Unter einem Paradigmenwechsel versteht man: bisher haben wir Alles falsch gemacht, und ab heute machen wir genau das Gegenteil.
Ein derartiger Paradigmenwechsel könnte auch in der Obdachlosenfrage anstehen.
Hiess es früher, Obdachlosenheime seien die ideale Lösung, um Obdachlose langsam und schrittweise an reguläres Wohnen heranzuführen und zu gewöhnen, so scheint die Devise heute und für die Zukunft zu sein: Housing first.
Das wichtigste für Obdachlose ist also, möglichst schnell eine reguläre Wohnung zu bekommen, was die derzeit in Wien zahlreichen Obdachlosenheime des Fonds Soziales Wien als überflüssig erscheinen lassen könnte.
https://derstandard.at/2000105117711/Wie-Wien-Obdachlosigkeit-drastisch-reduzieren-soll
Es könnte also sein, dass Wien in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten - egal, welche Partei oder welches Lager regiert - das Wiener Modell aufgibt und das Salzburger oder Skandinavische Modell übernimmt.
Und nicht nur, dass die Wiener Obdachlosenheime unnütz sind, sie könnten sich als kontraproduktiv erweisen, als Massnahme, die die Obdachlosen zusätzlich stigmatisiert (als "Sozialschmarotzer" beispielsweise) und die den Eindruck der Sozialverweigerer schafft ("Die Stadt tut soviel für Euch, und Ihr dankt es Ihr überhaupt nicht durch Wohnungsannahme" ). Auch hier sieht man: wenn es bei "Sozialen Themen" nur mehr um Wahlkampf geht und nur mehr darum, das andere Lager als "asozial", "ausbeuterisch" (Copyright Häupl) und "neoliberal" zu brandmarken, dann muss die Sozialpolitik gar nicht sozial sein. Der Asoziale Charakter, den Sozialpolitik vielfach hat, muss dann aus Wahlkampfgründen (und natürlich um die angeblich drohende Machtergreifung des Faschismus zu verhindern) von SPÖ- oder Grün-Nahen Medien und Journalisten vertuscht werden.
https://derstandard.at/2000076183313/Housing-First-Wohnungen-fuer-54-Obdachlose
Ich bin selbst möglicherweise ein Anlassfall dafür, weil in meinem Fall wie in vielen die Obdachlosenheime keine Heranführung an reguläres Wohnen bewirkte, sondern nur eine Winterüberbrückungsfunktion für neuerliche Obdachlosigkeit im Frühjahr hatte.
Es ist auch unrealistisch zu erwarten, dass die hohen Mietkosten von Leuten leichter bewältigbar sind, nur weil sie in einem Obdachlosenheim wohnten.
Vielmehr dürfte das umgekehrte eintreten: wer einmal zu niedrigen Nutzungsbeiträgen (oder überhaupt gratis) in einem Obdachlosenheim wohnte, der dürfte die Mietpreise in Wien (insbesondere im Zentrum) sowieso als horrend empfinden und daher Mietverhältnisse scheuen und alles andere bevorzugen, darunter auch Obdachlosigkeit.
Womit die Obdachlosenheime genau das Gegenteil des Beabsichtigten erreichen: nämlich ein Wegführen von der Wohnung, kein Hinführen an die Wohnung.
Auch kleine "Gemeinheiten" in Obdachlosenheimen wie Sexverbot, Besuchsverbot, Konflikte zwischen Verschiedenen Obdachlosenheiminsassen inklusive Betrug, räuberisches oder aggressives Borgen, etc., die durch die heterogene Herkunftsstruktur vielleicht begünstigt werden, könnten sich als vertreibungstechnisch-wirkungslos wegen der hohen Mietpreise erweisen.
Obdachlosenheime haben als Angestellte einen Mix aus Beschäftigten und Zivildienern, und gerüchteweise landen als Beschäftigte in Obdachlosenheimen manchmal diejenigen, die sich in Beamtenbereichen ein schweres Dienstversagen zuschulden kommen liessen.
Den skandinavischen Berichten, dass ein Nicht-Obdachloser den Staat 15.000 Euro (egal, ob pro Jahr oder insgesamt) verursachen durch Gerichtskosten, etc., stehe ich skeptisch gegenüber.
Der Begriff des "Paradigmenwechsels" wurde sehr wesentlich geprägt von Thomas S. Kuhn in seinem Buch "Die Struktur der wissenschaftlichen Revolutionen", in dem er den Übergang von Newtons Physik zu Einsteins Relativitätstheorie als "Paradigmenwechsel" beschrieb.