Ich sitze gerade in einem internationalen Gastronomiebetrieb und höre den Leuten beim Smalltalk zu:
Und ein Thema, über das sich die Leute sehr angeregt unterhalten und wundern ist, dass Österreich das Land ist, in dem alle Clubs doppelt existieren.
Autofahrerclubs, ein roter, der ARBÖ (der Arbeiter-Radfahrer-Bund), für SPÖ-Wähler und Grün-Wähler und ÖAMTC Österreichischer Automobil- und Touring-Club), ein schwarzer Autofahrerklub, für ÖVP-Wähler und FPÖ-Wähler, oder so.
Ich habe mir darüber nie so den Kopf zerbrochen, vielleicht auch gedacht, das wäre überall so.
Aber erst die Art und Weise, wie diese Nicht-Österreicher darüber sprachen, hat in mir den Gedanken geweckt, dass wir Österreicher tatsächlich ein bisserl verrückt sind.
Diese Spaltung der Gesellschaft und diese Klubverdopplung, die Österreich zum Land mit den meisten Klubs macht, ist vielleicht eine Reflektion des Bürgerkriegs zwischen Roten und Schwarzen im Jahr 1934.
Einerseits rühmt sich Österreich, das Land der sogenannten Konsensdemokratie zu sein, mit Sozialpartnerschaft und so.
Aber andererseits sind da auch die Faschismusvorwürfe, bzw. Austrofaschismusvorwürfe, ein tief eingefahrener Lagerkonflikt, eine Spaltung des ganzen Landes in linkes Lager und rechtes Lager, der Debatten über Sachfragen fast unmöglich macht, und der dazu beiträgt, dass bei kleinen Unterschieden sofort Phrasen wie "DU Nazi !", "Du Klerikalfaschist !", "Du rotes Gfries !" und "DU Kummerl !" gedroschen werden.
Österreich leistet sich auch den Luxus eines doppelten Rettungswagensystems: einerseits der Arbeitersamariterbund, die rote Rettung, andererseits der Malteserorden, die schwarze Rettung.
Ein bisserl verrückt sind wir schon, wir österreichische Schildbürger, mit unserer ineffizienten Systemverdopplung.
Natürlich sind auch die Versicherungen ideologisch strikt getrennt: einerseits die Wiener Städtische für die SPÖ-Leute, andererseits beispielsweise die Grawe, die Grazer Wechselseitige für die Konservativen.
Natürlich bedeutet jede diese Verdopplungen doppelte Bürokratie doppelte Verwaltungskosten.
So gesehen ist dieser tief eingefahrene österreichische Lagerkonflikt natürlich auch saudumm, ineffizient.
Wir brauchen vielleicht mehr Konsens und mehr Konsensdemokratie und mehr Allparteienregierungen und Konzentrationsregierungen, wie es sie in manchen Bundesländern noch gibt. Und mehr direkte Demokratie, in denen das Volk entscheidet und nicht eine in unversöhnliche Lager gespaltene Politklasse.
Natürlich gibt es in Österreich auch keine gemeinsame Geschichtswissenschaft, sondern eine rote Geschichtswissenschaft und eine schwarze Geschichtswissenschaft, und weil die beiden sich nicht auf eine gemeinsame Geschichte einigen können, müssen natürlich zwei Häuser der Geschichte gebaut werden, ein rotes Haus der roten Geschichte in Wien und ein schwarzes Haus der schwarzen Geschichte in Niederösterreich.
Auch das bedeutet natürlich: doppelte Kosten, Vertiefung des Konflikts zwischen Stadt und Land (industrielle Arbeiterschaft ist ein eher städtisches Phänomen, während das Land eher bäuerlich geprägt ist), etc.
Aber egal, wir österreichische Schildbürger sind ja ein reiches Land und können uns als einziges Land der Welt alles doppelt leisten.
Bekannte Schildbürgerstreiche
Die Schildbürger bauen ein Rathaus: Als die Schildbürger ein neues, pompöses Rathaus bauen, vergisst der Architekt die Einplanung von Fenstern, und das Rathaus ist innen stockfinster. Daraufhin versuchen die Schildbürger, mit Eimern das Sonnenlicht einzufangen und ins Innere zu tragen.
Die Schildbürger verschieben das Rathaus: Eine Jacke dient als Markierung der Rathausverschiebung. Als ein Landstreicher die Jacke mitnimmt, glaubt man das Rathaus zu weit geschoben zu haben.
Der versalzene Gemeindeacker: Um unabhängig von den teuren Salzlieferungen zu werden, beschließen die Schildbürger, das Gewürz selbst anzubauen, und streuen eine Fuhre Salz auf den Gemeindeacker. Die Ernte der vermeintlichen Salzgewächse (in Wirklichkeit Brennnesseln) von Hand schlägt leider fehl. In Schildau ist der Schauplatz dieses Streichs als „Salzberg“ bekannt.
Der Kaiser kommt zu Besuch: Der Kaiser will zu Besuch kommen, um zu schauen, ob es wahr ist, was man über die Bewohner dieser Stadt sagt. Er lässt ihnen ausrichten, sie sollen zum Empfang „halb geritten und halb zu Fuß“ entgegenkommen, womit er meint, dass man zu Fuß gehen kann, wenn man kein Pferd besitzt. Die Schildbürger jedoch beraten darüber und kommen ihm schließlich auf Steckenpferden entgegengeritten. Am Ende seines Aufenthaltes in Schilda garantiert ihnen der Kaiser absolute Narrenfreiheit.
Die Kuh auf der alten Mauer: Weil auf einer alten Mauer hohes Gras wuchert, wollen einige Schildbürger das Gras entfernen, indem sie es von einer Kuh abweiden lassen. Um die Kuh auf die Mauer zu hieven, zerren einige starke Männer die Kuh an einem Seil nach oben. Da das Seil um den Hals gewickelt wurde, wird die Kuh schließlich stranguliert. Als die Schildbürger sehen, wie die Kuh die Zunge herausstreckt, rufen sie begeistert: „Kieck mol, da frett se schon.“
Die versunkene Glocke: Um die wertvolle Rathausglocke[12] vor dem Feind zu schützen, beschließen die Schildbürger, sie im See zu versenken. Um sich zu merken, an welcher Stelle des Sees sie die Glocke nach dem Ende des Krieges wieder herausholen können, schnitzen die findigen Bürger eine Kerbe in den Bootsrand. Als sie nach dem Krieg merken, dass sie so die Glocke nicht wiederfinden, schneiden sie vor Wut die Kerbe aus dem Bootsrand heraus, wodurch sie freilich nur noch größer wird.
Vom richtigen Verscheuchen der Vögel: Weil Krähen die frische Aussaat vom Gemeindeacker picken, sollen sie verscheucht werden. Damit der Gemeindevorsteher nicht die Saat zertrampelt, wird er auf einer Plattform von vier Männern auf das Feld getragen.
Baumstämme in die Stadt tragen: Die Schildbürger fällen Bäume und wollen nun die Stämme in ihre Stadt bringen. Sie stellen fest, dass das Stadttor zu schmal ist: Die Baumstämme passen der Breite (eigentlich der Länge, denn sie tragen sie parallel zur Mauer!) nach nicht durch. Also reißen sie links und rechts vom Tor die Stadtmauer ein, bis die Stämme hindurchpassen. Als die Schildbürger fertig sind, merken sie, dass es doch viel einfacher gewesen wäre, die Baumstämme der Länge nach durch das Tor zu tragen. Sie tragen nun also alle Baumstämme wieder aus der Stadt, mauern die Stadtmauer links und rechts wieder zu und tragen die Stämme abermals, nun der Länge nach, durch das Tor in die Stadt. (Fast dieselbe Geschichte wird auch von der Stadt Ulm erzählt.)
Wie die Schildbürger sich das Wissen eintrichtern wollten: Als eine Gruppe von Schildbürgern einmal Nürnberg besucht, fragen sie sich, worum es sich wohl bei dem Nürnberger Trichter handele. Ein Nürnberger behauptet, dass man durch den Trichter hindurch Klugheit aufnehmen könne, wodurch lästiges und zeitraubendes Lernen überflüssig werde. Die Schildbürger sind begeistert und probieren gleich aus, was er ihnen geraten hat. Die übrigen Nürnberger amüsieren sich prächtig über die Schildbürger und beginnen Wasserschläuche auf sie zu richten. Dies bewegt die Schildbürger jedoch dazu, noch eifriger zu „trichtern“, da sie das Wasser für Klugheit halten. Zurück in Schilda, erzählen sie den daheimgebliebenen Schildbürgern von ihrem Besuch in Nürnberg. Diese sind sehr beeindruckt, bis ein kleiner Junge Niespulver unter ihnen verstreut, was zu heftigen Niesanfällen führt. Die Schildbürger sind enttäuscht – so schnell sind sie ihr neu erlangtes Wissen wieder losgeworden.
Erziehung an einem Tag oder gar nicht
Als die Schildbürger ihren Fastnachtsumzug hielten
Ein Krebs kommt vor Gericht: Ein Krebs, der auf unerklärliche Weise in Schilda auftaucht, wird wegen Anmaßung und Betruges (wegen seiner Scheren wurde er für einen geborenen Schneider gehalten), Sachbeschädigung und Körperverletzung zum Tod durch Ertränken verurteilt.
Der Käse im Brunnen
Die Zerstörung von Schilda: Eines Tages kommt ein Wanderer nach Schilda, der eine Katze mitbringt. Die Schildbürger kennen keine Katzen und keine Krebse, dafür gibt es reichlich Mäuse. Der Wanderer verkauft ihnen die Katze, die er als „Maushund“ bezeichnet, mit dem Versprechen, dass Schilda dank dieser bald frei von Mäusen werde. Als ein Schildbürger den weglaufenden Wanderer fragt, was denn der „Maushund“ abgesehen von Mäusen sonst noch fresse, antwortet dieser: „Nur Speck frisst er nie.“ Der Schildbürger versteht jedoch: „Nur Menschen und Vieh.“ Die schockierten Schildbürger wollen den Maushund nun durch Ausräuchern loswerden und zünden das Haus an, in dem er sich befindet, doch die freche Katze springt vom Dach aufs Nachbarhaus. Auch dieses wird angezündet und so fort, bis ganz Schilda niedergebrannt ist – aber der „Maushund“ kann nicht gefangen werden.
Siehe auch:
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/reflexionen/vermessungen/944651-Der-neue-Buergerkrieg.html