Das US-Wahlsystem ist indirektes, wahlkreisorientiertes (relatives) Mehrheitswahlrecht. In der Praxis bedeutet das:
Die US-amerikanischen Bundesstaaten zählen die Stimmen getrennt aus. Jeder Bundesstaat erhält eine gewisse Zahl von Wahlmännern, die sich aus der Anzahl der Senatoren plus der Anzahl der Repräsentanten bemisst, die dieser Bundesstaat im Kongress stellt. In der Praxis begünstigt dieses Wahlsystem kleine Bundesstaaten, die die gleiche Senatorenzahl entsenden wie die großen.
Das hat auch eine Parteirelevanz. Die Demokraten haben ihre Hochburgen eher in den großen Bundesstaaten, während die Republikaner ihre Hochburgen eher in den kleinen Bundesstaaten haben.
Dadurch können Fälle auftreten, dass derjenige Kandidat, der US-weit mehr Stimmen hat, weniger Wahlmänner bekommt und dadurch die Präsidentschaft verliert bzw. nicht bekommt.
Diese Stimmenmehrheit wird allgemein popular vote genannt.
Verschiedene Medien behaupteten, Hillary Clinton habe die Stimmenmehrheit gewonnen, aber die Wahlmännermehrheit nicht.
http://time.com/4572295/hillary-clinton-popular-vote-lead/
Das passiert nicht zum ersten Mal: bereits bei der Wahl des Jahres 2000 erhielt Al Gore (US-Demokrat) US-weit mehr Stimmen, aber weniger Wahlmänner (Elektoren) als George W. Bush (US-Republikaner).
In Österreich behaupten hauptsächlich SPÖ-nahe Medien, Politikberater und Politiker und -innen (Z.B. Hans Rauscher und Josef Kalina), Hillary Clinton hätte in Österreich die Bundespräsidentschaftswahl gewonnen.
Allerdings sind diese Betrachtungen in mehrerlei Hinsicht unrichtig:
Weder Al Gore noch Hillary Clinton haben eine absolute Stimmenmehrheit (mehr als 50%) gewonnen, die in Österreich notwendig wäre, um Präsident zu werden.
Das US-Wahlsystem verändert auch das Verhalten der Wähler bzw. Wählerinnen sowie der politischen Parteien / Kandidaten.
In den US-Bundesstaaten, in denen eine Großpartei weit vorne liegt, sinkt die Wahlbeteiligung (zum Teil stark), auch die Parteien und Kandidaten kümmern sich kaum mehr um die "sicheren" Staaten.
Genau umgekehrt in den sogenannten battleground-states: in denjenigen Bundesstaaten, in denen die beiden Großparteien Kopf-an-Kopf liegen, ist die Wahlbeteiligung hoch, und beide Großparteien bzw. deren Kandidaten stecken einen überproportional hohen Anteil ihrer Wahlkampfmittel in diese umstrittenen battleground-states (wie z.B. Florida und Ohio).
Oder anders gesagt: wenn es ein anderes Wahlsystem gäbe, dann würden völlig andere Leute zu den Wahlen gehen (insbesondere in den sicheren Bundesstaaten, in denen heute die Wahlbeteiligung sehr gering ist), und weil dann völlig andere Leute zu den Wahlen gehen würden, könnte auch ein völlig anderes Wahlergebnis bei der Gesamtzahl der Stimmen herauskommen.
D.h. bei einem anderen Wahlsystem würde sich das Verhalten der Wähler und der Parteien völlig ändern, und es würde möglicherweise auch eine völlig andere US-weite Stimmenmehrheit herauskommen. dann hätte vielleicht Trump bei einer US-weiten Zusammenzählung einen knappen Stimmenvorsprung auf Hillary Clinton gehabt.
Mit anderen Worten: die sogenannten Qualitätsmedien Time, Zeit und Standard haben möglicherweise völlig unrecht mit ihrer Behauptung, Hillary Clinton habe eine Stimmenmehrheit und so gesehen einen moralischen Anspruch auf die US-Präsidentschaft.
http://derstandard.at/2000047541177/Popular-Vote
Die US-weite Stimmenmehrheit beim derzeitigen Wahlsystem (!!!!) hat überhaupt keine Aussagekraft darüber, wer bei einem völlig anderen Wahlsystem die Stimmenmehrheit hätte, weil Wahlsysteme das Verhalten der Wähler und Parteien verändern.