Presse, Wirtschaftsblatt: Forderung nach mündelsicheren Hochrisikoanlagen ?

Die Zeitungen "Die Presse" und "Wirtschaftsblatt" scheinen in Artikeln mündelsichere Hochrisikoanlagen zu fordern, ein scheinbarer Widerspruch, selbst im Falle der "Beimischung". Das Wirtschaftsblatt (in seiner Online-Version) verlinkt zusätzlich falsch auf die "Presse".

http://wirtschaftsblatt.at/home/5070603/Das-Dilemma-mit-dem-Mundelgeld

http://diepresse.com/home/wirtschaft/recht/5070475/Sicherheit-oder-Ertrag_Das-Dilemma-mit-dem-Mundelgeld?from=suche.intern.portal

Erstens erscheint mir die geäußerte Befürchtung, Verwalter von Mündelvermögen könnten schadenersatzpflichtig werden, wenn sie wie gesetzlich vorgeschrieben, Mündelgelder sicher, also derzeit u.U. mit Negativzinsen oder Negativrealzinsen anlegen, eher unberechtigt.

Auch eine Amtshaftungsklage gegen die Republik Österreich oder gegen die EU wegen der von der EZB betriebenen Negativzinspolitik, die auf teilweise Enteignung oder Entwertung von Mündelgeld hinauslaufen kann, erscheint mir eher chancenarm.

Aber der eigentliche "Hammer" im Artikel verbirgt sich im Detail:

Zitat: "faktisch könnte es ein Ausweg sein, in geringem Ausmaß eben doch auch Geldanlagen beizumischen, die eine Chance auf einen leicht positiven Ertrag bieten – selbst wenn man dafür geringfügige Wertschwankungen in Kauf nehmen muss. Gefordert seien da Sachverständige als Hilfsorgane des Gerichts, um einen geeigneten Anlagemix zusammenzustellen – aber auch die Banken, die entsprechende Produkte entwickeln müssten."

Eines der großen Probleme und der großen Fragwürdigkeiten dieser Textpassage ist, ob man Wertschwankungen überhaupt begrenzen kann. Vor der Finanzkrise galt als allgemein gesichertes Wissen, dass die sogenannten Blue Chips, also Großunternehmen, die schon viele Jahrzehnte existieren, praktisch unsinkbar sind und regelmäßige Dividenden liefern, nur geringfügig im Wert schwanken können, mit angeblicher Verlustbegrenzung von 20%. Soweit die Theorie. Aber die Praxis der Finanzkrise sah völlig anders aus: die angeblich geringfügig schwankenden Aktienkurse der Blue Chips gingen teilweise auch um 70, 80 oder 90% zurück; ein Blue Chip bzw. vermeintlicher Blue Chip (General Motors) schlitterte sogar in den Konkurs.

https://de.wikipedia.org/wiki/Blue_Chip

https://de.wikipedia.org/wiki/General_Motors

Rein theoretisch könnte auch ein Finanzdienstleister Verluste der von ihm emittierten Produkte mit z.B. 20% durch Zusage begrenzen, aber wenn er mit den erhaltenen Geldern etwas kauft, war mehr als 20% Wertverlust hat, dann kann er dadurch selbst in Konkursgefahr kommen, wodurch auch seine "Versprechungen" und "Zusagen" dann wertlos werden.

Auch Sparbücher können Hochrisikoprodukte sein, insbesondere dann, wenn sie hohe Zinsen versprechen. Die Fälle (frühere) BAWAG, Riegerbank und einige Banken auf Kreta haben alle Gemeinsamkeiten: sie versprachen hohe Zinsen auf einfache Spareinlagen und schlitterten (eben dadurch?) in finanzielle Probleme, bzw. Konkurs. Merke, Konsument: je größer die Chancen, umso größer die Risken!

Ein weiteres Detail, das alarmierend sein sollte bei der Risikoeinschätzung, sind die Risikogruppenumstufungen im Zuge der Finanzkrise. Viele Finanzprodukte, die vor der Finanzkrise als "mit geringem Risiko und geringen Wertschwankungen" eingestuft waren, wurden im Zuge der Finanzkrise umgestuft auf "mit mittlerem Risiko" oder "mit hohem Risiko", ein Hinweis darauf, dass diejenigen angeblich Sachverständigen, die vor der Finanzkrise die Risikoeinstufungen vorgenommen hatten, falsch gelegen waren, und zwar im Kollektiv.

Viele Professoren der Wirtschaftswissenschaft hatten vor der Finanzkrise eine derartige Finanzkrise beruhend auf ihren mathematischen Modellen für ausgeschlossen erklärt, was die Finanzkrise aber nicht hinderte, dennoch einzutreten.

Ein besonderes Beispiel für eine derartige Fehleinschätzung von angeblichen Wirtschafts-Sachverständigen sind die beiden Wirtschaftswissenschaftsnobelpreisträger Myron Scholes und Robert Merton (Nobelpreise 1997). Der Investmentfonds Long Term capital Management, der von diesen beiden angeblich sachverständigen Wirtschaftswissenschafts-Nobelpreisträger als Direktoren verwaltet wurde, schlitterte im Jahr 1998 in einen Konkurs und verursachte eine kleine Finanzkrise.

https://de.wikipedia.org/wiki/Long-Term_Capital_Management

Natürlich können Banken oder andere Akteure des Finanzmarkts kreativ darin sein, undurchsichtige Produkte zu entwickeln, die Chancen suggerieren, aber Risken verschweigen und vertuschen, zum Teil auch unterstützt von Rating-Agenturen, die Finanzprodukte falsch einschätzen und damit Geldanleger in die Irre führen, wie zum Beispiel bei den gebündelten Immobilienkrediten, die wegen der Streuung und Vielfalt und Bündelung angeblich sicher sein sollte, was sich aber in der Krise des gesamten Immobilienmarkts in einigen Ländern (z.B. USA, GB, Spanien) als falsch herausstellte, weil alle Immobilienpreise einen breiten Rückgang erlebten. Und das, obwohl Immobilien und die damit verbundenen Kredite im Prinzip eine sichere Sache sind. Mit einer gravierenden Ausnahme: sub-prime-Kredite, das heisst Kredite an Schuldner mit sehr geringem Einkommen und sehr geringer Kreditwürdigkeit sind auch dann ein hohes Risiko, wenn man sie zu tausenden bündelt und in Pakete verpackt (obwohl Streuung tendenziell eher Risiko, allerdings auch Ertragschancen verringert). Normalerweise ist die Bewertung der Kreditwürdigkeit eine Expertenfrage, aber im Zuge der Liberalisierung (Überliberalisierung?) der Finanzwirtschafts wurde erlaubt, Immobilienkredite weiterzuverkaufen und weiterzugeben, wodurch sich der Focus der Kreditgeber verschob, weg von der langfristigen Rückerhaltungschance der Kreditsumme hin zur schnellen Provision und Weitergabe von Krediten.

Ein österreichischer Fall derartiger angeblich mündelsicheren oder zumindest als mündelsicher beworbenen Anlagen, die sogar im Hauptsegment der Wiener Börse gehandelt wurden, waren die partly paid shares der Meinl European Land (MEL).

Alles in allem ein komplexes, daher ebenso phantasieanregendes, wie riskenverschleierungsträchtiges Finanzprodukt, basierend auf Jersey-Recht (Jersey ist zwar theoretisch Teil von Großbritannien, aber für die EU exterritoriales Gebiet).

MEL bzw. dessen Management kam auch durch ein geheimgehaltenes Aktienrückkaufsprogramm in Verruf, obwohl laut österreichischem Recht derartige Aktienrückkaufprogramme veröffentlicht werden müssen.

http://derstandard.at/3279097/Raetsel-um-Partly-Paid-Shares-geht-weiter

Je komplexer die Produkte, umso komplexer müssen auch die Risikohinweise sein, die Banken und andere Finanzmarktakteure laut Gesetz an ihre Kunden erteilen müssen. Aber die Probleme dabei sind folgende:

1.) Bankangestellte sind oft überfordert mit der Komplexitität der Finanzprodukte und können die Risikohinweise gar nicht erteilen.

2.) bei geringen Beträgen lohnt sich die Beratung und die rein theoretisch gesetzlich vorgeschriebenen Risikohinweise für Finanzproduktverteiler nicht, weshalb diese oft nicht erfolgen, auch wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist.

3.) im konkreten Fall der Risikohinweise an Pflegschaftsgerichte und Vormundschaftsgerichte kommt zusätzlich die Überlastung der Gerichte zum Tragen: wenn Richter bzw. Richterinnen, die gerade mal den Arbeitsaufwand der jetzt abzuarbeitenden Akten bewältigen können, wie sollen sie dann zusätzlichen Arbeitsaufwand durch komplexe Risikohinweise komplexer Finanzprodukte für Unmündige bewältigen ?

Und jetzt zu meiner persönlichen Zukunftsprognose oder Zukunftsriskenprognose: angenommen die Notenbanken von USA, EU und Japan entschliessen sich dazu, von Niedrigzinspolitik auf Normalzinspolitik oder Hochzinspolitik zu wechseln, dann sind alle Risikoeinschätzungen, die auf der Fortschreibung momentaner Trends und Zustände beruhen, u.U. völlig zum Kübeln, also wertlos. Dann könnten Produkte, die noch vor kurzem nur geringfügig schwankten, auf einmal massiv schwanken, also auch massiv an Wert verlieren. Dies kann Aktien, Immobilien oder Anleihen und vieles andere mehr betreffen. Und ja, dies ist natürlich ein worst-case-scenario, also eine der schlimmsten denkmöglichen Entwicklungen, außer für Baisse-Spekulanten natürlich, die von fallenden Kursen profitieren, z.B. durch Leerverkäufe.

(What goes up, must come down ? Was steigt, muss auch wieder fallen ? Copyright: Shutterstock)

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