ich dazu nichts sagen).

Es gibt keine Medienberichte, die besagen, P.F. habe die 100 Euro zurückgegeben, z.B. an Erbberechtigte des Hinterbliebenen. Dies würde gegen die im Prozess geäußerte Reue sprechen, sondern u.U. eher dafür, dass sie eben diese 100 Euro als Lohn für vereinbarungsgemäße Tötung betrachtet oder überhaupt so, dass Männer ihr aus der Vergangenheit einen Haufen Geld schulden, die sie sich so teilweise zurückgeholt habe.

Laut Berichten internationaler Domina-Testern gibt es in Wien besonders viele reine Geld-Dominas, die von den meisten Bottom-Männern nicht sehr geschätzt werden, die lieber zu Neigungs-Dominas gehen. (Aber in der Not frisst der Teufel Fliegen, wie der Volksmund sagt)

Auf jeden Fall besteht wegen des Falles der „Tot-Würge-Domina“ aus meiner Sicht in zwei Aspekten Handlungsbedarf: erstens (wie z.B. auch von Rainer Wendt vorgeschlagen) muss eine wirkliche Mindeststrafe an unbedingter Haft bei Tötungsdelikten dieser Art eingeführt werden (selbst wenn´s nur ein halbes Jahr sein sollte), die auch durch die „außerordentliche Milde“, wie im Strafgesetzbuch vorgesehen, nicht umgehbar ist.

Und was im Fall P.F. u.U. argumentierbar wäre, wäre die BDSM-Szene als mildernder Umstand für Meineid vor Gericht (zahlreiche ihrer Aussagen, z.B. sie habe den Tod nicht ahnen können, sind unglaubwürdig und möglicherweise gelogen). Andererseits ist sie vielleicht tatsächlich außerordentlich blöd, sodass das einen außerordentlichen Milderungsumstand darstellt . Allerdings ist es äußerst fraglich, ob man eine Frau, die aus Versehen tötet, ohne weiteres (z.B. auch ohne Schulung) auf die Menschheit loslassen soll. Falls außerordentliche Blödheit der Grund sein sollte für die außerordentliche Milde, die das Gericht gelten ließ, so besteht ja Wiederholungsgefahr – anders als vom Gericht behauptet - doch, allerdings nicht im BDSM-Bereich, sondern in anderen, weil sie laut eigenen Angaben die Prostitution aufgeben will. Für die Blödheits-These spricht im Falle von P.F. u.U. auch die Tatsache, dass sie keine moralischen Skrupel zu haben scheint, und aus ihrem Fall keinerlei Konsequenzen für die Allgemeinheit zu fordern scheint. Sie setzt sich nicht ein für eine gesetzliche Neuregelung der Domina-Branche, sie ist sich scheinbar nicht der Tatsache bewusst, dass ihr Tötungs-Fall einen Geschäfts-Rückgang in der österreichischen Domina-Szene zur Folge haben dürfte, der auch zahlreichen ihren Berufskolleginnen finanziell schwer schadet, weil zahlreiche Kunden wegen der Gefahr, aus Versehen oder auch nicht getötet zu werden, ausbleiben werden. Die anderen Dominas, die wegen P.F. finanziell geschädigt wurden, werden sich natürlich nicht beschweren, weil die BDSM-Szene eine Untergrundszene ist, die die Öffentlichkeit scheut (siehe oben). Ich frage mich ja, wie die Klagschancen wären, wenn Berufskolleginnen von P.F., also andere Dominas, P.F. wegen Geschäftsentgang auf Schadenersatz klagen würden, weil die Tatsache, dass P.F. einen Kunden getötet hat, zahlreiche potenzielle Domina-Kunden davon abgehalten hat bzw. abhalten wird, zu einer Domina zu gehen. P.F. käme wahrscheinlich lebenslang nicht mehr aus der Verschuldung heraus, und ihre Chancen, einen Ehemann zu finden (was laut eigener Aussage ihr Ziel ist), wären dadurch erheblich gesenkt. Dass P.F. soviel Frauensolidarität erhält (z.B. von der teilweise sexistischen und frauenfreundlichen Zeitschrift „Woman“ durch einseitige und verzerrte Berichterstattung), aber offensichtlich sowenig Frauensolidarität zeigt (kein schlechtes Gewissen wegen Schädigung anderer Dominas), gehört zu den Widersprüchen und Absurditäten dieses Falls.

Das Richter-Schöffen-Gremium, das P.F. trotz Tötung praktisch freisprach, sowie die Staatsanwaltschaft, die wider Erwarten keine Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil einlegte, besteht möglicherweise aus katholischen Fundamentalisten. Laut katholischem Fundamentalismus und katholischer Sexualmoral sind deviante (abweichende) Geschlechtstriebe und –orientierungen zwar im Prinzip erlaubt, aber ihr Ausleben und Praktizieren nicht. Und dieses Urteil, das Angst und Schrecken in der Domina-Kunden-Szene verbreitet, ebenso wie der Kunde von P.F. praktisch straflos von der Domina getötet werden zu können, führt dazu, dass zahlreiche potenzielle Domina-Kunden das tun, was der katholischen Sexuallehre in Bezug auf Devianz entspricht: sie haben den Wunsch, sich von einer Frau quälen zu lassen, trauen sich aber wegen der Angst, straflos getötet zu werden nicht, ihn auszuleben. Und wegen der quasi-diktatorischen Angst, die dieses Urteil in der Domina-Kunden-Szene verbreitet (nämlich straflos getötet werden zu können), ist es auch alles andere als „außerordentlich mild“: es ist mild zu einer einzigen Domina, aber gleichsam grausam zu zahlreichen anderen Dominas und zu zahlreichen potenziellen Domina-Kunden. Dazu würde auch ein Interview mit Kardinal Schönborn im Standard vom 25.2.2017 passen, in dem Schönborn zugibt, ein ziemlich unerträglicher Tugendbold gewesen zu sein. Ob er seine Beziehungen und seine Machtposition dazu verwendete, im Fall P.F. zu intervenieren, bleibt offen.

Im Unterschied zum generalpräventiven (allgemein abschreckenden) Effekt, den Urteile haben sollten, hat dieses extrem milde Urteil eher einen allgemein ermunternden Effekt: normalerweise halten strenge Urteile ähnlich denkende Leute ab, vergleichbare Taten zu begehen. Aber dieses Urteil ist so extrem mild, dass der eigentlich unmöglich scheinende und absolut zu vermeidende umgekehrte Effekt auftritt, bzw. auftreten könnte, für den es in der Rechtswissenschaft gar keinen Begriff gibt; man könnte von Generalinzision oder ähnlichem sprechen als dem Gegenteil von Generalprävention. Wenn alle Dominas damit rechnen können, straflos Kunden wegen Kleinigkeiten töten zu können und dafür genauso wie P.F. außerordentliche Milde (d.h. Null Monate unbedingte Haft) zu bekommen, dann könnten zahlreiche vergleichbare Tötungen die Folge sein.

Und zweitens braucht es wohl einen staatlichen Domina-Führerschein, eine staatliche Domina-Prüfung oder etwas Ähnliches. Nachdem sowohl Arbeiterkammer als auch Wirtschaftskammer die „heisse Kartoffel“ der Domina-Frage sich gegenseitig zuschieben (die Arbeiterkammer erklärt sich unzuständig, weil Dominas Ein-Personen-Unternehmen seien, die Wirtschaftskammer erklärt sich unzuständig, weil Dominas Scheinselbständige seien, die in kurzfristigen Arbeitnehmerverträgen mit ihren jeweiligen Kunden „arbeiten“) und weil alle BDSM-Fragen sehr tabuisiert sind, herrscht hier ein Regelungsdefizit.

Was auch auffällt: die BDSM-Szene (Bondage-Dominanz-Submission-Sadismus-Masochismus) ist überhaupt eine Untergrundszene, auch wenn es Anzeichen für eine „Ent-Untergrundisierung“ gibt, z.B. durch sinkende Verschleierung bei Demos. Und dieser Untergrundszenenaspekt ist einer der Gründe dafür, warum Gerichte (vielleicht insbesondere Schöffen und Geschworene) keine oder geringe Ahnung davon, was in dieser Untergrundszene wirklich los ist, und daher Motive und Handlungen völlig falsch einschätzen und zu absurden Fehlurteilen kommen.

Eine staatliche Domina-Lizenz mit Kursen und Prüfungen würde Fälle verhindern, in denen Dominas behaupten, sie hätten nicht gewusst, dass Vereinbarungen, die schwere Körperverletzungen beinhalten, rechtsungültig sind. Auch die Aufklärung über Risken (z.B. Haftstrafen) kann hier erfolgen.

In stärker selbst-justiz-geprägten Kulturen wie zum Beispiel der US-Kultur oder der Balkan-Kultur würden extrem milde Urteile gegenüber Frauen wie im Fall P.F. wahrscheinlich gelegentlich durch männliche Selbstjustiz bis hin zum Rachemord „korrigiert“ werden. Österreich ist sowohl von der US-Unterhaltungsindustrie (z.B. Hollywood) als auch von der Balkan-Nähe und Balkan-Migration stark geprägt. Was österreichische Gerichte hier machen, hat eine Wahrscheinlichkeit, (männliche) Selbstjustiz zu provozieren, was nicht der Sinn eines Rechtssystems ist. Ganz im Gegenteil kann man es als Sinn eines staatlichen Rechtssystems betrachten, Selbstjustiz zu verhindern, bzw. realpolitisch, sich dem Selbstjustizempfinden der Bevölkerung (vielleicht insbesondere der männlichen Bevölkerung) soweit anzunähern, dass Selbstjustiz unterbleibt. Der Vorteil dieses staatlichen Annäherungsprozesses an private Rache-Vorstellungen besteht dabei in den besseren rechtsstaatlichen Standards und in der höheren Transparenz und ihren Folgen. Bei aller Problematik (mangelhafte Kenntnisse des Rechtssystems bei Laien) bleibt genau das eines der Argumente für Laiengerichtsbarkeit bzw. Schöffengerichtsbarkeit: Richter und Richterinnen gehören zu einer – überspitzt gesagt elitär-abgehobenen - gesellschaftlichen Oberschicht und haben oft mangelhaftes Empfinden für die Straf- und Rache-Gedanken der Unterschicht. Die Bewertungsunterschiede in Sachen Gewalt versus finanziellem Schaden sind ein weiterer großer Unterschied zwischen Ober- und Unterschicht: in der finanziell gut situierten Oberschicht gilt Gewalt/ Körperverletzung als das absolute Übel, weil genügend Vermögen da ist und man leicht auf materielle Dinge verzichten kann, während in der Unterschicht materielle Verluste einen viel höheren Stellenwert haben und Gewalt/Körperverletzung im Vergleich dazu eher akzeptiert wird. Und eben weil Juristinnen und Juristen Oberschichtangehörige sind, habe zahlreiche Rechtssysteme einen Bias / eine Voreingenommenheit zugunsten der Oberschicht und zuungunsten der Unterschicht, der oft zusammen mit den hohen Rechtsanwaltskosten zu Selbstjustiz in der Unterschicht führt.

Resümee: auch wenn man den Untergrundaspekt der BDSM-Szene als mildernden Umstand für ein Fehlurteil in Rechnung stellt, so ist das Urteil (keine unbedingte Haft bei schwerer Körperverletzung mit zumindest fahrlässiger, vielleicht sogar absichtlicher Todesfolge) im Fall P.F. möglicherweise eines der krassesten Fehlurteile in der österreichischen Rechtsgeschichte. Selbst falls der Kunde den Tod gewollt haben sollte, was keineswegs sicher ist, so bleiben klassische Mordmotive (Rache für die Kritik im Internet) möglicherweise bestehen.

Und Fehlurteil ist es auch in folgender Hinsicht: derartige Strafmilderungen (insbesondere die außerordentliche) dürfen nur erfolgen, wenn keine Wiederholungsgefahr besteht. Aber gerade dieser Fall macht P.F. interessant und anziehend für Sadomasochisten mit selbstmörderischer Neigung, sodass eben eine gewisse Wiederholungsgefahr besteht.

Und jetzt zum zweiten Fall: Null Monate unbedingte Haft für eine Mutter wegen unterlassener Hilfeleistung mit Todesfolge (bei dem/der Getöteten handelt es sich um das gemeinsame Kind, das vom Vater durch eine übertriebene Bestrafungsaktion zu Tode gebracht wurde).

Was auffällt in diesem Fall, ist dass das ursprüngliche Urteil, das eine (im Vergleich zum Vater geringe) unbedingte Haftstrafe für die Mutter vorsah, umgestoßen wurde, und wie im Fall der „Tot-Würge-Domina“ P.F. in eine rein bedingte Haftstrafe umgewandelt wurde. Das Ersturteil fand ich vertretbar, das „revidierte“ Urteil nicht, insbesondere wegen der absurden Begründung, es habe sich beim Getöteten um das eigene Kind gehandelt. Mit genau demselben Argument hätte man, weil es das gemeinsame Kind Beider war, auch das Strafmaß für den Vater im selben Umfang reduzieren müssen. Das Zweiturteil argumentiert mit einer möglicherweise sexistischen, möglicherweise anti-sadistischen Doppelmoral, die von Medien und Kommentatoren unbemerkt blieb.

Ebenfalls möglich und viel besser wäre gewesen, eine gleichartige Strafsenkung um ein halbes Jahr (in diesem Fall dann von fünf Jahren auf viereinhalb Jahre) von der Bedingung abhängig zu machen, dass der Vater eine Prüfung in Sachen Kinderpsychologie bzw. Kinderdidaktik besteht.

Und diese Doppelmoral ist bei weitem nicht das letzte Problem: in ähnlichen Fällen (beispielsweise wenn die Ehefrau das gemeinsame Auto zu Schrott fährt) neigen viele Ehemänner zu einer strafweisen innerehelichen Vergewaltigung, die von den meisten Frauen nicht zur Anzeige gebracht wird. Auch diese Urteilsrevision, in der die Haftstrafe für die Mutter reduziert wurde, weil es sich um das gemeinsame Kind handelte, die Haftstrafe für den Vater aber nicht, obwohl es sich um das gemeinsame Kind handelte, kann zu innerehelichen Spannungen und zu männlich-väterlicher Selbstjustiz in Form einer innerehelichen Vergewaltigung führen. Ich kann mich nicht erinnern, jemals vorher ein Urteil gesehen zu haben, das eine unangezeigte innereheliche Vergewaltigung u.U. provoziert. Auch hier kann von „außerordentlicher Milde“ nicht unbedingt die Rede sein.

Gerichtliche „Außerordentliche Milde“ gegenüber Frauen bei gleichzeitiger Härte und Strenge gegenüber Männern wird oft durch männliche Selbstjustiz korrigiert, und das kann inneheliche Prügel oder innereheliche Vergewaltigung bedeuten.

Sadistenmalus kann durchaus problematisch sein: ich schätze, dass ein Gesetz, das 30 Euro Strafe bei Falschparken durch Nicht-Sadisten, hingegen 200 Strafe bei Falschparken durch Sadisten vorsieht, beim Verfassungsgerichtshof wegen nicht-sachgemäßer Diskriminierung gekippt werden könnte. Eine Strafmilderungssituation wegen Tötung des eigenen Kindes, die die nicht-sadistische Mutter erhält, aber der sadistische Vater nicht, erscheint so gesehen problematisch. Mag sein, dass die Prozessberichterstattung fehlerhaft war, und das Urteil ganz anders, als berichtet.

Noch ein zur Klarstellung: bedingte Haftstrafe heißt überhaupt keine Haftstrafe, wenn der Täter (bzw. die Täterin, das StGB spricht übrigens immer nur von „der Täter“, nie von „die Täterin“, so als ob Frauen nie Täterinnen wären, was möglichweise ein Faktor in Zusammenhang mit der sexistischen Justiz ist. Der überwiegende Anteil der Frauen im Richteramt, bzw. bei Richtern höhere Frauenanteil als bei Rechtsanwälten ist ein weiterer Aspekt) in Zukunft kein Verbrechen mehr begeht. Sollte er allerdings ein zweites Verbrechen begehen, dann lebt die vorher bedeutungslose bedingte Haftstrafe wieder auf und wird zur Strafe des zweiten Urteils dazugerechnet.

Aus neo-malthusianischer Sicht kann es sogar u.U. positive Aspekte haben, das eigene Kind zu töten. Die Überbevölkerung der Welt wird damit reduziert, ebenso die Umweltverschmutzung. Die Ein-Kind-Politik Chinas oder der massive Femizid in Indien (Abtreibung weiblicher Embryonen) sind Methoden zur Begrenzung der Bevölkerung (mit durchaus beträchtlichen Nebenwirkungen), im Falle Chinas mehr diktatorisch bzw. autoritär, im Falle Indiens eher demokratisch / liberal.

Diese beiden Fälle (keine unbedingte Haftstrafen für Frauen in Zusammenhang mit Tötungsdelikten) erinnern mich an Jörg Kachelmanns These, Frauen hätten in unserer Gesellschaft eine Art „Opfer-Abonnement“. Frauen können scheinbar bei uns straflos töten oder Hilfeleistung bei Tötung unterlassen, was Männer nicht können.

Mit dem Grundsatz, dass vor dem Gesetz alle gleich seien, und dass Vorrechte des Geschlechts ausgeschlossen seien, wie der der Bundes-Verfassung vorgesehen, hat das natürlich nicht viel zu tun. Dennoch ist leicht sexistische (frauenbevorzugende) Justiz möglicherweise immer noch das geringere Übel im Vergleich zum sexistischem (frauenbevorzugenden) Journalismus, wo z.B. in Sachen Gina-Lisa Lohfink eine durchaus dubiose Gestalt, die dem Medienrummel offensichtlich aus PR-Gründen, aber ohne viel juristische Substanz betrieb, zur Heldin, mit der man sich ohne Faktenkenntnis solidarisieren müsse, stilisiert wurde. Angebliche Qualitätsmedien stellen das Urteil zwar nicht im individuellen Zusammenhang infrage, aber lehnen es ab, weil es Hohn für andere Vergewaltigungsopfer bedeute.

Zum Fall Jörg Kachelmann: gegen Jörg Kachelmann waren Vergewaltigungsvorwürfe erheben worden, in deren Folge er seinen Beruf als Wettersprecher bei einem Fernsehsender verlor. Die Anwaltskosten und Prozesskosten waren eine weitere Folge. Er wurde in einem strafrechtlichen Prozess freigesprochen, aber es war kein Freispruch wegen bewiesener Unschuld, sondern ein Freispruch im Zweifel (ich bevorzuge die Formulierung „Freispruch im Zweifel“ gegenüber „Freispruch aus Mangel an Beweisen“, weil „Mangel an Beweisen“ so verstanden werden kann, als stünde die Schuld fest, nur seien die Beweise halt mangelhaft, so ähnlich dem Fall Al Capone, dem auch kein Mord nachgewiesen werden konnte, der aber ziemlich ohne Zweifel an zumindest einem der Mordfälle beteiligt gewesen sein dürfte).

Jörg Kachelmann bzw. seine Ehefrau sprachen in weiterer Folge davon, in unserer Gesellschaft gebe es ein „Opfer-Abonnement der Frauen“, dem eine Art „Täter-Generalverdacht gegenüber Männern“ gegenüberstehe. Dazu würden die frauenfreundlichen bzw. männerfeindlichen Urteile in Österreich, die von den Medien nicht kritisiert wurden (Journalismus und Richterschaft haben einen vergleichsweise hohen Frauenanteil !). Auch das österreichische Strafgesetzbuch ist nicht gegendert und so gesehen sexistisch, d.h. es spricht immer nur von „der Täter“, aber verwendet keine geschlechtsneutralen Formulierungen wie „der Täter bzw. die Täterin“ oder „das Tatsubjekt“. Diese Formulierung kann so verstanden werden, als seien automatisch immer nur Männer die Täter, aber Frauen nie. Ähnliches gilt für das ABGB, das auch sexistische Passagen enthält.

Zu Vergewaltigungsvorwürfen generell: Vergewaltigungsvorwürfe werden oft als Retourkutsche für irgendetwas anderes erhoben. Vielleicht hat Kachelmann seiner außerehelichen Geliebten versprochen, er würde seine Ehefrau verlassen und seine Geliebte heiraten, oder dies zumindest nahegelegt, um seine Geliebte ins Bett zu bekommen, aber nachdem er keine Anstalten machte, seine Ehefrau tatsächlich zu verlassen, sondern dieses dauernde und jahrelange Offenlassen der Scheidungsmöglichkeit konsequent dazu verwendete, Sex mit seiner Geliebten haben zu können, griff seine Geliebte zu den unrichtigen Vergewaltigungsvorwürfen als „Rache“ für etwas ganz anderes.

(Merke: dies ist nur eine Theorie)

Das führt uns aber wieder zum Fall Gina Lisa Lohfink. Laut eigener Aussage, die die verschiedensten Berliner Gerichte (sowohl strafrechtlich als auch schadenersatzrechtlich), wurde Gina-Lisa Lohfink von ihrem Ex-Geliebten bei einem späteren Rendez-vous vergewaltigt. Allerdings handelte es sich um keinen Unbekannten, sondern um ihren Ex-Geliebten. Oft ist es so, dass Männer, die eine Neigung zu gewalttätigem Sex haben, diese mehr oder weniger konstant haben, also beispielsweise seit dem 15. Lebensjahr. Dass der Ex-Geliebte von Lohfink sie vorher nie vergewaltigt hat, aber danach bei einem einmaligen Wiedersehen schon, erscheint so gesehen unwahrscheinlich. Auch nicht unplausibel ist die These, das „Nein!“ und „Hör auf!“ Lohfinks habe dem Filmen gegolten, aber nicht dem Sex.

Vielleicht war´s auch andersrum: Lohfink wusste über die Neigung ihres Ex-Geliebten zu gewalttätigem Sex bescheid. Und sie ließ sich trotz des Risikos der Vergewaltigung auf ein Wiedersehen ein. Mit anderen Worten: vielleicht hat sie vorher gewusst, dass sie vergewaltigt werden wird, und hat die Tatsache, dass das sogar filmisch festgehalten wurde, als Chance betrachtet, Rache an ihrem Ex-Geliebten zu nehmen, vielleicht sogar für frühere Vergewaltigungen, die sie damals, als sie noch auf ihn als Regisseur und Filmer angewiesen war, erduldete und die den Grundbaustein ihrer Karriere bildeten. Gerade bei Pornostars, Nacktmodels, Prostituierten und ähnlichen Frauen stellt sich die Frage, ob Vergewaltigung zum mehr oder weniger normalen Berufsrisiko gehört, bzw. ob Vergewaltigungsvorwürfe zum mehr oder weniger normalen Berufsrisiko ihrer Fotografen und Regisseure gehören.

Diese Fälle ähneln alle einem weiteren Fall, der international noch viel mehr Aufsehen erregte: die berühmt-berüchtigte Butter-Szene in Bernardo Bertolucci´s Film „Der letzte Tango aus Paris“ aus den 1970er Jahren, als Marlon Brando Maria Schneider vor laufender Kamera vergewaltigte bzw. „vergewaltigte“. Die Szene heißt Butter-Szene, weil Marlon Brando Maria Schneiders Anus mit Butter einschmierte, sodass die anale Vergewaltigung für beide weniger unangenehm wurde.

Allerdings ist die Sache nicht so eindeutig, wie es den ersten Blick den Eindruck hat (bis heute gibt es immer wieder Schauspielerinnen, die die Sache skandalisieren, und neue Twitter-Wellen der Empörung hervorrufen; so gesehen kann von Verjährung gar keine Rede sein).

Die Position von Maria Schneider war, dass die Vergewaltigung nicht im Drehbuch stand, und dass es sich so gesehen um eine Vergewaltigung und um uneinvernehmlichen Sex handelte.

Allerdings gibt es auch Argumente, die dagegen sprechen: Marlon Brando hatte in der Schauspieler-Szene den Ruf als Regelbrecher und als „wilder Hund“. Er hatte immer wieder in seiner Karriere dem Drehbuch zuwider gehandelt, was sehr interessante Szenen zufolge hatte, wie beispielsweise in der Handschuh-Szene in Elia Kazan´s „On the Waterfront“ aus den 1950er Jahren (hier spielt Brando einen Aussteiger aus einer Art Gewerkschafts-Mafia). Damals war Eva-Maria Saint seine Filmpartnerin gewesen, und obwohl die Szene völlig anders war, hatte sie Gemeinsamkeiten mit der Butter-Szene: sie war gegen die Hollywood-Film-Logik, sie stand so nicht im Drehbuch, und sie hinterließ eine überraschte und irritierte Filmpartnerin in einer Szene ohne Schauspielerei; sowohl Eva Maria Saint als auch Maria Schneider waren Debütantinnen gewesen.

Ich halte es für möglich, dass zahlreiche ältere und erfahrenere Schauspielerinnen die weibliche Hauptrolle in „Der letzte Tango von Paris“ auch deswegen abgelehnt hatten, weil sie Brando´s Ruf als wilder, unberechenbarer Kerl kannten und weil sie eine Vergewaltigung oder etwas Ähnliches vorhergesehen hatten. Maria Schneider war eine unerfahrene, junge Schauspielerin (19 Jahre alt), die möglicherweise weder Brando noch seine Filme vorher genauer kannte. Dennoch oder gerade deswegen hatte sie in den Bewerbungsgesprächen zum Film damit geworben, dass sie über viel sexuelle Erfahrung verfüge, was man auch als das verstehen kann, was man im BDSM-Bereich als Belastbarkeit bezeichnet, die Bereitschaft, sich vergewaltigen zu lassen. Marlon Brandos Durchbruch in den späten 1940er Jahren war die Rolle des Robert Kowalski gewesen in „Streetcar named desire“; hier spielt auch einen Vergewaltiger, allerdings einen mit einem ziemlich verständlichen Motiv (genau diese gefinkelten Konstellation macht einen Teil des Erfolgs des Dramas aus). Es ist fraglich, ob Maria Schneider davon nichts wusste. Die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Marlon Brando hat Maria Schneider möglicherweise erst erhoben, nachdem gegen sie in Italien Anzeigen wegen Sittenwidrigkeit und Erregung öffentlichen Ärgernisses oder den ähnlichen Paragraphen in Italien eingingen. Sie sprach allerdings in manchen Interviews auch von „nicht wirklichem“ Eindringen und davon, sie habe sich ein bisschen vergewaltigt gefühlt. In der Tat gibt es weit grausamere Vergewaltigungsszenen, die aber weniger Thema sind, weil niemand so prominenter wie Marlon Brando darin verwickelt ist. Sie, die übrigens teilweise rumänische Vorfahren hatte, erhielt für ihre Rolle in diesem Film nur ein Hunderstel dessen, was Marlon Brando erhalten hatte, was in Anbetracht der Umstände unangebracht scheint, und vielleicht auch einer der Gründe ist für eine etwaige Übertreibung der Opferrolle.

Und auch laut Drehbuch im „Letzten Tango“ als solchem verkörpert Brando einen alternden Mann in einer Lebenskrise / Mid-Life-Crisis, der verrückte Dinge tut. Genau deswegen wurde er wahrscheinlich für die Rolle ausgewählt. Auch wenn die Vergewaltigung möglicherweise nicht im Drehbuch im engeren Sinn enthalten war, so war sie in der gezeichneten Rolle als potenzielle Möglichkeit enthalten. Auch in anderen Filmen hat Marlon Brando oft Typen gespielt, die zumindest eine sehr dunkle Seite hatten, sei es nun ein Regulator (ein Killer, der Pferdediebe und Frauenentführer erschießt) oder den Colonel Kurtz in Francis Ford Coppola´s „Apocalypse now“ nach Joseph Conrad´s „Herz der Finsternis“ (hier spielt Brando den Gejagten und zu Erschießenden, einen halbverrückten Offizier in einem Kolonialkrieg). Ich finde es ja schade, dass Marlon Brando in keinem einzigen Film US-General Curtis LeMay (1906-1990; Spitzname: „General Eisenarsch“), gespielt hat, der ganz offen und ehrlich gesagt haben soll, wenn die USA Kriege verloren hätten, wäre er selbst, Curtis LeMay, als Kriegsverbrecher verurteilt worden. Ich hätte Brando sehr gerne in der Rolle des Curtis LeMay gesehen, das hätte er wahrscheinlich hervorragend gemacht. Vielleicht ist der Colonel Kurtz sogar eine Metapher auf LeMay.

Allein schon der Name „Letzter Tango“ sollte aufhorchen lassen: Männer, die mit dem Leben abgeschlossen haben und nichts mehr zu verlieren haben, können sehr gefährlich sein. Allein schon mit dem Titel wird eine potenziell leicht selbstmörderische Tendenz angesprochen.

Bernardo Bertolucci hat kurz vor seinem Tod ein Dementi herausgegeben, es sei gar keine Vergewaltigung gewesen, sondern das Eindringen sei mit einem Stück weichem Brot simuliert worden. Aber dieses Dementi ist nur eingeschränkt glaubwürdig und diente wohl eher dazu, seine Familie vom katastrophalen Ruf, den er sich mit dieser Vergewaltigungsszene eingehandelt hat, zu beschützen. Ob er dabei auf Eigeninitiative oder auf Druck / Initiative seiner Familie / Nachkommen, kann ich nicht sagen. Ob man wegen dieser Szene noch 40 Jahre später den Nachkommen von Bertolucci einen Rufschaden bereiten sollte, ist fraglich. De facto gleicht das irgendwie der Sippenhaftung der Nazis.

Marlon Brando hatte übrigens auch eine Art feminine Seite, die mit der intensiven Beziehung zu seiner Mutter zusammenhing; dem entsprang auch sein Engagement für manche Randgruppen (Indianer, Farbige, Südseebewohner), bei denen er aber vielleicht manches verklärte und überhöhte.

Brando bezeichnete die schlechte Darstellung der Indianer (insbesondere im Western) als den größten Fehler Hollywoods, während es vielleicht viel eher das undifferenzierte Verhältnis zur Gewalt ist. Brandos Familie selbst wurde Schauplatz einer gewalttätigen Familientragödie: sein Sohn erschoss den Liebhaber seiner (Marlon Brandos) Tochter, die sich daraufhin schwanger das Leben nahm. Inwieweit er dabei als Vater, der auch Gewaltdarsteller war, versagte, sei dahingestellt.

Brando war faszinierend durch den Anti-System-Rebellen-Aspekt, aber der intellektuellste scheint er nicht gewesen zu sein. Gegen das Image, eine Art dummer Schlägertyp zu sein, hatte er sein Leben lang angekämpft.

Für seine Rolle in Mario Puzo´s „Der Pate“ war Marlon Brando 1973 für den Oscar nominiert, den er auch gewann. Er überließ den Auftritt bei der Oscar-Verleihung der Apachin Sacheen Littlefeather, die ein Statement von Marlon Brando und ein eigenes verlas.

Es gab daraufhin eine Debatte über die Undankbarkeit Brandos, seine Unberechenbarkeit (er hatte zahlreiche Verträge gebrochen) und die zahlreichen Probleme, die er mit Regisseuren gehabt hatte.

Dadurch wurden mit klassischem Agenda Setting andere Themen in die Vergessenheit verdrängt: erstens die Indianer-internen Stammeskriege (z.B. Komanchen gegen Apachen), die Rolle, die die Spanier bzw. Mexikaner bei der Dezimierung der Indianer gespielt hatten (teilweise auch in Bündnis mit manchen Indianerstämmen), das sehr traditionelle Geschlechterverständnis in Mario Puzos „Der Pate“ (Frauen sind Gebärerinnen, Vergewaltigungsopfer, Anlass für männliche Racheakte) im Unterschied zum in etwa gleichalten „Bonnie und Clyde“. Es wäre interessant, zu eruieren, wer die Idee hatte zu dieser Littlefeather-Sache: Brando selbst, sein Agent ?

Oscar-Preisträger Roberto De Niro äußerte 2013, nachdem er selbst jahrzehntelang Gewaltfilme gemacht hatte, Kritik an der Gewalt in Hollywood-Filmen.

Ich bin skeptisch, was das „politische Hollywood“ betrifft: politische Statements, die bei Oscar-Preisverleihung abgegeben werden, sind oft undifferenziert und scheinen eher der Selbstinszenierung des „Stars“ oder der Promotion eines Films zu dienen als zu ernsthafter Auseinandersetzung mit einer politischen Thematik: Hollywood entspricht so gesehen manchmal dem, was der Medientheoretiker Neil Postman in seinem Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“ beschrieb. Dennoch dürfte der Trend zum Politainment, zur Vermischung von Politik und Entertainment, unentrinnbar sein. „La La Land“ entspricht vielleicht diesem Entertainment. Allerdings gab es triviale Unterhaltungs- und Ablenkungsfilme auch anderswo, z.B. in der Nazizeit.

Vielleicht bin ich aus europäischer Sicht verdorben, aber Trump erscheint mir als jemand, der so ähnlich agiert wie mehr oder weniger normale „rechtspopulistische“ Politiker in Europa. Ein Politiker vom Schlage Trumps mag für die USA eine Neuheit sein, für zahlreiche europäische Länder ist das längst eine Normalität.

Allerdings führt das Verhältniswahlrecht, das es in zahlreichen europäischen Ländern gibt, dazu, dass Rechtspopulisten nicht zur alleinigen Macht gelangen können, sondern Koalitionen bilden müssen, oft unter Verzicht auf die eigenen Machtposition: Jörg Haider, der erste Österreicher, der es seit Adolf Hitler auf das Titelblatt des Time Magazine „schaffte“ (auf das von Newsweek nebenbei auch noch), wurde weder Regierungschef noch Vizeregierungschef. Als Geburtsland Adolf Hitlers werden wir Österreicher uns auch wegen der Kleinheit nie gegen die Nazi-Assoziation wehren können. Bei der überdimensionalen Waldheim-Dämonisierung ging es – neben den innenpolitischen Aspekten – möglicherweise auch darum, so manche jüdische Kreise, die wegen des Besuchs von US-Präsident Reagan gemeinsam mit dem deutschen Kanzler Helmut Kohl beim SS-Friedhof Bitburg aufgebracht waren, zu besänftigen. Das große Deutschland ist unkritisierbar, das kleine Österreich eignet sich als Prügelknabe.

Problematischer als Marlon Brando und die Butter-Szene erscheint mir der deutsche Schauspieler Klaus Kinski (verstorben 1991 in Lagunitas, Kalifornien), der vom Typ her ähnlich wie Brando war, und übrigens auch in Italien viele Filme gemacht hatte. Seine Tochter Pola Kinski behauptete relativ glaubwürdig für mich, 14 Jahre lang von ihrem Vater missbraucht worden zu sein.

(Marlon Brando, 1963)

(Curtis LeMay)

(Maria Schneider 2011)

(Alle Fotos copyright wikipedia if any)

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