ORF bricht ORF-Gesetz und vertuscht Medienkritik und Umfragenkritik

Heute fand in der Ö1-Sendung "Punkt Eins" (um 13.00 Uhr, also um Eins) eine "Debatte" rund um Umfragen statt. Titel der Sendung "Wann ist eine Umfrage seriös ?"

Ich sandte ungefähr zur Sendungsmitte eine EMail an die Sendung, die zusätzliche Aspekte einbrachte.

In etwa folgenden Inhalts (den buchstäblich-genauen Text müsste ich noch mal aus meinem EMail-Account copypasten):

"Ein großes Problem mit Meinungsumfragen ist, dass sie illegal sein können, als Verstoß gegen §263 StGB: "Täuschung bei einer Wahl oder Volksabstimmung"

Man kann vermuten, dass Umfragen vor dem ersten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl 2016, die Van der Bellen einen großen Vorsprung von 10 - 14% vor Irmgard Griss auswiesen (während es in Wirklichkeit dann nur ca. 2.5% waren), zahlreiche taktische Wähler und -innen in die Irre führten, die dann nach dem Motto wählten: "Am liebsten wäre mir Irmgard Griss, aber weil die Medien und die Umfragen anzeigen, dass nur Van der Bellen Chancen hat, Hofer (FPÖ) zu besiegen, wähle ich Van der Bellen".

Ähnliches bei der Gemeinderatswahl in Graz: publizierte Umfragen wiesen der ÖVP einen ca.-20%-Vorsprung vor der KPÖ aus, weshalb viele ÖVP-Wähler und -innen zuhause blieben, im Glauben, der Wahlsieg der ÖVP stehe eh schon fest, weshalb dann die KPÖ die ÖVP überholte.

Als Möglichkeiten, derartige Wahlmanipulationen durch Umfrageinstitute zu verhindern, kommen Umfragepublikationsverbote kurz vor der Wahl infrage, oder auch Reihungswahlsysteme, Wertungswahlsysteme oder Ersatzstimmensysteme."

Diese EMail wurde nicht gebracht, bzw. verlesen, auch nicht auszugsweise, obwohl sie wichtige Aspekte brachte, die in der Debatte völlig fehlten.

Erstens ging die Debatte ausschliesslich um Nationalsratswahlen; Bundespräsidentenwahlen und ihre Fragwürdigkeiten wurden in der Sendung ausgeblendet.

Zweitens wurden in der Sendung Alternativen überhaupt nicht erwähnt, wie zum Beispiel Ersatzstimme, Reihungswahlsysteme oder Wertungswahlsysteme. Die einzige Alternative, die erwähnt und negativ besprochen wurde, waren Polit-Umfragepublikationsverbote unmittelbar vor Wahlen, wie sie in anderen Staaten verwendet werden. Erwähnt in der Sendung wurde die Möglichkeit, derartige Polit-Umfragepublikationsverbote kurz vor Wahlen zu umgehen, indem man nicht Parteien mit Prozentsätzen veröffentlicht, sondern ähnlichklingende Obstsorten mit denselben Prozentsätzen. Wenn man das gebrachte Argument, Verbote müssten abgelehnt werden, weil es Umgehungsmöglichkeiten gibt, dann müsste man wohl alle Verbote abschaffen, was in Chaos und Anarchie enden würde.

Viel mehr wurde die Problematik heruntergespielt, so nach dem Motto "Soviele Wähler werden das wohl nicht sein" (was wieder auf die Nationalratswahlen eher zutrifft als auf die Präsidentenwahlen).

Kleine Stimmenverschiebungen ändern bei Parlamentswahlen oft wenig: egal, ob z.B. die SPÖ mit 40 oder 44 Mandaten vertreten ist, sie wird in Parlamentsdebatten und Fernsehübertragungen derselben eine wichtige Rolle spielen, aber bei Bundespräsidentenwahlen ist die Situation eine völlig andere:

es geht nicht um die Frage, ob manipulative Umfragen Millionen beeinflussen (wie in der Sendung nahegelegt), die kritische Masse ist oft viel geringer: beim ersten Wahlgang der BP-Wahl 2016 erhielt Irmgard Griss 810.641 Stimmen, Van der Bellen 913.218 Stimmen, d.h. der Unterschied betrug 102.577 Stimmen. Das wiederum heisst, 51.300 Wählerinnen und Wähler, die wegen irreführender Umfragen Van der Bellen gewählt haben oder haben könnten, obwohl ihnen Griss lieber gewesen wäre, sind/wären ausreichend gewesen, um Griss vom zweiten Platz auf den dritten herabzustufen und sie aus der Stichwahl zu kicken. Die Tatsache, dass alle Umfrageinstitute in dieselbe Richtung irrten, kann übrigens als Indiz dafür gesehen werden, dass Umfrageinstitute voneinander abschreiben, dass sie die Unsicherheitsfaktoren bei Umfragen so modellieren und so annehmen, dass keine Umfrage rauskommt, die von den anderen Umfragen stark abweicht.

Diese 51.300 Stimmen wiederum wären 0.8% der Wahlberechtigten und 1.34% der abgegebenen gültigen Stimmen gewesen.

Es geht also nicht darum, durch manipulative Umfragen große Mengen irrezuführen, sondern es reichen bereits kleine Wählendengruppen, um ein Kopf-an-Kopf-Ergebnis umzudrehen.

Die publizierten Umfragen hatten für den ersten Wahlgang folgende Prognosen für den Vorsprung von van der Bellen gegenüber Griss behauptet: OGM 3, Gallup 6, Hajek 8, Unique Research 11, Spectra 9, SORA 11.

Alle diese Werte lagen über dem wirklichen Wert (teilweise weit, fast 9%), der sich im ersten Wahlgang ergeben hatte, nämlich 2.4%, sodass die These, dass diese Umfragen zahlreiche Wählerinnen und Wähler in die Irre führten oder geführt haben könnten, durchaus plausibel ist. Die pure Möglichkeit einer Veränderung des Wahlergebnisses ist übrigens für den VfGH ein Wahlaufhebungs- und Wahlwiederholungsgrund, allerdings nur im engeren administrativen Bereich, beispielsweise, wenn eine Partei, die einen gültigen Wahlvorschlag eingebracht hat, nicht am Wahlzettel erscheint.

Eine weiterer Kritikpunkt an der Sendung wäre, dass so getan wurde, als würde für politische Statistiken die rein mathematische Schwankungsbreite gelten, während gerade bei politischen Umfragen eine zusätzliche Problematik hinzukommt, nämlich die Deklarierungsbereitschaft (also die Bereitschaft, bei Umfragen die Wahrheit zu sagen über zukünftiges Wahlverhalten), die oft zusammenhängt mit Dämonisierungsprozessen: so sind zum Beispiel die Grünen bei Umfragen regelmäßig überbewertet, hingegen die FPÖ regelmäßig unterrepräsentiert. Aber nicht nur das, auch die Überbewertung der Grünen in den Umfragen und die Unterbewertung der FPÖ in den Umfragen schwankt im Laufe der Zeit. Umfrageinstitute haben daher Ratemethoden entwickelt, um zukünftige Deklarierungsbereitschaften und Deklarierungsbereitschaftsveränderungen abzuschätzen, aber diese Methoden sind allesamt sehr fragwürdig.

Da meine EMail wichtige Aspekte betonte, die in der Sendung nicht vorkamen, z.B. Illegalitätsfrage, Alternativen, BP-Wahlen, etc., stellt sich die Frage, ob der ORF mit seiner Entscheidung, meine EMail nicht zu bringen, bzw. zu vertuschen, gegen das ORF-Gesetz verstossen hatte.

Im ORF-Gesetz §1 (3) heisst es: "Der Österreichische Rundfunk hat bei Erfüllung seines Auftrages auf die Grundsätze der österreichischen Verfassungsordnung, insbesondere auf die bundesstaatliche Gliederung nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Länder sowie auf den Grundsatz der Freiheit der Kunst, Bedacht zu nehmen und die Sicherung der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, der Berücksichtigung der Meinungsvielfalt und der Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit von Personen und Organen des Österreichischen Rundfunks, die mit der Besorgung der Aufgaben des Österreichischen Rundfunks beauftragt sind, gemäß den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu gewährleisten."

Insbesondere einen Verstoß gegen Objektivität, Unparteilichkeit und Meinungsvielfalt kann das Nicht-Bringen bzw. Vertuschen meiner EMail darstellen.

Ebenfalls stellt sich gerade bzgl. dieser Sendung die Frage, ob hier zusätzlich gegen den Grundsatz der "Gleichbehandlung der Länder" verstoßen wurde, weil die Sendung von drei Wienern, bzw. Wienerinnen bestritten wurde. (Während ich einen starken Bundesländer-Bezug habe, was man auch an meinen Blogs erkennen kann)

Dass ich (trotz Monatsdefizit und Befreiungsunmöglichkeit) ORF-Gebühr dafür bezahlen muss, dass gerade in meinem Fall gegen das ORF-Gesetz verstoßen wurde, kann man als besonders absurd betrachten.

https://ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10000785

Wikipedia-Artikel zur BP-Wahl 2016

Hier die Ö1-PunktEins-Sendung:

https://oe1.orf.at/player/20240926/769760

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