Müssen Spanien und Deutschland aus der UNO ausgeschlossen werden?

Die Katalonienkrise könnte noch viel weitere Kreise ziehen, als bis jetzt ohnehin schon bekannt.

Die Position der spanischen Zentralregierung in Madrid in der Katalonienkrise war bisher immer, über Abspaltung Kataloniens oder mehr Föderalismus müsse man nicht einmal diskutieren, weil die spanische Verfassung eine Abstimmung über Kataloniens Unabhängigkeit verbiete.

Dieser Position schloss sich Deutschland an, das auch die Abschiebung von Carlos Puigdemont, dem politischen Anführer der katalonischen Separatisten bzw. Unabhängigkeitsstrebenden auch mit Berufung auf die spanische Verfassung beschloss.

Der springende Punkt, der bisher von allen, auch von allen Medien übersehen wurde, möglicherweise absichtlich, weil Deutschland und Spanien ja zentrale Großmächte der EU sind:

sowohl Spanien als auch Deutschland sind UNO-Mitglieder und die UNO-Charta enthält das Selbstbestimmungsrecht der Völker.

Man kann die Position vertreten, die spanische Verfassung sei ein Verstoss gegen die UNO-Charta, weil Katalonien in der spanischen Verfassung eben das Selbstbestimmungsrecht verweigert wird, das ihm laut UNO-Charta zugesprochen wird.

Wenn UNO-Mitgliedsstaaten gegen die UNO-Charta verstossen, mit ihrer Verfassung oder mit ihren Handlungen, dann ist das durchaus ein Argument, sie aus der UNO auszuschliessen.

Jetzt kann man sagen: Deutschland und Spanien seien keine Staaten, in denen UNO-Sitze sich befinden (die sind in New York, Genf und Wien), und daher kann Deutschland und Spanien die UNO-Charta eigentlich ziemlich egal sein.

Aber umgekehrt würde das bedeuten, dass Staaten mit UNO-City (also eben auch Wien und Österreich !) einen besonderen Wert auf die UNO-Charta legen müssen.

Und das wiederum könnte bedeuten, dass Österreich Puigedemont eben das politische Asyl gewähren sollte, das Deutschland verweigert.

Wobei sich natürlich der Eindruck der EPP-Nibelungentreue aufdrängt.

Sowohl die spanische Partido Popular von Ministerpräsident Rajoy als auch die CDU/CSU sind Mitglieder der EPP, der europäischen Volkspartei.

In Deutschland regiert derzeit eine große Koalition (also eine Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten), und wie gelernte Österreicher und -innen ja wissen, neigen große Koalition zur Vertuschung und bei großen Koalitionen ergibt sich oft ein Mangel an Opposition, ein Mangel an Debatte, ein Mangel an kritischer Auseinandersetzung.

EVP-Mitglied bzw. EPP-Mitglied ist auch die ÖVP des "Kinderkanzlers" Sebastian Kurz, der bisher in dieser Problematik ebenso wie sein Vorgänger Wolfgang Schüssel und die gesammelten Systemmedien durch großes Schweigen auffallen.

Freilich, auch Österreich ist ein Kleinstaat und traut sich selten, eine andere Position zu vertreten, als die, die von den europäischen Großmächten, also auch Spanien und Deutschland vorgegeben wird.

Auch interessant: das völlige Schweigen von UNO-Generalsekretär Guterres zu der Problematik. Das Schweigen von Guterres kann man auch als sozialdemokratische Nibelungentreue zur Schwesterpartei SPD, die in Deutschland regiert, betrachtet werden.

Auch er ist eigentlich kein Spanier, sondern ein Portugiese. Auch er ist Kleinstaatenmitglied einer großen Parteienfamilie, nämlich der SPE.

In der SPE gibt es dasselbe Phänomen wie in der EPP: Kleinstaaten trauen sich oft nicht, eine andere Position zu vertreten als die Großmächte.

Insbesondere nicht seit der GASP, der Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik.

Generalitat de Catalunya ? https://de.wikipedia.org/wiki/Carles_Puigdemont#/media/File:Retrat_oficial_del_President_Carles_Puigdemont.jpg

Legitimer Katalonischer Präsident oder Regionalvorsitzender oder Rebell und Verfassungsfeind Carles Puigdemont: Brecher der spanischen Verfassung oder schutzwürdig aufgrund der UNO-Charta ?

Die Katalonienkrise wurde wahrscheinlich auch wesentlich begünstigt und beschleunigt durch die auch vom Großteil der EU betriebene Abspaltung des Kosovo von Serbien, die als Eingriff in die territoriale Integrität betrachtet werden kann.

Spanien stand dieser Abspaltung immer kritisch gegenüber, eben wegen der Befürchtung, die Abspaltung des Kosovo würde Abspaltungstendenzen Kataloniens begünstigen, was dann auch passierte.

Ein deutscher Völkerrechtler schrieb anläßlich der Abspaltung des Kosovo prophetisch (ich zitiere frei und sinngemäß aus der Erinnerung): "Es steht zu befürchten, dass zur Linderung einer regionalen Konfliktssituation ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen wird, der anderswo, z.B. in Georgien, noch erhebliche Probleme schaffen wird."

Als Alternative zur völligen Unabhängigkeit werden normalerweise weitgehende Autonomierechte betrachtet, aber Katalonien hat nicht einmal die Möglichkeit, autonom den Wahltermin für seinen Vertretungskörper zu beschliessen, so wie die österreichischen Bundesländer das haben. Das würde auf österreichische Verhältnisse übertragen bedeuten, dass die schwarz-blaue Bundesregierung die Möglichkeit hat, z.B. dem roten Wien genau den Wahltermin vorzuschreiben, der am ungünstigsten für Rot-Grün ist.

Die Protestwelle in Wien, die das zur Folge hätte, möchte ich eher nicht erleben.

Der spanische Ministerpräsident Rajoy verkalkulierte sich kräftig, als er glaubte, durch seine Vorschrift von Neuwahlen die Mehrheit für die Separatisten bzw. Unabhängigkeitsstrebenden kippen zu können.

Auch das Argument, dass die territoriale Integrität (Spaniens) höher wiege, erscheint nicht sehr stichhaltig, weil die territoriale Integrität in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung verloren hat.

Und zwar erstens durch Europäisierung und Globalisierung.

Zweitens durch eine größere Bedeutung der Menschenrechte, die öfter als Rechtfertigung für Eingriffe in die territoriale Integrität betrachtet wurde. (Zum Beispiel in zusammenhang mit der "humanitären Intervention" und der "Responsibility to protect" ).

Ein großes Problem in diesem Zusammenhang ist natürlich das Fehlen einer effektiven globalen Gerichtsbarkeit, sodass alle Prinzipien (insbesondere durch die Großmächte) politisch beliebig verbogen und verschoben werden können.

Eine abgestimmte Judikatur existieren nicht, sondern es existieren nur Einzelfälle, in denen Großmächte ihre Meinung durchsetzen.

Man könnte das Bezeichnen als "Völkerrechts-Illusion" oder so wie der Professor für internationale Beziehungen an der Universität von Chicago, J.J. Mearsheimer, als "geopolitische Anarchie".

Der oben erwähnte deutsche Völkerrechtler war Georg Nolte von der Universität München, wenn ich das recht verstanden habe, und sein Artikel "Kein Recht auf Abspaltung" erschien 2008 in der FAZ.

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/f-a-z-gastbeitrag-kein-recht-auf-abspaltung-1515789-p2.html

Meine Kritik an der Position von Nolte wäre, dass er die internen Unterschiede innerhalb des Kosovo ausser acht liess.

Meiner Meinung nach war der Kosovo wegen des Fehlens von regionalen Minderheitenrechte für die regionale Mehrheit der Kosovo-Serben im Osten im Jahr 2008 nicht in einem Zustand der Anerkennungsfähigkeit. Was heissen würde, dass die Anerkennung des Kosovo durch die meisten Staaten der EU unter diesen Bedingungen und zu diesem Zeitpunkt falsch war.

Dieser Mangel wurde erst viele Jahre später, auch auf Druck der EU und Erweiterungskommissar Hahn, wenn ich das recht verstanden habe, auch auf Reaktion auf neue Spannungen, behoben.

Euronews-Beitrag über Scheitern der Wahl eines Präsidenten. Wahrscheinliche Folge: Neuwahlen in Katalonien.

Das sieht so aus, als wäre einstweilen Puigdemont legitimer Präsident, auch wenn Merkel und Rajoy das Gegenteil behaupten.

Gleichzeitig könnte der spanische Ministerpräsident Rajoy stürzen:

https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-05/spanien-mariano-rajoy-psoe-misstrauensantrag-korruption

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