https://derstandard.at/2000066398098/Plaedoyer-fuer-eine-kooperative-Minderheitsregierung

Rein theoretisch: der Bundespräsident könnte einmalig z.B. wegen des "kuriosen, populistischem und unthematischen" Ganges dieses Wahlkampfs (nichtssagende "Veränderung", "Bewegung", ohne zu sagen, wohin) den Nationalrat auflösen und Neuwahlen ansetzen.

Und rein theoretisch: der Bundespräsident könnte eine SP-Minderheitsregierung angeloben.

Aber: beides wäre ziemlich grenzgängerisch.

Eine mögliche Vorleistung dafür hat der Bundespräsident, also Alexander Van der Bellen schon gemacht. Durch seine Absage an den Antisemitismus.

Da Dirty Campaigning im Internet häufig, um nicht zu sagen inflationär ist, könnte der Bundespräsident - rein theoretisch vielleicht - die ÖVP bzw. die Liste Kurz wegen des übertriebenen Hochspielens der Causa Silberstein, das man als antisemitismusnah einstufen kann, von der Regierungsbildung ausschliessen, ebenso wie er die FPÖ wegen an der Basis noch immer vorhandener Problematiken ausschliessen könnte.

Vordenkereien in diese Richtung praktizierte Wolfgang Müller-Funk im rot-grün-nahen Standard, nämlich eine sogenannte "kooperative Minderheitsregierung".

(Was genau die "kooperative Minderheitsregierung" von einer "unkooperativen" unterscheidet, bleibt offen).

Ebenso seltsam erscheint mir, dass Müller-Funk, bzw. die Zwischenüberschriften textende Redaktion den Artikel mit der Überlegung beginnt, wie die SPÖ ihre Glaubwürdigkeit erhalten könnte.

Eine permanente SPÖ-Regierung unter angeblicher Berufung auf das "Ansehen im Ausland", erscheint mir gewagt.

Was soll neu sein an der angeblichen "Minderheitsregierung" neuen Typs ?

Dass sie weit von der absoluten Mehrheit entfernt ist ?

Dass sie keine zur Mehrheit ausreichende Absprache hat wie damals 1970/1971 die SPÖ mit der FPÖ ?

Die größte schwarz-blaue oder türkis-blaue Mehrheit aller Zeiten hätte natürlich jederzeit die Möglichkeit, einen Mißtrauensantrag gegen die "Minderheitsregierung neuen Typs" einzuleiten und die Regierung zu "stürzen".

Was tatsächlich eine Neuigkeit wäre in Österreich, dass eine Minderheitsregierung so schnell von einer Parlamentsmehrheit weggefegt wird.

Und eine weitere Frage stellt sich: was würde eine derartige Minderheitsregierung bezwecken ?

Kanzler Kern sagte ja, er wolle in fünf Jahren die absolute Mehrheit (ob alleine als SPÖ oder zusammen mit wie auch immer gearteten Grünen, liess er offen). Bei einer Ausgangslage wie derzeit scheint das nicht besonders realistisch zu sein.

Alles in allem wieder könnte sich da wieder einmal eine der in Österreich fast schon traditionellen Regierungsbildungskrisen abzeichnen, man denke nur an das Jahr 2000.

Eine Frage, die sich durch eine rein theoretisch mögliche SPÖ-Minderheitsregierung stellen würde, ist: würden dadurch Missstände in der SPÖ bzw. ihr nahestehenden Organisationen zementiert ?

Würde eine sogenannte "Kooperative SPÖ-Minderheitsregierung" nicht Zweifel daran nähren, ob Österreich eine parlamentarische Demokratie sei ? So nach dem Motto: "die Wähler und -innen können wählen, was sie wollen, es kommt immer ein SP-Kanzler raus" ?

P.S.: das chinesische Schriftzeichen für "Krise" bedeutet gleichzeitig auch "Chance". Also, ehrlich gesagt, ich zweifle manchmal daran, ob alle Krisen tatsächlich Chancen seien.

Ein weiteres großes Problem bleibt: zu einer Kooperation braucht es immer mindestens zwei. Und wer der zweite bei einer "kooperativen SP-Minderheitsregierung" sein soll, bleibt offen.

Vielleicht ist der Sinn der Formulierung "kooperative SP-Minderheitsregierung" einzig und alleine, allen Anderen das Odium der Unkooperativität umzuhängen, bzw. alle Anderen (insbesondere ÖVP und FPÖ) für den nächsten Wahlkampf mit der Punze "Unkooperativ" zu stempeln, weil ein Misstrauensantrag in diesem Falle irgendwie ziemlich logisch erscheint.

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Leitwolf

Leitwolf bewertete diesen Eintrag 24.10.2017 01:08:48

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