Wenn man sich die Aussagen des angeblichen Innenministers Nehammer zum jüngsten Abschiebungsfall anschaut, dann kann man den Eindruck bekommen, er handle nicht als Innenminister der Republik Österreich, sondern als reiner ÖVP-Wahlkämpfer, dessen Aufgabe es ist, der FPÖ Stimmen wegzunehmen. Damit zusammen hängt auch die Frage, ob es sich um österreichische Innenminister handelt, oder um ÖVP-Innenminister. Für einen ÖVP-Sicherheitssprecher wären solche Aussagen ja vielleicht in Ordnung, aber von einem Innenminister der Republik Österreich kann man bzw. sollte man anderes erwarten. Das, was der frühere Bundespräsident Kirchschläger sagte "Bundespräsident für alle Österreicher und Österreicherinnen" sein zu wollen, das kann man auch von einem Innenminister (oder einem heutigen Bundespräsidenten) wünschen. Die Polarisierung der Gesellschaft hält an; und auch die Blasenbildung und das Auseinanderdriften in unterschiedliche Meinungsklimas und -blasen.

Auch wenn man dieser Absicht, die FPÖ zu schwächen, vom Prinzip her mit einer gewissen Sympathie gegenüberstehen kann, weil die ÖVP in vieler Hinsicht besser ist als die FPÖ, stellt sich doch die Frage, ob hier nicht zu weit gegangen wird, ob man es hier nicht übertreibt mit dem Wahlkämpfen und ob hier die Beachtung der Gesetze, der Verfassung und des Rechtsstaats zu kurz kommt.

In diesem Sinne stellt sich natürlich auch die Frage eines etwaigen Amtsmissbrauchs durch Innenminister Nehammer: wenn ein Innenminister nicht seinen gesetzlichen Pflichten nachkommt, sondern diese verletzt, um Wahlkampf für die ÖVP zu machen und FPÖ-Wähler anzusprechen, dann ist das rechtlich äußerst problematisch.

Und es stellt sich auch die grundlegende Frage nach dem österreichischen System: ob das einzelne Individuum innerhalb einer extrem großen ÖVP nicht so machtlos ist, dass es zum puren Spielball und Sklaven von Kanzlers und Parteivorsitzendem Kurz wird.

Auch hier stellt sich wieder die Frage nach einer stärkeren Individualisierung des Wahlrechts, zum Beispiel durch Einerwahlkreise, oder durch eine Stärkung des Vorzugselemente und eine Ermöglichung des Stimmensplittings (dass man also die Parteistimme der einen Partei, aber die Personenstimme einer Person einer anderen Partei geben darf).

Und es stellt sich auch die Frage, ob man von den Parteiministern wegkommen soll und reine Beamtenminister, vielleicht sogar parteifreie Beamtenminister vorsehen soll. Im Gegenzug könnte man ja auch die Möglichkeiten erschweren, dass Beamte Parlamentarier werden, was auch einer stärkeren Betonung der Gewaltenteilung und Gewaltentrennung entspräche.

Und es stellt sich auch die Frage, ob man nicht zwei verschiedene Wahlakte vorsehen sollte für die verschiedenen Gewalten, eine Wahl für die Legislative (Gesetzgebung/Parlament) und eine Wahl für die Exekutive (Gesetzesvollziehung), um der Gewaltentrennung und Gewaltenteilung besser gerecht zu werden.

P.S.: ich bin übrigens ein früherer ÖVP-Unterstützer und -Wähler.

Die gegenständlichen Abschiebungen sind möglicherweise auch illegal gemäß Artikel 8 Menschenrechtskonvention, die von Österreich ratifiziert wurde.

"(1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.

(2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer."

Gerade in dem Fall der abgeschobenen Frauen bzw. Mädchen sind Gefährdung der nationalen, öffentlichen Sicherheit, etc. nicht zu erkennen. Umgekehrt können diese Frauen bzw. Mädchen, zumindest in der Zukunft den genau gegenteiligen Effekt haben in einer Zeit des Männerüberschusses und des Frauenmangels in zahlreichen Alterskohorten.

Es geht also hier sowohl um die Möglichkeit eines moralischen Amtsmissbrauchs, eines Mißbrauchs eines Staatsamts für Parteipolitik als auch um den juristischen Amtsmissbrauch.

Wobei natürlich ein Naheverhältnis besteht. Genauso wie man bei Kickl sagen konnte, dass er den Rollenwechsel vom Parteipolitiker zum Staatsminister nicht schaffte, kann man das von Nehammer auch sagen.

Allerdings Kickl bzw. FPÖ haben dafür die Regierungsbeteiligung verloren, hingegen Nehammer kann kaum was verlieren, weil die ÖVP so eine zentrale und unverzichtbare Position hat im Parteienspektrum.

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