Da wieder einmal Wahlen kommen, möchte ich auf die Tücken und Probleme des Wählens bei Obdachlosen hinweisen:
Obdachlose, wenn sie österreichische Staatsbürger sind, haben das Wahlrecht, aber in der Praxis ist es für sie oft schwierig, zum Wahlrecht zu kommen, weil das Wahlrecht in Österreich an die polizeiliche Meldung und an den Wohnsitz gekoppelt ist.
Überspitzt gesagt könnte man sagen, in Österreich gelte das gleiche Wahlrecht nicht, weil Mehrfachwohnsitzer (also Leute, die z.B. den Hauptwohnsitz in Wien und den Nebenwohnsitz in Niederösterreich haben) mehrfaches Wahlrecht zum Bundesrat haben, während Obdachlose fast wahlrechtslos sind.
Damit ein Obdachloser wählen (oder gewählt werden) kann, gibt es verschiedene Möglichkeit:
die Möglichkeit der halben Meldung: manche Obdachlosensammelstellen und -Kontaktstellen bieten eine pure Postadresse ohne Wohnung an, die auch in eine Meldung weitergeführt werden kann, aus der das Wahlrecht abgeleitet werden kann.
Aber das ist juristisch ziemlich heikel, und es wird je nach Amt unterschiedlich gehandhabt, sodass man es als Obdachloser unter Umständen bei verschiedenen Magistratischen Bezirksämtern versuchen muss, bevor man eine Meldung und das Wahlrecht bekommt.
Seit vor ca. 2 Jahren die Zahl der Obdachlosen in Wien, bzw. die Zahl derer, die versuchen, als Obdachlose registiert zu werden, sprunghaft angestiegen ist, haben zahlreiche Ämter die Kriterien verschärft, weil sie Sozialmissbrauch vermuten, oder Falschmeldung, d.h. dass man in NÖ wohnt, aber sich in Wien meldet; dass einem ein Freund Unterkunft gibt, aber dass man das nicht meldet; dass man sich bei jemandem, der gewisse Formen der Sozialhilfe und Wohnhilfe bezieht, die Unterkunftgebung verbietet, wohnt.
Auf jeden Fall wäre es günstig für jeden Obdachlosen, der am Wahlrecht interessiert ist, Einsicht zu nehmen in das Wählerregister und notfalls eine Beschwerde einzulegen: das ist ab 30. Juli möglich. Der Stichtag für die Erstellung der Wählerevidenzliste war der Meldestand vom 9. Juli. D.h. man ist für diese Wahl dort wahlberechtigt ist, wo man am 9. Juli gemeldet war.
Mir wurde gesagt, dass ich gefragt werden werde, wo ich die Nacht vor dem Wahlakt verbrachte, insbesondere in welchem Bezirk. Aber das ist so eine Sache: oft weiss man ja gar nicht, in welchem Bezirk man ist.
Womit wir beim nächsten Thema wären: wollen Obdachlose überhaupt wählen ?
Man könnte sagen, bei den Obdachlosen handelt es sich um eine Unterschichtgruppe, die sich fast völlig aus dem demokratischen Wahlprozess ausgeklinkt hat.
Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle:
1.) Viele Obdachlose empfinden alle Parteien unattraktiv und zuwenig auf sie eingehend. Als Reaktion auf gewisse Ausgrenzungsphänomene durch die Gesellschaft oder große Teile derselben boykottieren sie die Wahlen.
2.) Viele Obdachlose finden sich unterinformiert; sie haben keinen Fernseher und können daher die Fernsehdebatten nicht mitverfolgen, und genau diese Fernsehdebatten sind ein integraler Bestandteil des heutigen Wahlkampfs.
Stimmenthaltung wegen gefühlter Unterinformiertheit kann man durchaus sehen als reifes politisches Statement, das sich von der Wahlbegeisterung vieler Erstwähler unterscheidet, deren Radikalität und Unerfahrenheit mit ihrer Wahlbeteiligung korreliert.