Bei der heutigen Parlamentsabstimmung lieferten die NEOS ein für österreichische Verhältnisse seltenes clubzwangloses bzw. fraktionsdisziplinloses Verhalten:
4 der 15 NEOS-Abgeordneten (darunter Sozialsprecher Loacker, der auch hier auf FUF schon bloggte), stimmten gegen das Impfpflichtgesetz, die anderen stimmten dafür.
Normalerweise gilt in Nationalratsclubs das Spezialisierungsprinzip: jeder Abgeordnete arbeitet sich in sein Spezialgebiet ein, und bei der fraktionsinternen Debatte haben diese Themenexperten besonderes Gewicht, und die anderen mit weniger Expertise auf diesem Gebiet folgen ihnen oft im Stimmverhalten.
Diese Arbeitsteilung und dieses Stimmen mit den Parteiexperten auf diesem Gebiet wird in seltenen Fällen durchbrochen, den sogenannten "Gewissensfragen".
Auf jeden Fall zeigt dieser Fall, dass das mit dem angeblichen "Clubzwang" keineswegs so zwanghaft und automatistisch ist, wie von vielen behauptet.
Der Begriff des "Clubzwangs" ist auch ein seltsam abwertendes für eine arbeitsteilige Spezialisierung. Wenn man sich auf ein Gebiet spezialisiert und auf anderen Gebieten weniger Kenntnisse hat, dann ist man quasi "gezwungen", sich bei den anderen Themen auf andere Leute zu verlassen, die auf diesem Gebiet mehr Expertise haben.
"Clubzwangloses Verhalten" würde so gesehen bedeuten, ohne Kenntnisse bzw. mit weniger Kenntnissen als die Experten mit Erfahrung auf diesem Gebiet abzustimmen.
Der Begriff des "Clubzwangs" ist so gesehen ein verfälschender, der die Arbeitsteilung im parlamentarischen Arbeitsprozess unterschlägt.
Natürlich gibt es manchmal Übertreibungen in Sachen des sogenannten "Clubzwangs", aber das sollte kein Grund sein, die im Prinzip positive Spezialisierung zu diskreditieren.
Auch das Argument, der sogenannte "Clubzwang" widerspreche der Verfassung, speziell dem Artikel mit dem "freien Mandat", ist so nicht ganz zutreffend.
Jeder/jede Abgeordnete kann gegen den Clubzwang, bzw. die Fraktionsdisziplin stimmen, allerdings läuft er/sie dann Gefahr, nicht auf der nächsten Nationalratswahlliste aufzutauchen.
Die österreichische Verfassung mit starker Orientierung an Verhältniswahlrecht und Listenwahlrecht enthält quasi naturgemäß eine gewisse Unterordnung unter den Spitzenkandidaten, der die Wahlkampflast trägt und auf die Wahlen einen viel größeren Einfluss hat als ein im Wahlkampf kaum sichtbarer Hinterbänkler.
Daher: bevor man mit einer politischen Kampfmetapher wie dem angeblichen "Clubzwang" agiert, sollte man über die Alternativen nachdenken, und über die Vorteile des solcherart als "Zwangsregime" denunzierten Systems, nämlich die Spezialisierung und die Arbeitsteilung und die Themenzuständigkeit.
Natürlich gibt es Parlamente mit weit weniger Fraktionsdisziplin, wie zum Beispiel das US-Parlament. Allerdings hängen damit zusammen weitere gravierende Umstände, zum Beispiel die Einerwahlkreise, das relative Mehrheitswahlrecht (wer im Wahlkreis am meisten Stimmen erreicht, ist gewählt; Listen gibt es nicht). Und jeder Abgeordnete muss seinen eigenen Wahlkampf weitgehend selbst organisieren und für die Finanzierung sorgen.
Dieses System läuft auch hinaus auf ein Zweiparteiensystem (Republikaner und Demokraten), die allerdings im Normalfall intern pluralistischer sind als unsere Parteien.