Die Empörung über den FPÖ-Landesrat Waldhäusl, der eine Registrierung von Leuten vorgeschlagen hatte, die Fleisch aus Schächtungen konsumierten, geht sehr hoch.
Aber wie das halt immer so ist bei hochmoralischen Empörungswellen: sie verfehlen vor lauter Emotionalität oft den Kern der Sache.
Und der könnte in dieser Sache folgender sein:
Es gibt in der Politik ein Grundprinzip, das alle Parteien im Umgang mit anderen Parteien beachten sollten: eine Art Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Es obliegt der anderen Partei, wen sie für gewisse Funktionen nominiert, und nicht "uns".
Mit diesem Prinzip gebrochen hatte unter großem Jubel der Linksjournaille die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, die ansonsten durchaus ihre Qualitäten hat. (Für unsere bundesdeutschen Lesenden: eine Landeshauptfrau ist eine österreichische Ministerpräsidentin eines Bundeslandes).
"Mit Landbauer nie ! Keine Zusammenarbeit !" sagte sie, was sehr resolut klang, aber eben dem Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer Parteien widersprach.
Die ÖVP hatte selbst in zahlreichen Fällen ähnlich argumentiert "Wir lassen uns niemanden herausschiessen !".
"Auch wenn SPÖ und Grüne Kurz massiv kritisieren, wir alleine entscheiden, ob er Spitzenkandidat wird oder nicht".
Und das hat ja auch seine Berechtigung: eine Partei, die sich von anderen Parteien vorschreiben läßt, wen sie nominiert, die hat sehr schlechte Chancen bei der nächsten Wahl, sie läuft sehr leicht Gefahr, als willfähriger und profilloser Steigbügelhalter zu gelten.
Als Frau ist Johanna Mikl-Leitner im MeToo-Zeitalter offensichtlich ziemlich unkritisierbar, und das resche Auftreten Mikl-Leitners fand bei den links-dominierten Medien große Unterstützung.
Allerdings auch - und das bis zu einem gewissen Grad verständlich - eine Ablehnung und einen Groll bei der FPÖ, die nun das Gefühl haben muss, dass für sie als einzige Partei das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten nicht gilt.
Die Unterstützung der FPÖ als Mehrheitbeschaffer wollen SPÖ (im Burgenland oder früher in Kärnten) oder ÖVP (in Bund und Ländern) sehr wohl.
Aber das ganz normale Recht auf Nichteinmischung in innere Angelegenheiten wollen SPÖ und ÖVP nicht respektieren.
Allerdings ist die FPÖ auch nicht ganz blöd und nicht ganz einfallslos im Umgang mit der Situation: "Wenn Ihr völlig polit-sittenwidrig uns den Landbauer rausschiesst, dann werden wir zurückschlagen, indem wir jemanden nominieren, der Euch noch grauslicher vorkommen wird als der Landbauer, nämlich den Waldhäusl."
Das ist einerseits eine riskante Strategie mit einem Risiko der Selbstbeschädigung, aber in Anbetracht der Ausnahmesituation vielleicht eine berechtigte, frei nach dem Motto "Besondere Probleme erfordern besondere Lösungen".
Anders gesagt: die These dieses Blogs ist: "Wenn Mikl-Leitner Landbauer nicht verhindert hätte, dann hätte Waldhäusl seine Koscher-Registrierungsvorschläge gar nicht gemacht".
Ich weiss schon, die fiktive Geschichte, mit "Was wäre, wenn ..."-Fragen zu arbeiten, ist in der Geschichtswissenschaft umstritten, aber bereits Max Weber wies darauf hin, dass jede Kausalbehauptung in der Geschichtswissenschaft eine "Was wäre, wenn .."-These ist, eine These der Form "Wenn die Ursache nicht gewesen wäre, wäre die Folge nicht aufgetreten".
Zum Begriff der "Journaille": Karl Kraus verwendete als Erster den Begriff der "Journaille" als Mischwort zwischen "Journalismus" und "Kanaille", ich glaube, es war in seinem Megastück "Die letzten Tage der Menschheit".
Der Rücktritt des früheren NEOS-Chefs Matthias Strolz war übrigens möglicherweise eine Reaktion darauf, dass er in Hinblick auf Peter Pilz mit eben diesem Prinzip der "Nichteinmischung in innere Angelegenheiten anderer Parteien" gebrochen hatte.
Aber er ist ja auch ein Mann, und muss als solcher vielleicht wegen Dingen zurücktreten, wegen denen eine Frau wie Mikl-Leitner nicht zurücktreten muss.
Und Strolz musste wegen seiner Einmischung in innere Angelegenheiten der "Liste Pilz" vielleicht auch deswegen zurücktreten, weil der rot-grün dominierte österreichische Journalismus Einmischung in innere Angelegenheiten von Linksparteien viel schärfer kritisiert und sanktioniert als Einmischung in innnere Angelegenheiten der FPÖ.
Das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten kommt traditionell eher aus dem Völkerrecht, aber die das "Wir lasen uns niemanden herausschiessen"-Mentalität aller Parteien ist eine Entsprechung desselben.