Egal, ob Hillary Clinton´s "Never waste a good crisis!" ("Verschwende nie eine gute Krise!" ) oder das chinesische Schriftzeichen, das sowohl "Krise" als auch "Chance" bedeutet, oder Friedrich Nietzsche´s "Man muß Chaos in sich tragen, um einen tanzenden Stern gebären zu können": der Zusammenhang von Krise und Erneuerung ist naheliegend, weil in der Krise die Bereitschaft zu Erneuerung am größten ist. Dementsprechend könnte Österreich aus dem Wahlchaos rund um die Bundespräsidentschaftswahl einen Erfolg machen, indem es zum Beispiel als erstes Land weltweit ein Reihungswahlrecht a la Condorcet, Schulze oder Borda einführt.
Aus dem Rufschaden würde dann wie durch Zauberhand - schwuppdiwupp - ein international beachteter Erfolg.
Beim Reihungswahlrecht reihen die Wähler bzw. -innen die Kandidierenden: "Am liebsten ist mir X, am Zweitliebsten ist mir Y, etc."
Dadurch werden die Extreme nicht mehr belohnt, wie beim jetzigen Wahlrecht (Vertreter politischer Extreme haben besonders viele Erstreihungen, aber auch besonders viele Letztreihungen, weil sie vom jeweils anderen politischen Extrem am schärfsten abgelehnt werden, während Vertreter der politischen Mitte viele Zweit- und Drittreihungen haben), und es entstehen auch keine polarisierenden, gehässigen Stichwahlen, und es gibt auch keine Aufrufe zur Wahlmanipulation, wie vor dem ersten Wahlgang gesehen "Kreativ sein bei der Erlangung der Stimmen, aber nicht zu kriminell!"
Und es würde auch durch eine Wiederholung der Präsidentschaftswahlen mit Reihungswahlrecht das Problem behoben, dass der erste Wahlgang illegal war, weil die Kombination aus Medien, weit danebenliegenden Meinungsumfragen (bis zu 15% Abweichung) und demjenigen Teil der Wählerschaft, der taktisch wählt ("Ich würde ja gerne X wählen, aber weil Medien und Umfragen sagen, dass X keine Chance hat, in die Stichwahl zu kommen, wähle ich stattdessen lieber Y oder Z" )
ein Verletzung des Strafgesetzbuchparagraphen 263 "Täuschung bei einer Wahl" bedeutete.
Wenn taktische Wähler irregeführt durch Medien und falsche Umfragen nicht ihren Lieblingskandidaten wählen, sondern ihren zweitliebsten oder drittliebsten Kandidaten, weil nur diesem von Medien und Umfragen Chancen auf Stichwahleinzug eingeräumt werden, so wie das im ersten Wahlgang oft passierte, dann ist die gesamte Wahl "kontaminiert" (Das Prinzip der "Reinheit der Wahl", das der VfGH immer wieder zur Entscheidungsgrundlage machte, war dadurch verletzt) und muß in ihrer Gesamtheit wiederholt werden.
Bei einem Reihungswahlrecht würde man auch mit einem einzigen Wahlgang auskommen, womit sich irgendwelche Probleme beim zweiten Wahlgang erübrigen, schlicht und einfach, weil es keinen zweiten Wahlgang gibt. Und mit einem einzigen Reihungswahlrechtwahlgang würde auch die Wahlmüdigkeit vermieden, die sich jetzt schon einstellt.
In einem Aufwaschen könnte man auch andere Probleme lösen: die Präzisierung der schwammigen und ungenauen Formulierungen in Gesetzen (Beim Begriff "ernennen" ist unklar, ob er "frei auswählen" bedeutet oder "aufgrund der Parlamentsmehrheiten angeloben" oder "aufgrund der Einigung der Parlamentsparteien angeloben" ) wäre genauso möglich, wie eine gesetzliche und präzise Verankerung von schwammigen Usancen (heisst die Usance nun "Einen Vertreter der stimmenstärksten Partei mit der Regierungsbildung beauftragen" oder "Erst die stimmenstärkste, dann die zweitstärkste, dann die drittstärkste, etc. beauftragen" ?).
Und man könnte auch ein Kollektivorgan Staatsoberhaupt vorsehen, ähnlich der Schweiz, wo Vertreter der vier stimmenstärksten im Rotationsprinzip die Aufgaben des Staatsoberhaupt erfüllen. Hier könnten die 3 bis 6 erfolgreichsten Kandidaten im einzigen Reihungswahlgang gewählt werden.
Alles in Allem besteht für Österreich die Chance, aus einem Desaster einen Erfolg zu machen; man muß sich nur trauen, etwas Neues zu machen, was derzeit in keinem Land praktiziert wird.
(In Frankreich gab es vor ca. 200 Jahren Reihungswahlrecht, ebenso wie in der Piratenpartei).
Österreich hat jetzt noch ein Präsidentenwahlsystem, das für ein Zweiparteiensystem bzw. Zweieinhalbparteiensystem maßgeschneidert ist, so wie Österreich es bis in die 1980er Jahre hatte, aber mit dem Aufstieg der FPÖ und mit dem Entstehen der Grünen und später der NEOS hat sich die Parteienlandschaft total geändert, und es hätte eigentlich schon vor 30 Jahren das Bundespräsidentenwahlgesetz geändert werden sollen.
Österreich kann entscheiden, ob es Richtung Krise (samt Krisengejammer) oder Richtung Chance (mit Erneuerung) geht ...
Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Marie_Jean_Antoine_Nicolas_Caritat,_Marquis_de_Condorcet
https://de.wikipedia.org/wiki/Condorcet-Methode
https://de.wikipedia.org/wiki/Borda-Wahl
https://de.wikipedia.org/wiki/Schulze-Methode
https://de.wikipedia.org/wiki/Vorzugswahl
https://de.wikipedia.org/wiki/Instant-Runoff-Voting
Bundespräsidentenwahlgesetz:
http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000494
Bundes-Verfassungsgesetz:
http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000138
StGB §263 "Täuschung bei Wahl":
"(1) Wer durch Täuschung über Tatsachen bewirkt oder zu bewirken versucht, daß ein anderer bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung irrt oder gegen seinen Willen eine ungültige Stimme abgibt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen."
Der Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien, Drozda, meinte, es müssen alle Möglichkeiten für Manipulation ausgeschlossen werden.
Das bedeutet implizit, dass auch die Möglichkeit, mit Hilfe von falschen Meinungsumfragen die Wahlen über das taktische Wählen zu manipulieren wie im ersten Wahlgang, ausgeschlossen werden muss; und das geht wohl am besten mit Reihungswahlen bzw. Vorzugswahlen, die taktisches Wählen überflüssig machen und daher Wahlmanipulationen, die taktisches Wählen instrumentalisieren, unmöglich.