Im Jahr 1996 veröffentlichte der US-Politologe Samuel Philipps Huntington sein Buch "Clash of Civilisations" (im Deutschen entweder unglücklich oder absichtlich verfälschend übersetzt zu "Kampf der Kulturen", obwohl es eigentlich "Zusammenprall der Zivilisationen" heissen müsste), folgend einem gleichnamigem Artikel.

Mit diesem Buch widersprach Huntington der Francis-Fukuyama-These vom "Ende der Geschichte", davon, dass Demokratie und Marktwirtschaft und Weltfrieden mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 oder dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 endgültig gewonnen hätten.

Huntington identifizierte 10 Weltkulturen, darunter die westchristliche (katholisch-protestantisch-euroamerikanische) und die ostchristlich-orthodoxe (der also z.B. Serbien, Bulgarien, Rumänien, Griechenland und Russland angehören, auch der östliche Teil der Ukraine). Huntington meinte weiter, dass Konflikte oder Kriege zwischen diesen zehn Kulturen oder an der Grenze dieser 10 Kulturen wahrscheinlich wären. Im deutschsprachigen Raum, ganz besonders vielleicht in Österreich, wurde dieses Buch quasi zum "bösen Buch", zum "Librum non gratum", zum unerlaubten Buch erklärt, weil es eben der Friedenserwartung bzw. Friedenshoffnung widersprach.

Die Ukraine ist bzw. war so ähnlich wie Bosnien-Herzegowina ein Land ohne klare Leitkultur, ein Land, in dem verschiedene dieser Kulturen meist mehr schlecht als recht koexistier(t)en (in Bosnien drei: westchrichtlich-kroatisch, ostchristlich-serbisch und bosnisch-muslimisch und in der Ukraine zwei westukrainisch-katholisch und ostukrainisch-orthodox).

Gerade diese "gemischten" Länder sind eben keine wunderbare Multikulturalität, sondern eben stark konfliktgeprägt und stark gefährdet, früher oder später in Bürgerkrieg oder Kriege zu schlittern.

Der frühere jugoslawische Dissident Milovan Djilas, der sich mit seinem früheren Freund und Kampfgefährten Präsident (Josip Broz) Tito zerstritten hatte und das regimekritische Buch "Die neue Klasse" geschrieben hatte, hatte schon in der ersten Hälfte der 1980er Jahre unmittelbar nach Titos Tod vorhergesagt, dass Jugoslawien in einen Bürgerkrieg schlittern würde, so wie der Libanon, der damals der Inbegriff des Multi-Kulti-Krieges war, so wie es eben später Bosnien war und heute Ukraine ist. Der Libanon war auch gespalten in drei bis vier Kulturen und Religionen (christlich-maronitisch, sunnitisch, schiitisch, drusisch).

Auf jeden Fall kann man den heutigen Ukraine-Krieg als Bestätigung der Huntington-These von "Zusammenprall der Zivilisationen" sehen, denn die Ukraine ist ein Grenzstaat zwischen zwei Kulturen laut Huntington, in dem quasi naturgesetzlich oder mit hoher Wahrscheinlichkeit es zu "Zusammenprallen" kommt.

Links zum Thema:

Literatur von oder über Djilas:

https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=118526111

https://de.wikipedia.org/wiki/Kampf_der_Kulturen#/media/Datei:Clash_of_Civilizations_map.png

Die 10 Weltkulturen laut Huntington. Bosnien und Ukraine haben Gemeinsamkeiten: sie liegen beide an der Grenze zwischen Westchristentum und Ostchristentum. Sie haben keine einheitliche Leitkultur, sondern sind gespalten in verschiedene unterschiedliche Staatsvölker, was auch Völkerrechtlich heikel sein kann, denn Staaten brauchen, um völkerrechtlich anerkannt zu werden, ein mehr oder weniger einheitliches Staatsvolk, nicht zwei oder drei oder vier zerstrittene Staatsvölker, sodass sich die Frage stellt, ob man derartige Staaten überhaupt anerkennen darf.

Eine heikle Frage ist auch, ob Demokratie in derartigen Vielvölkerstaaten überhaupt möglich ist, denn dominante (das kann wirtschaftliche oder militärische oder zahlenmäßige Dominanz sein) Völker neigen sehr oft dazu, ihre dominante Position zu mißbrauchen, und die Angehörigen des eigenen Volkes besser zu stellen als die Angehörigen der anderen Staatsvölker, was bei diesen zu (auch militärischem oder terroristischen) Widerstand führen kann, und oft in Kriegen endet.

Die anderen Kriterien für völkerrechtlich Anerkennung wären Staatsgebiet, Staatsgewalt und eine gewisse Kontinuität.

Huntington war auch ein Gegner des Irakkrieges (ab 2002), weil er sich dadurch ein Vertiefung der Spannungen, auch zwischen USA und Islam erwartete. Dieser Irakkrieg wurde damals von Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz von 2007 scharf kritisiert, als unilateraler, völkerrechtswidriger Krieg (also als Krieg ohne ein UNO-Sicherheitsratsmandat). Allerdings ist auch Putins Ukrainekrieg 2022 ein unilateraler, völkerrechtswidriger Krieg, weil er nicht durch ein UNO-Sicherheitsratsmandat legitimiert ist.

Generell kann man vermuten, dass das Machtprivileg des Vetos im UNO-Sicherheitsrat, das nicht nur, aber auch Russland hat, eine potenziell-korrumpierende Wirkung auf die 5 Vetomächte haben kann.

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