Die NATO, zahlreiche Politiker und Politikerinnen von NATO-Staaten haben in der Zeit 2005 bis März 2022 in öffentlichen Aussagen die Position vertreten (bzw. nicht dementiert oder widersprochen), dass
erstens) die NATO kein Land aufnehmen kann und soll, das in einen Konflikt mit Russland verwickelt ist.
zweitens) die NATO unter gar keinen Bedingungen einen weitgehenden Krieg führen wird.
Was natürlich Putin als Zeichen verstehen konnte oder musste, dass er völlig ungefährdet Nicht-NATO-Länder wie Georgien und Ukraine angreifen kann, und durch diesen militärischen Angriff den NATO-Beitritt dieser Länder verhindern kann. Während die krass verfälschende Putin-Propaganda ganz entgegengesetzt behauptete, die NATO sei auf aggressive Expansion aus und verweigere Putin ein Vetorecht.
Der frühere britische Premierminister Tony Blair (Amtszeit 1997-2006) nannte dieses Vorgehen der NATO eine "strange tactic". also eine seltsame Taktik.
Und in der Tat hatte das, was die NATO 20 Jahre lang machte, eine Ähnlichkeit mit dem Floriani-Prinzip: "Heiliger Sankt Florian, verschon´ mein Haus, zünd´s andere an!" Ein ähnliches Floriani-Prinzip stellt sich auch immer ein, wenn in einer Ortschaft zum Beispiel eine Mülldeponie errichtet werden soll, und die Bürger dann dagegen heftig protestieren, oft mit dem Argument, dass andere Ortschaften aus oft völlig absurden Gründen viel geeigneter wären für die Mülldeponienerrichtung. Der englischsprachige Ausdruck dafür ist "NIMBY" - "Not in my backyard", "nicht in meinem Hinterhof, sondern in dem von irgendwem anderen".
Die NATO-Position, die von allen NATO-Politikern und -Politikerinnen unterstützt wurde, bzw. von keinem einzigen NATO-Politiker und von keiner einzigen NATO-Politikerin kritisiert, bestand also so gesehen darin, Putin zu seinen Überfällen auf Georgien 2008 und Ukraine 2014, bzw. 2022 zu ermuntern.
Das Motiv dabei mag vielleicht die Hoffnung der "Truppenbindung" gewesen sein: wenn die russische Armee in Georgien und Ukraine wütet und ihre Kräfte dort gebunden sind, dann hat die russische Armee keine Kraft und Energie und keine Truppen mehr übrig, um NATO-Länder anzugreifen.
Dabei kristallisiert sich auch heraus, was die NATO eigentlich ist, nämlich vielleicht ein Verteidigungsbündnis ihrer Mitglieder, das also nur die Interessen ihrer Mitglieder interessiert, hingegen dem die Nicht-Mitglieder dem Anschein nach ziemlich egal sein könnten.
Dabei mag eine Rolle gespielt haben das Scheitern zahlreicher NATO-Staaten oder zumindest die Nicht-Erreichung eines vollen Erfolgs im Irakkrieg und im Afghanistankrieg. Das Scheitern in Afghanistan wurde zwar erst 2021 allgemein offensichtlich, aber es deutete sich schon seit 2005 an.
Das zumindest vielfach gefühlte Scheitern im Irakkrieg und im Afghanistankrieg mag ein Grund gewesen sein für eine große Kriegsmüdigkeit und eine große Kriegsablehnung in den NATO-Staaten. Und dieser Kriegsablehnung in der Bevölkerung glaubten viele westliche Politiker und Politikerinnen Rechnung tragen zu müssen, indem sie Putin und die Gefahr des Ukrainekrieges verharmlosten. Ein klassisches Populismusproblem, wenn die Politiker und Politikerinnen ihren Wählern und Wählerinnen die Lügen erzählen, die diese gerne hören wollen. Der Professor für internationale Politik an der Universität Chicago, J.J. Mearsheimer, meinte, dass demokratische Politiker und Politikerinnen in aussenpolitischen Fragen eben deswegen so häufig lügen, weil die Bevölkerungen eben kaum Ahnung von irgendwelchen Dingen weit weg haben, und so einfach zu belügen sind, und die Wahrheit entweder nicht wissen wollen oder nicht verstehen können. Es stellt sich die Frage, inwieweit Ähnliches für Medien gilt.
Zudem war die NATO sehr wesentlich ein Bündnis, dessen Inhalt auf atomarer Abschreckung beruhte, also auf dem Gleichgewicht des Schreckens: wenn beide Seiten (NATO und Warschauer Pakt, bzw. NATO und Russland) Atomwaffen besitzen, wird keiner von beiden als erster Atomwaffen gegen den jeweils Anderen einsetzen, weil er weiss, dass der Andere dann mit seinen Atomwaffen zurückschiesst.
Dieses Gleichgewicht des Schreckens sicherte im Kalten Krieg lange den Frieden in Europa, bzw. verhinderte das Heiss-Werden des Systeme-Konflikts. Und so gesehen war die NATO auf einen konventionellen, nicht-atomaren Krieg in Europa überhaupt nicht eingestellt.
Im Unterschied zu den Propagandalügen, die Linksextremisten und Rechtsextremisten und Putin-Trolle hier in Europa und insbesondere auf dieser Plattform verbreiten, war die frühere NATO also keineswegs die "kriegshetzerische Organisation", wie dargestellt, sondern genau entgegengesetzt quasi die Verbündete von Putin, die Putin signalisierte, dass er ruhig Nicht-NATO-Mitglieder wie Georgien und Ukraine überfallen dürfe, solange er die NATO-Mitglieder in Ruhe liesse. Aussagen von NATO-Politikern und -Politikerinnen waren auch oft zweideutig, unpräzise und unkonkret, und auch diese Zweideutigkeit konnte Putin als Erlaubnis verstehen, oder als mangelnde Entschlossenheit und als Schwäche des Westens, sodass er hoffen konnte, mit seinen Kriegen durchzukommen.
Diese starke Friedenssehnsucht der Demokratien hat natürlich gewisse Vorteile: sie können praktisch nie Angriffskriege führen.
Dieselbe Friedenssehnsucht der Demokratien hat aber auch Nachteile: Demokratien neigen dazu, Kriegsgefahr lange zu leugnen, bis sie sehr, sehr offensichtlich wird.
https://bnn-news.com/blair-nato-pursues-strange-tactic-on-ukraine-233186
https://newspunch.com/ruling-out-a-full-scale-war-with-russia-is-a-strange-tactic-says-tony-blair/
https://ogreszinas.news/blair-nato-pursues-strange-tactic-on-ukraine/
US Department of State / CC https://de.wikipedia.org/wiki/Tony_Blair#/media/Datei:Former_PM_Blair_Delivers_Remarks_at_the_Ministerial_to_Advance_Religious_Freedom_(48315076917)_(cropped).jpg
Der frühere britische Ministerpräsident Tony Blair spricht als Einziger aus, was Europas Medien und Politiker und Politikerinnen weitgehend vertusch(t)en: dass die NATO Putin de facto ein Vetorecht gegen NATO-Beitritte, dadurch, dass Putin Landesteile militärisch besetzte, einräumte, sowie, dass die Position der NATO, einen weitgehenden Krieg unter allen Bedingungen auszuschliessen, Putin zum Angriff und zu den Offensiven eher ermuntert haben dürfte.
Und nun zu ein paar Fällen, die nur halbe Ausnahmen sind:
Hillary Clinton, frühere US-Aussenministerin und Präsidentschaftskandidatin, verglich den russischen Präsidenten Putin einmal im Jahr 2014 nach der sogenannten Krim-Annexion mit Hitler. Dafür erntete sie auch viel Kritik, zum Beispiel vom früheren Aussenminister Kissinger. Und das dürfte ein ganz wesentlicher Grund gewesen sein, warum sie die Wahlen verlor, gegen einen sehr fragwürdigen Präsidenten Trump mit seinen Rückzugs- und Friedenversprechen. Also auch hier ein Aspekt, dass zahlreiche Wähler und -innen nichts von kommenden Gefahren und Kriegen hören wollten.
Die österreichische Politikerin Ulrike Lunacek betrieb 2017 als Spitzenkandidatin einen "Pellets statt Putin"-Nationalratswahlkampf, der zum Inhalt hatte, die Abhängigkeit vom russischen Gas zu senken, indem man Holzpellets forciert - auch sie verlor damit die Wahlen und die Grünen erzielten ihr schlechtestes Wahlergebnis der letzten 30 Jahre und fielen aus dem Parlament und unter die Vierprozenthürde. Lunacek musste sich später auch deswegen aus der Politik zurückziehen.