Post-Privacy, Laptopdiebstahl bei Obdachlosen und Kriegsführung

Gestern wurde mir ein Laptop gestohlen, was bei mir als derzeit Obdachlosen besonders einfach ist, weil Obdachlose ihr Hab und Gut kaum beschützen können und weil die Obdachlosen ein Nicht-Thema sind, das als sozial pfui betrachtet wird, rufschädigend für die Stadt Wien, die dann doch als gar nicht soooo perfekt verwaltet und gar nicht soooo lebenswert dasteht, wie manche Studien und manche Wahlwerbung es erscheinen lassen:

Aus meiner Sicht fehlen in Wien auch und insbesondere für Obdachlose z.B.

1.) Haken bei zahlreichen Schlafgelegenheiten, an denen man wertvolle Sachen anketten kann.

2.) Kästchen, bei denen man Sachen einsperren kann. (kann durchaus geringfügig kostenpflichtig sein)

3.) Überwachungssysteme: Obdachlose treten oft in Gruppen auf, wobei oft Fälle vorkommen, dass Einzelne sich danebenbenehmen und die ganze Gruppe in Gefahr bringen, die Schlafstelle zu verlieren, nur weil die Behörden nicht herausfinden können, wer jetzt dafür verantwortlich war, wenn z.B. ein Streit ausbricht, ein Einzelner irgendwohinscheisst oder uriniert, wohin er nicht sollte, etc. Zahlreiche Obdachlose würden es als Gewinn empfinden, wenn sie beim Schlafen durch Videokameras überwacht werden, und könnten dann auch tiefer und entspannter schlafen als im permanenten Stress, im Schlaf beraubt zu werden, was im Falle von Obdachlosen des öfteren vorkommt, sowohl durch andere Obdachlose als auch durch Nicht-Obdachlose.

4.) Empfehlungsbroschüren für Obdachlose: einer der Tipps, die ich Obdachlosen (nach meinen Erfahrungen) geben würde, ist: verstauen Sie Wertsachen - wenn keine andere Sicherungsmöglichkeit oder Überwachung besteht - während des Schlafs im Schlafsack, auch wenn Wertsachen oder Schlafsack dadurch beschädigt werden könnte(n) und die Schlafbequemlichkeit leidet. Die Diebstahlgefahr ist größer.

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Laptopschlösser sind ziemlich sinnlos, wenn man sie nirgends anketten kann. Bei Fahrrädern finden wir es relativ normal, dass die Kommune Fahrradständer zur Verfügung stellt, damit man Fahrräder sicher anketten kann. Fahrräder und Laptops haben in etwa denselben Preis und Wert und sind ähnlich diebstahlgefährdet. Wegen des geringen Werts gibt es kaum effektive Systeme zur Ortung nach Diebstahl wie beispielsweise über GPS-Sender wie bei gestohlenen Autos.

Alarmanlagen für Laptops gibt es zwar, aber nach meinen Recherchen nicht mit Bewegungsmelder, und für andere Formen des Eindringen gedacht.

Ich bin nach wie vor der Meinung, dass Obdachlosigkeit in vielerlei Hinsicht eine positive Lebensform sein kann, zumindest zeitlich begrenzt, nicht im Winter. Die Vorteile sind kurze Wege, geringer Resourcenverbrauch (so gesehen Öko-Obdachlosigkeit), wenig Platzbedarf. Der oder die Obdachlose (laut deutschen Studien sind 90% der Obdachlosen Männer; in Österreich dürfte es ähnlich sein) ist irgendwie so eine Art Stadt-Thoreau von heute. Thoreau hatte sogar die in Obdachlosenkreisen auch heute noch relativ verbreitete Tuberkulose (heute sind es überwiegend Osteuropäer, die die Tuberkulose mit nach Wien bringen, eine der Schattenseiten der EU-Bewegungsfreizügigkeit, über die die Mainstreammedien den Mantel des Schweigens breiten).

In Wien dürfte es so sein, dass auch wegen der Vergewaltigungsgefahr für obdachlose Frauen Sozialwohnungen primär an Frauen vergeben werden, was aber umgekehrt bedeuten würde, dass Männer bei gleicher sozialer Bedürftigkeit (rein wegen der Einkommenshöhe) wegen der Vergewaltigungsproblmatik schlechter gestellt sind als Frauen.

Wenn ich eine Wohnung 12 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt bekommen sollte (noch dazu im dritten Liftlosen Stock, was in meinem Alter und sonstigen problemen nicht allzu lustig ist), zu hohen Kosten, dann stellen sich zahlreiche Frage: die der Leistbarkeit. Und die der Leistbarkeit ist nicht die einzige: wenn man sich die Miete spart, hat man mehr Geld für andere Sachen, z.B. Gesundheitsverbesserung, Essen, Kleidung, und eben Laptops, etc.

Bei der Anzeigeerstattung vermerkte die ziemlich verärgerte Polizeibeamtin richtigerweise, es existiere kein Videokameraüberwachungsmaterial.

Die Tatsache, dass es keine Überwachungssystem gegeben hat, das den Diebstahl entweder präventiv verhinderte oder den Täter leicht ausfindig machte, führte mich zu einem alten Thema der Internet-Community: der Post-Privacy-Bewegung.

Der Mainstream unter Hackern und Internetaffinen ist Hochhalten von Datenschutz und Privacy.

Aber es gibt auch einen Gegentrend, die Post-Privacy: Post-Privacy-denker und -innen gehen davon aus, dass die technologischen Errungenschaften die Aufrechterhaltung der klassischen Privatsphäre unmöglich machen.

Julia Schramm vertrat eine Zeitlang, während sie in der (deutschen) Piratenpartei war, eine Post-Privacy-Einstellung, die sie später aber wieder aufgab, angeblich nach einem Gespräch mit einem FDP-Minister oder so.

Ich bin kein reiner Vertreter der Post-Privacy und bin auch der Meinung, dass es gravierende Gegenargumente gibt, dass es in gewissen Bereichen möglicherweise Ausnahmen oder Begleitmassnahmen geben muss.

Aber prinzipiell bin ich der Meinung, dass Post-Privacy in der Internet-Community unterbewertet ist:

wenn Obdachlose und Untermieter den eigenen Laptop nicht einmal vor Diebstahl schützen können, dann ist jedes Sicherheitskonzept und jedes Privatheitskonzept hinfällig, das die Möglichkeit des Diebstahls des eigenen Laptops nicht mitbedenkt; und das tun die meisten Privacy-Theorien nicht, die von Programmierergruppen kommen, für die die Gruppe einen Schutz vor Laptopdiebstahl darstellt, den viele Einzelgänger (und -innen) nicht haben, womit für sie dann auch die gruppen-voraussetzenden Privacy-Konzepte unanwendbar werden.

Und Privacy ist auch ein Nerd-Thema: viele DAUs oder ähnliche haben weder die Grundkenntnisse noch die Zeit, um sich die oft extrem aufwändigen Privacy-Konzepte der Nerds anzueignen und sie anzuwenden.

Die Organisation "Privacy International" hat einen Privatheitsindex erstellt, hier für 2007. Der Index ist lückenhaft, weil es keine Partner in den entsprechenden Ländern gibt und teilweise von fraglichem Wert: so wird meiner Einschätzung nach zuviel auf die reine Gesetzeslage geachtet und zuwenig auf die Umsetzung.

https://de.wikipedia.org/wiki/Privacy_International#/media/File:Privacy_International_2007_privacy_ranking_map.png

Rot und orange bedeuten bedenkliche bis gefährliches Eindringen in Privatsphäre laut PI; grün bedeutet positive Privatheit und Datenschutz laut PI. (Die Grünen Werte im Falle von Griechenland zweifle ich leicht an, aus zwei Gründen: der griechisch-türkische Komflikt, der Privatheitseinschränkungen rechtfertigen müsste, bzw. als Rechtfertigung gesehen werden müsste; und die Tatsache, dass Griechenland gefälschte Werte für die Staatsverschuldung einlieferte, um Eurozonen-Mitglied werden zu können)

Das interessante ist:

die mächtigsten, weltpolitisch-bestimmenden und kriegsführenden Staaten der Welt, die großen Fünf, die fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats (USA, GB, R, CH), sind im Roten Bereich mit Ausnahme von Frankreich, das sich mit dem orangen Bereich immer noch in der Gefahrenzone befindet.

Und das ist auch logisch: Kriegsführung bedeutet die Möglichkeit und hohe Wahrscheinlichkeit von Gegenterror und erfordert Eindringen in die Privatsphäre und Durchleuchtung der Bürger.

Im Zweiten Weltkrieg praktizierten die Aliierten, deren Kampf gegen die Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan allgemein als positiv und gerechtfertigt betrachtet wird, die radikalsten Eingriffe in die Privatsphäre, bis hin zur Internierung aller Japaner in den USA.

Das erste, was Tony Blair gemacht hatte, nachdem er sich für den Irakkrieg entschlossen hatte, war, London totalzuüberwachen. Was von vielen Briten auch heute noch positiv bewertet wird, weil dadurch ihrer Meinung nach Dinge wie Charlie-Hebdo-Terror in Paris verhindert wurde.

Man kann die Sache auch so sehen, dass diejenigen Länder, die den Datenschutz und die Privatsphäre hochhalten, unsolidarisch seien und die Führung notwendiger Kriege (und die damit verbundenen Eingriffe in Privatsphäre) den anderen überlassen. Die Datenschützer sind hier die Schmarotzer, während die Belligerenten (Kriegsführenden) eine Post-Privacy-Attitüde vertreten.

Die Post-Privacy-Einstellung hat vielleicht auch eine gewisse Affinität zur Bevölkerungsdichte: in Japan existiert kaum Privatsphäre, auch deswegen weil die Leute so dicht leben und die Wände vielfach so dünn sind, dass man hört, was der Nachbar sagt.

Mit Bevölkerungswachstum und Bevölkerungsdichtenwachstum wird möglicherweise auch Europa (bzw. weite Teile davon) ihre Privatsphärenhochhaltung aufgeben müssen und mehr eine Post-Privacy-Einstellung übernehmen müssen.

P.S.: ich habe mich übrigens insbesondere im Wien-Wahlkampf 2015, IIRC, mit der Piratenpartei zerstritten, unter anderem darum, weil ich das sehr weitgehende Überwachungsverbot, das im Landesparteiprogramm stand, nicht mittragen konnte und wollte.

So, und jetzt noch zwei mysteriöse Umstände rund um den Laptop: erstens befand sich am Laptop auch der Text einer Mahnklage, die ich am 24. August im Justizzentrum eingebracht hatte, der aber nach der Post, die ich in meine alte Wohung erhielt, bzw. nicht erhielt, weder behandelt noch zur Korrektur zurückgesandt wurde.

Desgleichen scheint es zu so zu sein, dass die Rechnungsakten über diesen Laptop beim Verkäufer verschwunden sein könnten. Da ich mein Zeug in einem lager hatte, versuchte ich über den Verkäufer an verschiedene Daten heranzukommen.

Bei dem verschwundenen Text rund um die Mahnklage ging es um Rückerstattung eines großen Teils der Kosten eines gescheitertes Verfahren beim VfGH, um ein reines Verhältniswahlrecht durchzusetzen, und einen Umbau der Wiener Stadtverfassung zu erreichen, insofern, als Bezirke Gemeinden und damit selbständiger werden sollten.

Wenn eine Stadtverwaltung Obdachlosigkeit verschwinden lassen will, kann sie sie ja umbenennen in "urban Sleeping":

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Dieter Knoflach

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Markus Andel

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