Der Fernsehsender Puls4 (vertreten durch Corinna Milborn ud Markus Breitenecker) hat beim Handelsgericht Wien eine erstinstanzliche Entscheidung erwirkt, die youtube vorschreibt, upgeloadete Videos auf etwaige, mögliche Urheberrechtsverletzungen zu prüfen.
Dadurch ergeben sich gravierende Verschiebungen in der gesamten Medienlandschaft:
youtube war insbesondere in der Blogger-Szene sehr beliebt, aus vielerlei Gründen:
1.) es war eine allgemeine Filmdatenbank. Während die etablierten Fernsehsender nur ihre eigenen Filme und Sendungen archivieren und verfügbar machen, war youtube das einzige senderübergreifende Archivierungssystem, was schnelle und einfache Recherchen ermöglichte, die durch die Vielfalt der Sender und die Vielfalt der kleinen Archive sehr viel schwieriger waren.
2.) youtube hat die viel größere Speicherlänge. Während die etablierten Sender die Sendungen nur für kurze Zeit (eine bis zwei Wochen) archivieren, waren Filme in youtube viel länger abrufbar.
3.) youtube ermöglichte sehr flexibles Betrachten von Filmen. Bei youtube konnte man z.B. 10 Sekunden zurückspringen und sich eine Passage genauer und wiederholt ansehen, während zahlreiche Fernsehsender das Betrachten von Filmen nur kontinuierlich ermöglichten.
4.) zahlreiche Blogger-Plattformen waren auf youtube abgestimmt. Eine Änderung auf jeden einzelnen Sender würde Umprogrammierung erfordern.
5.) zahlreiche Sendungen von etablierten Fernsehsendern oder Radiostationen sind massiv fehlerhaft. Durch die zeitlich-begrenzte Archivierung bei den Senderarchiven können Fehler nach Archivierungsende nicht mehr nachrecherchiert werden. Zusätzliche Auflagen und Uploadverbote für youtube bedeuten auch, dass mangelhafte und rechtswidrige Sendungen nicht mehr kritisiert werden können. Es stellt sich daher die Frage, ob es das Ziel von Puls4 ist, rechtswidriges Verhalten der etablierten Sender zu vertuschen.
6.) Aufgrund der engen Zusammenarbeit von Puls4 mit dem ORF, z.B. in Sachen Wahlkampf und aufgrund der Verflechtung mit deutschen Mediengiganten (Pro7Sat1) entsteht hier ein Medienriese, der alternative Medien schwächt und eine Bedrohung der Medienvielfalt darstellt.
https://datenschmutz.net/puls4-gegen-youtube/
Die Datenschmutz-Schlagzeile lautet: "Puls4 will das Internet kaputt machen (und feiert erste Erfolge)"
Das Urteil im Volltext ist noch nicht in das RIS (das Rechtsinformationssystem des Bundes) eingebettet, aber es gibt eine OTS-Aussendung von Puls4:
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20180606_OTS0177/puls-4-gewinnt-prozess-gegen-youtube
Der springende Punkt ist: wie soll man rechtsverletzende Inhalte als rechtsverletzend kritisieren, wenn man sie nicht mehr hochladen kann, weil sie rechtsverletzend sind ?
Das ist irgendwie wie Catch-22: um wehrdienstuntauglich zu sein, muss man einen Antrag stellen, was die Wehrdiensttauglichkeit beweist.
Außerdem stellt sich die Frage des Graubereichs und des Vorsichtsprinzips: oft ist gar nicht vor einem rechtskräftigen Urteil klar, ob ein Inhalt rechtswidrig ist, aufgrund von zahlreichen Umständen, daher führen derartige Verbote oft dazu, dass Plattformen wie youtube nach dem Vorsichtsprinzip löschen, und löschen, wenn der Verdacht besteht, dass ein Inhalt rechtswidrig sein könnte.
Indem Puls4Pro7Sat1 dieses Urteil überhaupt anstrebte, offenbarte es seinen antidemokratischen Charakter; seinen Charakter als demokratiewidrige und meinungsvielfaltswidriger Sender, der an der Vertuschung der eigenen Fehler bei gleichzeitiger Profitmaximierung interessiert ist, was man als die Klimax des Neoliberalismus bezeichnen sein kann.
Die einzige Hoffnung, die noch bleibt, ist wohl, dass das Urteil anders aussieht, als die OTS-Aussendung nahelegt, oder dass ein zweitinstanzliches Urteil nachkommt, das das erstinstanzliche aufhebt.