Vor 2 oder 3 Jahren hat die nunmehrige Grünen-Parlamentssprecherin Sigrid Maurer, mit der ich schon auf der "Uni brennt"-Veranstaltung einige Streitgespräche und Meinungsverschiedenheiten hatte, zum Beispiel zu den Studiengebühren, zwei Botschaften veröffentlicht, die sie per Internet intern bekommen hatte: die eine war eine Anspielung auf die Fellatio, die andere bestand aus wüsten Beschimpfungen inklusive "Bitch".
Heikel war der Fall deswegen, weil Sigrid Maurer behauptet hatte, es sei mit Sicherheit ein Craftbeershopbesitzer der Schreiber dieser Zeilen, weil der Account dieses Mannes dazu verwendet worden war, diese Botschaften zu verschicken, von wem auch immer.
Im erstinstanzlichen Verfahren wurde Sigrid Maurer zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt, weil sie die journalistische Sorgfaltspflicht verletzt hatte, die auch für Blogger gilt, weil sie den Craftbeershopbesitzer mit Sicherheit als den Autor bezeichnet hatte, ohne das überprüft zu haben, und ohne auf die Möglichkeit hingewiesen zu haben, dass es auch ein anderer gewesen sein könnte.
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Mit dem Internet haben sich die Formen der Kommunikation radikal geändert: wenn man auf der Strasse jemandem begegnet, der einen als "Arschloch und Verbrecher" bezeichnet, dann kann man z.B. mit Hilfe von Zeugen diese Person identifizieren (es sei, denn sie trägt islamische Burka), und den Sprecher eindeutig feststellen.
Im Internet ist das völlig anders. Und der vorliegende Fall gehört noch zu den einfacheren ohne Verschlüsselungs- und Anonymisierungssoftware wie z.B. TOR (The Onion Router).
Man kann im Internet mit oft erstaunlich geringem Aufwand Passwords klauen, Accounts knacken, per Phishing Zugangsdaten klauen und damit die (scheinbare) Identität.
Alles Dinge, die im wirklichen Leben unmöglich sind oder zumindest viel schwieriger: ein Gesicht zu klauen und ein Verbrechen mit dem Körper von jemandem anders zu begehen ist - anders als im Internet - im realen Leben unmöglich. Ich mache seit vielen Jahren auf IT-Symposien auf die Problematik der Identitätsverschleierung im Internet, der digitalen Burka, bzw. der digitalen Schwarzer-Block-Gesichtsverschleierung aufmerksam, ohne besonderen Erfolg.
Verschlüsselungs- und Anonymisierungssoftware wie z.B. TOR führt zu einer erheblichen Aufwandsumkehr: Identitätsverschleierung wird dadurch leicht, Identitätsfeststellung zum Beispiel durch die Behörden schwierig - schwierig, aber nicht unmöglich. Es gibt immer wieder Fälle, wenn es um schwere Kriminalität geht (Waffenhandel, Kinderpornohandel, Auftragsmordvereinbarungen, etc.), dass die Behörden sich die Mühe antun, TOR zu knacken, und der Aufwand dazu ist oft immens. Wegen "übler Nachrede" machen sich die Behörden diesen hohen Aufwand nicht, zumindest ist mir kein Fall bekannt, was man auch als informelle Legalisierung der "üblen Nachrede" im Internet betrachten kann.
Einer der großen Schwächen unserer gesetzgeberischen System ist, dass die Politiker und -innen sich oft auf das populistische Verbieten beschränken, aber nicht den geringsten Gedanken darauf verschwenden, ob diese Gesetze, oft Verbote auch exekutierbar, durchsetzbar sind, ob die Täter auch ausforschbar sind, bzw. mit welchem Aufwand.
Zu diesem Thema passt auch die "Justiziabilität".
Auf jeden Fall besteht eine große Kluft zwischen der schweren Kriminalität wie Auftragsmördersuche oder illegaler Waffefnhandel, in denen sich die Behörden viel Mühe antun, die sie sich bei Kleinigkeiten nicht antun.
Sodass effektiv ein Zustand entsteht, in denen es ein Zweiklassensystem von Gesetzen gibt: die einen, die existieren und durchgesetzt werden, und die anderen, die zwar existieren, aber nicht durchgesetzt werden, weil der Aufwand dazu mit dem Ergebnis in keinem vernünftigen Verhältnis mehr steht. (Meiner Meinung nach sollte es diese kaum exekutierbaren Gesetze nicht geben: Ein Staat, der aus populistischen Gründen jeden Schmarrn verbietet, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob genug Ressourcen da sind, das auch zu verfolgen, macht sich selbst lächerlich und verliert den Charakter des Rechtsstaats)
Polizeiressourcen und Ermittlungsressourcen sind begrenzt, insbesondere bei den hohen Lohn- und Gehaltskosten in Österreich, sodass man Kleinigkeiten wie üble Nachrede oder Verhetzungsverdacht oft gar nicht nachverfolgt, weil der Aufwand zu hoch ist, und oft nur eine ewige Prozessmurkserei ohne Ergebnis herauskommt, wie eben hier in diesem Fall Maurer-gegen-Craftbeershop-Besitzer.
Eine Möglichkeit wäre eine Klarnamenspflicht, gegen die aber auch wieder einige Argumente sprechen.
Auf jeden Fall macht es einen schlechten Eindruck, wenn manche Gesetze zwar existieren, aber mangels Kosten-Nutzen-Rechnung deren Verletzung nicht strafrechtlich verfolgt wird, sodass sich die Frage stellt, ob es nicht besser wäre, die üble Nachrede z.B. von Vornherein zu erlauben, zumindest im Internet, damit die Leute nicht im falschen Vertrauen auf Rechtsstaat und darauf, sie wären mit Klarnamen im Internet vor übler Nachrede geschützt, etwas tun, dessen Folgen ihnen dann massiv schadet.
Von der historischen Genese her dürften Paragraphen wie "üble Nachrede", "Rufschädigung", "Geschäftsschädigung", "Kreditschädigung" ursprünglich wohl eher für Geschäftsleute gedacht sein, während Kreditschädigung bei Leuten, deren Einkommen sowieso zu gering ist, als dass sie einen Bankkredit bekommen könnten, weil verschiedene Gesetze dafür Mindesteinkommen vorsehen, keien Rolle spielt: wenn man wegen Einkommensschwäche und Subprime-Finanzkrise sowieso keinen Kredit bekommt, dann ist es auch egal, ob irgendjemand einen Blödsinn über einen behauptet, der die Kreditwürdigkeit verringert.
Allerdings hat die Demokratisierung und Ausweitung dieser Paragraphen auf Alle ohne entsprechende Ausweitung der Ermittlungsbehörden eine Lage geschaffen, in der diese Gesetz nicht mehr umsetzbar sind. Und es stellt sich auch die Frage, ob sie überhaupt theoretisch umsetzbar sind. Wenn die Umsetzung von Gesetzen mehr Polizisten und Ermittler braucht, als ein Land Bürger hat, dann bleibt wohl nur eines: manche dieser Gesetze zu kübeln und die verbotenen Missstände zu erlauben, zu legalisieren, zumindest teilweise.
Manche wie der Philosoph Rudolf Burger behaupteten ja, die Grünen seien eine Verbotspartei. Und das ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Aber Fälle wie dieser sind Anzeichen dafür, dass die Grünen eine Pseudo-Verbotspartei sind, die zahlreiche Dinge verbietet, aber eben nicht ausreichend Polizei- und Ermittlerressourcen erlaubt, um die Strafverfolgung dieser Gesetze zu ermöglichen.
Und dann wirds irgendwie schräg - dann wird nicht nur Sigrid Maurer "genervt", wie laut Artikel, sondern dann werden viele "genervt".
https://www.diepresse.com/5921363/der-maurer-prozess-als-muhsame-aber-nutzliche-posse?from=rss
Ein anderer Weg, mit der Sache umzugehen, wäre ein anfängliches Widerspruchsrecht. Der Macher der "üblen Nachrede" wird anfangs gar nicht mehr strafrechtlich verfolgt, sondern es besteht anfangs nur mehr für den/die mit "Übler Nachrede" Kritisierte(n) ein Recht auf Widerspruch und Gegendarstellung im betreffenden Forum oder Thread, was aber auch für Politiker und -innen mühsam werden kann. Das würde aber dann auch ein Blockierverbot und vielleicht ein Löschverbot in gewissen Fällen bedeuten. Und erst danach, z.B. nach Beharren und Wiederholen trotz Widerspruch und Gegendarstellung entstünde dann die "üble Nachrede" als klagbares Delikt. Das würde die Anzahl der Fälle stark reduzieren. Ein anfängliches Recht auf Gegendarstellung könnte auch der Blasenbildung und dem Auseinanderdriften in unterschiedliche Dogmenmilieus entgegenwirken. Ein Blockierverbot würde auch der problematischen Tendenz im Internet zur Blasenbildung und zur Abkoppelung extremistischer Milieus entgegenwirken.
Auf jeden Fall beschädigt die starke Präsenz der ohnehin in dieser riesigen Menge gar nicht mehr strafrechtlich verfolgbaren üblen Nachreden, Lügen und FakeNews den Ruf und die Glaubwürdigkeit des Internets und so mancher Internetforen, insbesondere derjenigen ohne Qualitätskontrolle und permanenter Moderation.
Und diese Rufbeschädigung des Internets ist vielleicht aus Sicht der Steuerzahler die billigste Form der Strafverfolgung und der Ahndung.
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Das Internet als neue Technologie stellt das klassische Medien- und Strafrecht, das für eine ganz andere Situation geschaffen ist, auch wegen der Identitätsverschleierungsmöglichkeiten vor neue Probleme und Herausforderung.
Es kann manchmal so scheinen, als wäre die etablierte Politik im Vor-Internet-Zeitalter stecken geblieben und gegenwartsunfähig.
Siehe auch:
https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/profiling-des-sigrid-maurer-anposters-50623
https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/eskalation-in-den-maurer-bierwirt-prozessen-67570
P.S.: was die Ex-Piratin und Nun-Grüne Julia Reda in der Tagesschau vom 12.1.2020 (ab minute 12:00) sagte, klingt ja in der Theorie recht nett, droht nur in der Praxis an Unfinanzierbarkeit zu scheitern.
Voll unerwähnt blieb bei Reda die Frage der Identitätsfeststellung gerade bei den Verschleierungsmöglichkeiten im Internet und die Frage der Unwirtschaftlichkeit: nur wegen einem Posting mit übler Nachrede, das 10 Leser und -innen lesen, jahrelang zu prozessieren, mit Prozesskosten, die in die Hunderttausende gehen, ist ein ökonomischer Unsinn, und diese Gelder fehlen dann, um die wirklich schweren Fälle von Kriminalität zu bekämpfen. Und dabei ist die Kosten für die Ermittlungsbehörden noch gar nicht enthalten.
Irgendwie hat das was von Füllhornsozialismus - der Einstellung, dass der Staat ein unerschöpflicher Geldquell sei, der alles finanzieren könne, Gesundheitskosten in beliebiger Höhe, Sicherheitskosten in beliebiger Höhe, etc. nach dem Motto "Für Bildung kann man nicht genug ausgeben", "Für die Gesundheit kann man nicht genug ausgeben", etc.
Aber wie schon ein britischer Politiker sagte: "Alle sind für das Sparen im Allgemeinen, aber für die Großzügigkeit im Speziellen", nach dem Floriani-Prinzip "Verschon´ mein Haus, zünd´s andere an!": "Sparen schon, aber nicht in meinem Gebiet, sondern bei den Anderen!"