Österreich braucht Berufsheer für Auslandseinsätze / Volksbefragung 2013 ungültig

Die Aleppo-Belagerungskrise und ähnliche Krisen, die eine Art österreichischen militärischen Realismus nahezulegen scheint, der sich nicht an "Shock and Awe", sondern an "Evacuate and Destroy" (Zerstörung potenzieller Kriegsbeute kann Kriegsführung unlohnend bzw. wenig lohnend machen) orientiert, erfordert auch eine Umkrempelung österreichischer Militärdoktrinen. Die Volksbefragung

https://de.wikipedia.org/wiki/Volksbefragung_zur_Wehrpflicht_in_%C3%96sterreich_2013

https://de.wikipedia.org/wiki/Shock_and_Awe

aus dem Jahr 2013 sollte als ungültig eingestuft werden, und das aus mehreren Gründen.

1.) Beide Seiten agierten populistisch. Für die Einen ging es nicht um die Sache (um die Frage, was für den Staat bzw. die Welt besser ist), sondern darum, bei Jungwählern wahltaktisch zu punkten, indem man ihnen die Wehrpflicht / Sozialdienstpflicht zu ersparen verspricht. Den Anderen ging es nicht um die Sache (um die Frage, was für den Staat bzw. die Welt besser ist), sondern darum, bei Altwählern wahltaktisch zu punkten, indem man ihnen Zivildienst verspricht.

2.) In der Debatte zur Volksbefragung wurden zahlreiche Aspekte nicht berücksichtigt.

3.) Die Fragestellung war invalide: „Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres?“ bzw. „Sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?“. Hier wurden zwei Fragen überlagert und in eins verschmolzen, die eigentlich hätten getrennt werden müssen in zwei Fragen:

Erstens "Sind Sie für ein Berufsheer oder für die allgemeine Wehrpflicht ?" und zweitens "Sind Sie für ein bezahltes freiwilliges Sozialjahr oder für Zivildienst ?"

In Anbetracht der Aleppokrise spreche ich jetzt einmal nur über die erste Frage: "Berufsheer oder allgemeine Wehrpflicht ?" Der ehemalige Bundeskanzler Schüssel meinte, die Europäisierung und die Komplexität moderner Waffensysteme mache ein Berufsheer notwendig.

Die Position hat etwas für sich, läßt aber auch zahlreiche Faktoren außer Acht. Milizsoldaten, d.h. Soldaten, die aus der gesamten Bevölkerung eingezogen werden, haben den Vorteil, dass sie ihr Land, bzw. ihr Wohngebiet gut kennen und so gesehen auch gut verteidigen können, auch wenn sie nicht erstklassig ausgebildet und geschult sind, so wie Berufssoldaten das sind.

Berufssoldaten können sich besser und länger vorbereiten auf Auslandseinsätze im Rahmen einer "responsibility to protect", wie sie innerhalb der UNO angedacht wird.

Ein zweiter Faktor, der in der Debatte unterging: die Bedrohungslage und Situation: Österreich bildet gemeinsam mit der Schweiz eine formal-neutrale Insel, die zu 100% von der NATO umgeben ist, und daher entweder gar nicht angegriffen werden kann, weil vorher die NATO angegriffen werden müsste, oder in einem Atomkrieg untergehen würde (weil ein Angriff auf die NATO, der notwendig wäre, um hinterher Österreich anzugreifen, wahrscheinlich in einen Atomkrieg münden würde), oder von der NATO angegriffen werden müsste und dann sowieso chancenlos wäre. D.h. unter neutralen Bedingungen braucht Österreich rein militärisch gesehen in der derzeitigen Konstellation überhaupt kein Heer, sodaß sich die Frage "Berufsheer oder allgemeine Wehrpflicht ?" erübrigt.

Nicht hingegen erledigt hat sich die Frage "Berufsheer oder allgemeine Wehrpflicht ?" im Falle wirklicher militärischer Aufgaben wie Beteiligung an einer Coalition of the Willing, die z.B. alle Zivilisten und Kulturgüter aus Aleppo (oder einem anderen wirklichen Kriegsgebiet) evakuiert (mit welchem Verkehrsmittel auch immer) und etwaig hinterher eine "Politik der verbrannten Erde" betreibt und den Rest von z.B. Aleppo zerstört, um die potenzielle Kriegsbeute möglichst gering zu machen und damit den (jetzigen und zukünftigen) Anreiz für Aggressoren bzw. potenzielle Aggressoren, Krieg zu führen, möglichst unlohnend.

Möglicherweise in weiser Voraussicht hat die österreichische Bundesregierung 2013 das Volk im Rahmen einer unverbindlichen Volksbefragung befragt, und nicht im Rahmen einer verbindlichen Volksabstimmung. Da Volksbefragungen unverbindlich sind, kann diese wegen der ungültigen Doppelfragestellung völlig verunglückte Volksbefragung mit besserer Fragestellung und besserer Debatte wiederholt werden.

https://de.wikipedia.org/wiki/Validit%C3%A4t

Vor dem Hintergrund der Aleppo-Krise sollten auch die Fragen diskutiert werden, ob die Neutralität Gültigkeit hat, wie sie zu interpretieren ist, ob es eine Abstimmung über die Neutralität geben sollte, etc.

Hier ein theoretisches Rechenbeispiel für die Überlagerung zweier nicht miteinander verbundener Fragen:

27% sind für Berufsheer und Zivildienst, aber Zivildienst hat für sie Priorität.

26% sind für Berufsheer und Sozialjahr, aber Sozialjahr hat für sie Priorität.

24% sind für Wehrpflicht und Zivildienst, aber Zivildienst hat für sie Priorität.

23% sind für Wehrpflicht und Sozialjahr, aber Sozialjahr hat für sie Priorität.

Wenn eine Überlagerungsbefragung durchgeführt wird "A) Sind Sie für Berufsheer und Sozialjahr ?" oder "B) Sind Sie für Wehrpflicht und Zivildienst ?", dann werden nur 26+23% (Minderheit von 49%) für A), hingegen 27+24% (Mehrheit von 51%) für B), und damit gegen Berufsheer stimmen, obwohl 27+26% (Mehrheit von 53%) für ein Berufsheer sind.

"Zivildienst versus Sozialjahr" ist die dominante Frage, die die Befragung entscheidet, während die "sub-dominante" Frage "Berufsheer oder Wehrpflicht" und damit die 53%-Mehrheit für Berufsheer untergeht.

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