Polizei muß demokratisch sein, aber Demonstranten und Politik nicht ?

Der ORF, der sich schon des öfteren mit Polizeikarikaturen wie zum Beispiel dem Polizeipräsident h.c. Pilch in der Fernsehserie "Kottan ermittelt" ins Abseits stellte, kann es vielleicht gar nicht anders:

der Debattenbereich der PunktEins-Sendung zu Fragen der Polizeistrategien war meiner Meinung nach zu kurz gegriffen:

Deeskalation sollte nicht erst stattfinden, wenn Demonstranten, Gegendemonstranten und Polizei aufeinander treffen.

Oft sind schon im Vorfeld durch Politik, Parteien, Demo-Veranstalter die Weichen eher in Richtung Eskalation gestellt:

Das können Plakate oder Slogans wie "Unseren Hass könnt Ihr haben" oder "Entnazifiziert endlich Polizei und Justiz!" sein.

Der These von der rein lokalen Dynamik kann ich nicht zustimmen.

Eine Eskalationsstrategie innerhalb der Demo sind "Polizisten schützen die Faschisten!"-Rufe durch "Rädelsführer", wie sie im früheren aufgehobenen "Landfriedensbruchs"-Paragraphen sinngemäß vorkommen. Dieser Paragraph hatte zweifelsohne seine Fehler und Schwächen, aber neben der Abschaffung wäre auch eine Änderung eine Option gewesen, die aber verworfen wurde.

Und oft sind auch Medienstrategien die Ursachen dafür, dass so manche Demo-Veranstalter "auf Konflikt gebürstet" sind: gewalttätige Demonstrationen schaffen es manchmal eher in die Medien als friedliche Aktivitäten.

D. Knoflach

D. Knoflach

Anarchie und Freiheit ? Besteht hier ein Zusammenhang: bedeutet Freiheit die Freiheit, gewalttätig zu werden ? Legitimieren liberale Freiheitsideologien anarchistische Gewalt ? Wenn Freiheit erlaubt ist, wie können dann diejenigen Armen, die nicht die Freiheit haben, ein anderes Produkt zu kaufen als das billigste, zu Freiheit kommen ? Durch Gewalt ?

Selbst, wenn prinzipielles Demonstrationsrecht besteht, bedeutet das dann, dass die Organisatoren auch den Demonstrationsort frei wählen können, z.B. um im Rahmen einer Gegendemo die Freiheit der Anderen zu rauben ? So nach einer "Kein Fußbreit dem Faschismus"-Parole ? Oder nach Art einer "Don´t let the fascists have the streets"-Parole ?

? http://knowyourmeme.com/photos/1222414-antifa

Der politische Begriff des "Faschisten" ist natürlich wie viele in der politischen Rhetorik verwendeten Begriffe dehnbar: je weiter links man steht, um mehr Menschen wird man als angebliche oder wirkliche "Faschisten" betrachten.

D. Knoflach

"Vormarsch", "Widerstand", "Antifaschismus", "Regime"-Begriffe: ziviler Widerstand gegen demokratische Regierungen oder militärischer Widerstand gegen ein "Regime": Schwarz-Blau in 5 Jahren abwählen oder "Schüssel, Haider an die Wand" oder "Diese Regierung muß unter die Erde" wie im Jahr 2000?

Der Begriff des "antifaschistischen Karnevals", den der Philosoph Rudolf Burger im Jahr 2000 verwendete ist durchaus mehrdeutig (vielleicht auch mehrdeutiger, als er dachte): als buntes Spektakel, als gewaltgeneigte Vermummung (die Vermummung dient dazu, mit Gewaltakten unerkannt durchzukommen), als Drohung. Verkleidung und Gewalttat stehen für Viele auch in einem Zusammenhang bei dem Krampus-Fest; hier gibt es allerdings eine strikte zeitliche Begrenzung: nur in der Krampusnacht 5.Dezember.

Zu Hainburg: ich persönlich war nicht dabei, aber die Gewalt-Frage und die Widerstands-Frage überdeckte aus meiner Sicht zahlreiche Sachfragen in Zusammenhang mit Wasserkraft.

Auch die Einstufung, ob eine Person als "radikaler Demonstrant" oder als "Polizei-Provokateur" einzustufen sei, erfolgt meiner Meinung nach oft voreilig und zu schnell.

Natürlich hat die Polizei die Aufgabe, das Gesetz zu vollziehen, aber es stellt sich in manchen Situationen auch die Frage der Durchsetzbarkeit des Gesetzes: genauso wie es in anderen Städten Fälle von No-Go-Areas gibt, von Zonen, in denen die Polizei das angebliche "Gewaltmonopol des Staates" aufgibt bzw. aufgeben muss.

Eine große Menge von 100.000 Demonstranten ist durch eine kleine Zahl von Polizisten nicht wirklich kontrollierbar, wenn´s ins Extreme geht.

Ich begrüße übrigens die Teilnahme von Polizistinnen bei Demos, die vermutlich ins Gewalttätige abdriften könnten, weil sie eine deeskalierende Funktion haben. Auch wenn in vielen Fällen große, kräftige (männliche) Polizisten besser geeignet sind, um wirkliche Gewalttäter unter den Demonstranten zu arretieren.

Die Theorien rund um den Gesamtauftrag der Polizei, der mögliche zukünftige Reaktionen der Demonstranten voraussieht und nach einer Art Minimax-Strategie diejenige Vorgehensweise wählt, die insgesamt die niedrigste zukünftige "Gefährdung der öffentlichen Ordnung", ist in der Theorie recht nett, hat aber den Haken, dass sie auf Schätzungen zukünftiger Reaktionen basiert.

Ich persönlich kenne die Polizeistrategien nicht aus einer Insiderperspektive, aber ich würde nicht ausschliessen, dass manche derselben darauf hinauslaufen, durch Passivität die Demonstrantenmenge zu spalten in eine gewaltbereite Gruppe und eine gewaltablehnende Gruppe, damit die gewaltablehnende Gruppe erkennt, dass auch gewaltbereite Demonstranten dabei sind.

In manchen Fällen gibt es dann auch Menschenketten von gewaltablehnenden Demonstranten, die die Polizisten vor den gewaltbereiten Demonstranten schützen.

Ich stimme der These nicht zu, dass man grundsätzlich die Friedlichkeit aller Demonstrationsteilnehmer vermuten kann, es gibt schon Personen, die eine Art der "revolutionären Agenda" zu haben scheinen. Es geht hier manchmal nicht nur um Dampfablassen.

Das Vermummungsverbot ist aus meiner Sicht in diesem Fall und lokal und zeitlich begrenzt vertretbar, ebenso wie Bannmeilen, um eine Distanz zwischen Demonstranten und Gegendemonstranten zu schaffen. Laut Sicherheitspolizeigesetz wären in manchen Fällen auch Platzverbote (§36) vorgesehen, aber ich kann mich an keine erinnern; sie wäre auch schwer durchzusetzen, insbesondere bei großen Demonstrantenmassen; vielleicht dient dieses Gesetz hauptsächlich als Zeigegesetz, dessen Undurchführbarkeit die relative Ohnmacht der Polizei in manchen Fällen und die relative macht der Demonstranten vor Augen führen sollen. Man kann auch den Fall Hainburg 1984 als einen Fall betrachten, dass ein Platzverbot oder ein Räumungsversuch scheiterte.

Eine Nichtdurchsetzung des Vermummungsverbots, so wie von Generalmajor Dudek beschrieben, um eine momentane Gewalteskalation zu verhindern, hat nur einen Haken, der in der "Diskussion" unerwähnt bleibt: dadurch wird eine Sanktionierung der Gesetzesbrecher verhindert, die dann bei der nächsten Demo einen neuen Versuch in dieser Hinsicht unternehmen können; anders gesagt, es besteht die Gefahr, dass die Nichtdurchsetzung des Vermummungsverbots zukünftige Gewalttaten unter Vermummung ermutigt.

Ein Gegenargument, bzw. ein Argument, das Vermummungsverbot abzuschaffen, wäre vielleicht das Verlagerungsargument: gewalt, die nicht auf der Demo "geübt" werden kann, wird vielleicht woanders geübt.

Lauter Polizei-Trotteln aus ORF-Sicht ?

Gerade im roten Wien hat sich eine Tradition durchgestzt, die angebliche oder wirkliche "Zivilgesellschaft" als Korrekturinstrument gegenüber Wahlen und falsch wählenden Wählern zu betrachten:

Begrifflichkeiten wie "Putsch-Krapfen" aus dem Jahr 2000 könnten jetzt wieder vermehrt bei Anti-Regierungsdemonstrationen auftauchen.

Durch die FPÖ-Minister läuft der Sicherheitsapparat Gefahr, mehr als "Feind" und weniger als "Ordnungsmacht" wahrgenommen zu werden. (was natürlich kein Argument für den prinzipiellen Ausschluss der FPÖ von Regierungsbeteiligung sein soll)

Aber die Tendenz dazu gibt es nicht erst seit der Regierungsbeteiligung: manche Demonstrationen mit einem gewaltgeneigten Teil haben z.B. eine flexible Dynamik: wenn z.B. Burschenschafter attackiert werden sollen, falls sie kommen, aber die Polizei, falls keine Burschenschafter kommen (ich rede hier von Fällen aus der Zeit der SPÖ-ÖVP-Koalition).

Fasst man den Dialogbegriff der in der Sendung beschriebenen 3D-Strategie weiter, so ist der parlamentarische Dialog (Parlament kommt von Parlieren) ja insofern eingeschränkt, als durch die Vierprozenthürde, die für den Einzug in den Nationalrat nötig ist, kleine Gruppen und Parteien von Teilnahme am parlamentarischen Dialog ausgeschlossen sind, was umgekehrt eine radikalisierende Wirkung hat.

Allerdings ist das bei weitem nicht der einzige Aspekt, der in Zusammenhang mit der Vierprozenthürde zu betrachten ist.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat übrigens nach der Bundestagswahl 2013, bei der sich 17% unwirksame Stimmen ergaben, eine ähnliche Fünfprozenthürde für die EU-Wahl als verfassungswidrig aufgehoben.

Und völlig ausgeblendet wurde in der Diskussion, dass sich der systemkritische bzw. systemfeindliche Aspekt bei vielen Demoes oder Gruppen sich nicht nur auf die Polizei bezieht, sondern auch auf die Justiz:

Nur, weil Michael Häupl (der zum Glück bald nicht mehr Wiener Bürgermeister ist) erklärte, die Identitären gehören verboten, und Polizei und Justiz ein derartiges Verbot nicht beschliessen bzw. umsetzen, heisst das noch lange nicht, dass Polizei und Justiz Nazi-Institutionen seien, die die Gesetze brechen, und gegen die auch gewalttätiger Widerstand erlaubt sei.

0
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
0 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

Noch keine Kommentare

Mehr von Dieter Knoflach