Ein arabisches Sprichwort besagt: "Reize nie einen tollwütigen Hund. Erschieße ihn oder lasse ihn in Ruhe, aber reize ihn nicht!" (Womit ich nicht gesagt haben will, dass Erdogan ein tollwütiger Hund sei)
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde heftig dafür kritisiert, dem vom türkischen Präsidenten Erdogan geforderten Verfahren gegen Böhmermann zuzustimmen. Aber sie könnte in der Tat ein starkes Argument auf ihrer Seite haben: der Islam ist eine stärker kollektivistische Kultur bzw. Religion, als wir das aus der Sicht unserer Kultur heraus gewohnt sind.
Wenn es kein rechtsstaatliches Verfahren in Sachen Böhmermann gäbe, dann bestünde unter Umständen die Gefahr des Faustrechts, die Gefahr, dass einige extremistische Erdogan-Fans oder einige türkische Nationalisten oder einige islamische Fundamentalisten das Recht in ihre Hand nehmen und ein Attentat auf Böhmermann verüben.
Aus Sicht unserer Kultur mag dieser Staatsoberhaupts-Beleidigungsparagraph seltsam, undemokratisch, vormodern, etc. aussehen. Aber gerade in außenpolitischen Fragen ist die eigene Kultur bei weitem nicht die einzige, die zählt.
Um´s zynisch und hart und überspitzt zu sagen: die extreme Äußerungsfreiheit von Böhmermann (dass seine Vorrede in Zitaten weggelassen werden würde, war vorhersehbar) ist möglicherweise keine Toten und Verletzten, keinen Krieg mit der Türkei wert. Und ob Böhmermann nun in Schutzhaft oder in Haft wegen Ehrenbeleidigung genommen wird, ist kein so extrem großer Unterschied.
Die große Koalition in Deutschland könnte möglicherweise genau das Richtige machen, nämlich sich bzgl. der Böhmermann-Frage zu zerstreiten. Die SPD gibt (for home consumption) den prinzipientreuen Demokratie- und Meinungsäußerungsbefürworter, die CDU die Religionsversteher-Partei.
Dieser Text soll kein Plädoyer für eine Beibehaltung dieses Paragraphen sein, sondern nur für eine Nicht-Nicht-Anwendung in diesem Fall, zumindest, was die Einleitung betrifft. Dieser Text soll auch kein Plädoyer zur Feigheit sein, sondern dafür, Zeitpunkt und Ausgangsposition für eine etwaige Konfrontation gut auszusuchen.
Und zum Abschluss noch der sinngemäße EMail-Verkehr, den ich mit der für den Fall Böhmermann zuständigen Staatsanwaltschaft Mainz hatte (einige Daten habe ich anonymisiert):
Sehr geehrter Herr Knoflach,
Ihre Eingabe habe ich wegen des in Rede stehenden Sachverhaltes entgegengenommen.
Mit freundlichen Grüßen
xxxx xxxxxxxxxxxx
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xxxx xxxxxxxxxxxx
Oberstaatsanwalt
- stVLOStA-
STAATSANWALTSCHAFT MAINZ
Ernst-Ludwig-Straße 7
55116 Mainz
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Von: xxxxxxxxxxxxxxxxxx
Gesendet: Dienstag, 12. April 2016 20:41
An: xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
Betreff: Verfahren gegen Böhmermann wegen Beleidigung eines Staatsoberhaupts
An die
Staatsanwaltschaft Mainz Dieter Knoflach
Ernst Ludwig-Str. 7 xxxxxxxxxxxx
D-55116 Mainz xxxx Wien / Österreich
Deutschland 11.4.2016
Betrifft: Verfahren gegen Kabarettisten Jan Böhmermann wegen Beleidigung eines Staatsoberhauptes / Schmähkritik / Passage „Christen hauen“
Sehr geehrte Damen und Herren !
Es ist mir ein Bedürfnis, Sie darüber zu informieren, dass an der Passage „Christen hauen“ in der angeblichen oder wirklichen „Schmähkritik“, die Böhmermann am türkischen Präsidenten Erdogan übte, mehr Wahres ist, bzw. sein könnte, als so manchem bewusst ist.
Ich bin und war 1997 formal katholisch (wenn auch kein typischer Katholik), und der Katholizismus ist eine Variante des Christentums.
Ich wurde 1997 Opfer einer Körperverletzung durch einen Türken, die mutmaßlich beeinflusst gewesen sein könnte durch eine Äußerung des jetzigen türkischen Präsidenten Erdogan.
Erdogan hatte spätestens 1998 zum ersten Mal genau das gesagt, was derjenige Türke gesagt hatte, der mir eine Körperverletzung zugefügt hatte, nämlich „Die EG ist ein Christenclub, der Muslime ausgrenzt“. Erdogan war in den 90er Jahren Bürgermeister von Istanbul.
Meine Türkisch-Kenntnisse sind nicht gut genug, um zu eruieren, ob Erdogan diese Äußerung auch vor der Körperverletzung 1997 tätigte, und der Türke, der mir diese Körperverletzung zufügte, diese Erdogan-Äußerung durch Medien kennenlernte bzw. kennenlernen konnte, aber es könnte sein und es könnte noch nachprüfbar sein.
Im übertragenen Sinn kann man eine derartige Aussage, die zu Gewalt führen kann, als „Christen hauen“ bezeichnen, sodass die angebliche „Schmähkritik“ von Böhmermann mehr Wahrheitsgehalt haben könnte als allgemein bekannt.
Falls das Verfahren gegen Böhmermann an diesem Detail hängen sollte, könnte man der Sache genauer nachgehen.
Mit freundlichen Grüßen, der Bekundung der Bereitschaft zur Zusammenarbeit und der Bitte um Empfangsbestätigung bzw. der Bestätigung, dass diese Nachricht an die passende Stelle weitergeleitet wird
Dieter Knoflach
Foto: Shutterstock / Orlok