Seit Gründung der österreichischen Demokratie gilt es als eine Art Grundregel und Usance (Gewohnheitsregel), dass die stimmenstärkste Partei den ersten Nationalratspräsidenten, die zweitstimmenstärkste Partei den zweiten Nationalratspräsidenten und die drittstimmenstärkste Partei den dritten Nationalratspräsidenten stellt (es sei denn, das D´Hondt´sche Verfahren würde etwas anderes ergeben).
Nun rufen aber die Grünen dazu auf, als viertstimmenstärkste Partei den dritten Nationalratspräsidenten zu bekommen, mit Argumenten wie, das würde ein "weltoffenes Österreich" signalisieren.
Was wohl bedeutet, die Nicht-Wahl der Grünen-Kandidatin Blimlinger würde aus Sicht der Grünen ein "nicht weltoffenes, verschlossenes, rassistisches, rechtsextremes Österreich" bedeuten, oder so.
Vielleicht dürfte sich da eine gewisse Hybris der Grünen eingestellt haben. Bei aller Sympathie für grüne Inhalte, das geht irgendwie zu weit aus meiner Sicht.
Wenn Hofer bei der Amtsführung Fehler macht, könnte man ihn immer noch abwählen, oder nicht beim nächsten Wahl wiederwählen.
Auch die Möglichkeit, einen anderen FPÖ-Kandidaten als Hofer zu nominieren, nutzten die Grünen nicht.
Aber zurück zum traditionell dafür verwendeten D´Hondt´schen Verfahren: wenn man das anwendet auf die Wahl 2019, dann würden sowohl der erste als auch der dritte Nationalratspräsident laut D´Hondt der ÖVP zustehen, weil die Hälfte des ÖVP-Wahlergebnisses 37.5% eben 18.75 ist, was mehr ist als die 16% der FPÖ oder die 13.6% der Grünen.
Die aus Sicht der Proportionalität bessere Alternative zum D´Hondt´schen Verfahren ist das Sainte Lague-Verfahren, das nicht mit der Zahlenreihe der natürlichen Zahlen als Divisoren wie D´Hondt, sondern mit den ungeraden Zahlen arbeitet.
Da die 37.5% der ÖVP dividiert durch 3 12.5 ist und somit kleiner als die 16% der FPÖ und die 13.6% der Grünen, haben gemäß Sainte Lague sowohl die FPÖ wie auch die Grünen einen größeren Anspruch auf den dritten Präsidenten als die ÖVP.
Somit ist dieser Fall einer der Fälle, in denen D`Hondt und Sainte Lague zwei unterscheidliche Ergebnisse ergeben, was die Sitzverteilung betrifft: bei D´Hondt 2 ÖVP, 1 SPÖ; bei Sainte Lague 1 ÖVP, 1 SPÖ, 1 FPÖ.
Die FPÖ müsste so gesehen eigentlich für Sainte Lague sein, was sie aber vielleicht deswegen nicht ist, weil sie mathematischen Fragen kein Augenmerk schenkt und auch sonst manchmal intellektuell herausgefordert ist.
Das Grüne Argument mit der "Weltoffenheit" ähnelt irgendwie auch der "Demokratie der Gutmeinenden" in manchen Phasen der französischen Revolution, als Gremien festlegten, wer das Wahlrecht bekommt und wer nicht: wer es auch Sicht des Gremiums gut meinte, erhielt das Wahlrecht, wer es hingegen schlecht meinte, erhielt das Wahlrecht nicht. So ähnlich wie die gelenkte Demokratie im Iran, in dem der Revolutionäre Wächterrat entscheidet, wer kandidaieren darf und wer nicht.
Auch originell bei der Argumentation mancher Grünen: wenn ihre Kandidatin nicht gewählt wird, dann angeblich deswegen, weil die anderen Parteien autoritär seien und die Abstimmung nicht "freigeben" würden.