Fragen der EU-Armee sind eines der bestimmenden Themen des EU-Wahlkampfs, aber "Wahlkampf ist die Zeit der fokussierten Unintelligenz", wie der frühere Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) einmal sagte.
Und als unintelligent kann auch die Art und Weise bezeichnet werden, wie dieser Aspekt des EU-Wahlkampfs abläuft.
Konservative und liberale Parteien behaupten im Einklang (wie so oft), dass die Europäisierung (also die zumindest teilweise Entmachtung der Nationalstaaten und -regierungen) das militärische Beschaffungswesen billiger machen würde.
Und sozialdemokratische und grüne Parteien (in Österreich auch die neutralistische FPÖ) setzen dem nichts entgegen, weil sie der europäischen Militarisierung aus pazifistischen und/oder aus nationalistischen Gründen prinzipiell ablehnend gegenüberstehen.
Daher wird die Behauptung konservativer und liberaler Politiker und -innen (die oft im Einfluss und in der Finanzierung von Wirtschaftsunternehmen stehen, die eben diese Militärbeschaffungsaufträge bekommen wollen) unkritisch aufgenommen und von den Medien unkritisch wiedergegeben, in denen auch oft militärisch ahnungslose Journalisten und -innen arbeiten.
Die konservativ-liberale Behauptung, militärische Beschaffungen würden durch Europäisierung billiger, ist in Wirklichkeit fragwürdig, und zwar aus folgenden Gründen:
1.) die USA haben ein zentralisiertes Militärbeschaffungswesen, also genau das, was konservativ-liberale Parteien für die EU anstreben (Militäraufträge erteilt in den USA die Zentralregierung, nicht die Regierungen der einzelnen Bundesstaaten). Und die USA haben die höchsten Militärausgaben weltweit und die mit Abstand teuersten Militäreinzelprodukte, wobei man dazusagen muss, dass US-Militärprodukte in vielen Bereichen eine technologische Überlegenheit haben, die aber andererseits in vielen Konflikten und für viele Aufgaben überflüssig ist.
2.) 96.3% der EU-Bürger sind Bürger von Staaten, die gleichzeitig NATO-Staaten sind. Österreich und Schweden sind als neutrale Kleinstaaten eine eigentlich vernachlässigbare Größe, und realistisch und vereinfachend betrachtet ist die EU insgesamt Teil der NATO und NATO-Vorgaben treffen daher und über die EU (z.B. über die EU-Nettobeiträge) auch Österreich. Und eine NATO-Vorgabe ist die des 2%-Verteidigungsbudgets. Diese Vorgabe ist eine rein finanzielle, mit dem vereinbarten Kaufpreis als Maßstab, nicht mit z.B. der Kampfkraft. Um dieses 2%-Ziel zu erfüllen, kann man auch völlig überteuerte Militärbeschaffungsaufträge erteilen (also zuviel bezahlen für Produkte, die weniger oder weit weniger wert sind, was die erhaltenden Konzerne freut). Und solange keine politischen Ziele dafür, wie man dieses Verteidigungsbudget verwendet, existieren, solange die Parteien (auch konservativ-liberale) so sehr auf dem angeblichen "Friedensprojekt Europa" beharren, erscheinen Militärausgaben ziemlich sinnlos. Angegriffen werden können EU und NATO praktisch nicht (alleine schon wegen der britischen und französischen Atomwaffen); Militäreinsätze außerhalb der EU werden politisch nicht angestrebt, man beschränkt sich - zumindest, was die Polit-Versprechen betrifft - auf Grenzschutz (was vielleicht nicht zielführend ist), also wozu überhaupt Rüstungsausgaben ?
3.) Lobbyismus und Bestechungsähnliche Phänomene: Brüssel ist auch die europäische Hauptstadt des Lobbyismus, und große Rüstungskonzerne können es sich leisten, die besten Lobbyisten anzustellen, die die EU-Kommissare (z.B. für Verteidigung und Finanzen) beeinflussen. Umgekehrt haben Bürger auch wegen der Sprachbarrieren kaum Zugang zu EU-Top-Politikern. EU-Großkonzerne, auch EU-Rüstungsgroßkonzerne können es sich leisten, einem EU-Kommissar einen hervorragend bezahlten Job nach seiner Polit-Karriere zu versprechen als Gegenleistung für einen überbezahlten Rüstungsauftrag, und sie können es sich auch leisten, dieses Versprechen einzuhalten.
CC / z.G. ALÜ - PzLehrBtl 334 "CELLE", Darkone https://de.wikipedia.org/wiki/Kampfpanzer#/media/File:Leo2A5.JPG
Deutscher Kampfpanzer Leopard 2A5; deutsche Rüstungsexporte nach Griechenland waren übrigens stark beteiligt an der Auslösung der Griechenland-Krise, die viel größere Kosten verursachte als vorher gedacht. Steht ähnliches auch im Falle der Europäisierung des Militärbeschaffungswesens zu befürchten ?
Zugunsten der griechischen Militärbeschaffung muss allerdings gesagt werden, dass Griechenland ein Grenzstaat der EU ist, und mit der Türkei einen durchaus problematischen Nachbarn hat, auch wenn mit einer möglichen Abwahl des türkischen Präsidenten Erdogan durch das Oppositionsbündnis sich einiges ändern könnte.
Zur Position der NEOS/Liberalen siehe auch:
https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/jung-huebsch-ahnungslos-claudia-gamon-neos-53680
CC / z.g. Staff Sgt. Aaron Allmon II - http://www.defenselink.mil/ https://de.wikipedia.org/wiki/Tarnkappentechnik#/media/File:F-117_Nighthawk_Front.jpg
CC / z.g. TS Ben Bloker / USAF https://de.wikipedia.org/wiki/Lockheed_Martin_F-22#/media/File:Raptor_F-22_27th.jpg
US-Tarnkappenflugzeug F-117 Nighthawk; Luftüberlegenheitsjäger F-22 Raptor: saugut und gleichzeitig sauteuer. Ein Gegenargument, dass zentralisierte Militärbeschaffung - anders als von Konservativen und Liberalen behauptet - nicht billiger wird, sondern teurer.
Aufgrund der militärischen Ahnungslosigkeit sozialdemokratischer und grüner Parteien unterbleibt jedes Gegenargument, was einer angeblichen pluralistischen Demokratie (die sowohl Österreich als auch EU eigentlich zu sein behaupten) eigentlich unwürdig ist. Man könnte auch sagen, EU und Österreich sind genau die gelenkten Demokratien, die sie Putins Russland zu sein vorwerfen.
Die Nicht-Debatte durch die etablierten Parteien rund um die Frage, ob Europäisierung Militärbeschaffung billiger oder teurer macht, kann gesehen werden als ein Beispiel für das, was die designierte deutsche Kanzlerin Kramp-Karrenbauer "Phantomdebatte" nannte.
Irgendein Politiker oder irgendeine Politikerin behauptet irgendwas, kein Journalist und keine Journalistin und kein Politiker und keine Politikerin einer anderen etablierten Partei überprüft es.
Der einzige sicherheitspolitische Kopf der SPÖ, der frühere Verteidigungsminster Doskozil, wurde erstens durch den Maulkorb der SPÖ-Parteivorsitzenden Rendi-Wagner und zweitens durch seine neue Funktion als burgenländischer Landeshauptmann und den damit verbundenen Zeitaufwand zum Schweigen gebracht.