Im Internet kursiert die Behauptung, die ÖVP hätte in ihrer Zeit als Grazer Bürgermeisterpartei ein Wahlsystem in Graz geschaffen, das die ÖVP begünstige und die anderen Parteien benachteilige. Und diese ÖVP-geschaffene ÖVP-Bevorzugung würde angeblich verhindern, dass sich eine dunkelrot-grüne Mandatsmehrheit ausginge, sondern dass diese Parteien (KPÖ und Grüne) zusammen nur genau die Hälfte der Mandate erhalten, als 24 von 48, was um eines zuwenig ist, um den Bürgermeister oder die Bürgermeisterin zu stellen.
Diese Behauptung ist unwahr, wie ich mit den folgenden Rechnungen zeigen werde:
https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeinderatswahl_in_Graz_2021
https://www.meinbezirk.at/graz/c-politik/spoe-verpasst-den-stadtsenat_a4912525
Die KPÖ erhielt 34.283 Stimmen und 15 Mandate, also 2285,53 Stimmen pro Mandat.
Die ÖVP erhielt 30.797 Stimmen und 13 Mandate, also 2369 Stimmen pro Mandat.
Die SPÖ erhielt 11.325 Stimmen und 4 Mandate, also 2831,25 Stimmen pro Mandat.
Die Grünen erhielten 20.593 Stimmen und 9 Mandate, also 2288,11 Stimmen pro Mandat.
Die FPÖ erhielt 12.612 Stimmen und 5 Mandate, also 2522,4 Stimmen pro Mandat.
Die NEOS erhielten 6447 Stimmen und 2 Mandate, also 3223,5 Stimmen pro Mandat.
Insgesamt gab es also 116.057 wirksame Stimmen, also Stimmen für Gemeinderatsparteien. Und von diesen erhielt die KPÖ 34.283 und die Grünen 20.593 Stimmen, also zusammen 54.876 Stimmen, was weniger als die Hälfte der gesamten wirksamen Stimmen ergibt, das wären 58.029 Stimmen.
Die KPÖ und die Grünen sind die von der Wahlarithmetik begünstigten Parteien, weil sie die "billigsten" Mandate bekommen, mit den wenigsten Wählern und Wählerinnen pro Mandat.
KPÖ und Grüne zusammen erhalten 47.2% der wirksamen Stimmen, aber 50% der Mandate, was bedeutet, dass diese beiden Parteien überrepräsentiert sind. 47.2% der 48 Mandate wären nur 22.69 Mandate, aber die KPÖ-Grün ist mit 24 Mandaten über diesem Wert, also überrepräsentiert.
Hingegen haben die anderen vier Gemeinderatsparteien ÖVP, SPÖ, FPÖ und NEOS zusammen 52.8% der wirksamen Stimmen, aber nur 50% der Mandate, was bedeutet, dass sie in Summe um 2.8% unterrepäsentiert sind.
Es scheint sich hier ein Trend zur Begünstigung der größeren Parteien herauszukristallieren, so wie ihn das D´Hondt´sche Divisorenverfahren erzeugt.
Bei Verwendung eines anderen Divisorenverfahrens, nämlich des Sainte-Lague-schen, hätte sich ein anderer Mandatsstand ergeben. Und zwar KPÖ 14, ÖVP 13, Grüne 8, FPÖ 5, SPÖ 5, NEOS 3. D.h. beim proportionaleren Saintge-Lague-Verfahren, das sich langsam von Skandinavien nach Südeuropa ausbreitet und derzeit in Deutschland zu Gesetzesänderungen führt, hätten KPÖ und Grüne je ein Mandat weniger erhalten und SPÖ und NEOS um je ein Mandat mehr.
Auf jeden Fall ist die Behauptung im Internet, die ÖVP hätte in Graz in ihrer Nagl-Bürgermeisterzeit ein Wahlsystem geschaffen, das sie bevorzugt, falsch, wie diese obigen Rechnungen zeigen.
Und jetzt noch eine andere "Was wäre, wenn .."-Rechnung, um zu demonstrieren, was das D´Hondt-System macht:
Angenommen, es gäbe zwei postkommunistische Parteien, eine reformlinke Partei und eine traditionskommunistische Partei, auf die sich die Stimmen der KPÖ aufteilen und angenommen, es gäbe eine Sammelpartei aus ÖVP, FPÖ, SPÖ und NEOS, auf die sich die Stimmen dieser Parteien vereinen, dann ergäbe sich mit denselben Stimmenzahl bei D´Hondt ein anderer Mandatsstand:
KP1 7 Mandate, KP2 7 Mandate, Grüne 9 Mandate, Sammelpartei aus ÖVP-SPÖ-FPÖ-NEOS 25 Mandate.
D.h. die beiden Linksparteien würden durch Spaltung ein Mandat verlieren, hingegen die Sammelpartei durch Zusammengehen ein Mandat gewinnen.
Und das ist genau, was das D´Hondt´sche Verfahren macht: es begünstigt in geringem Maße (maximal ein Mandat) die jeweils größeren Parteien und benachteiligt die jeweils kleineren Parteien.