Rot-Grün fördert Strache, damit er rot-grüne Mehrheit schafft

Man glaubte es kaum: der vom SPÖ- und Ex-VSStÖ (Verband sozialistischer Studenten)-Mann Wrabetz geleitete ORF gab in der von grün-affinen Reiterer geleiteten Sendung "Im Zentrum" dem früheren FPÖ-Obmann und Vizekanzler Strache, der sich von der FPÖ abgespaltet hatte, eine Riesenplattform für den Wien-Wahlkampf.

Das sieht auf den ersten Blick völlig verrückt und unlogisch aus: wieso sollten SPÖ und Grüne den Ex-FPÖ-Vizekanzler Strache, also eigentlich genau ihrem thematisch-politischen "Feind" und Antipoden, fördern und ihm eine Medienplattform geben ?

Der Grund dafür, warum es sinnvoll sein kann, den eigenen "Feind" zu fördern, ist die Wahlarithmetik, die in diesem Fall von früheren SPÖ-Gemeinderatsmehrheiten bzw. von rot-grünen Mehrheiten geschaffen wurde.

Wien hat mit einer Fünfprozenthürde die höchste Hürde zum Einzug ins Parlament in Österreich. Die zweitgrößte Stadt Österreichs, Graz hat gar keine derartige Hürde, sodass auch Parteien mit 2-5% Stimmenanteil den Einzug ins Grazer Stadtparlament schaffen können (was auch regelmäßig passiert), was in Wien unmöglich ist.

Bei einer Stimmenverteilung von SPÖ 35%, Grüne 13%, ÖVP 28%, FPÖ 12%, NEOS 8%, Strache-Partei 4% ergäbe sich (rein hürdenmäßig) ein Mandatsstand von SPÖ 37, Grüne 14, ÖVP 29, FPÖ 12, NEOS 8, und somit eine rot-grüne Mehrheit von 51 der gesamt 100 Mandate, weil die Strache-Partei an der Fünfprozenthürde scheitern würde und die Mandate, die ihr ohne Hürde zustehen würden, an die anderen Parteien verteilt werden.

Dass aus einer rot-grünen Stimmenminderheit von 48% eine Mandatsmehrheit von 51% würde, bezeichnet man in der Politikwissenschaft als "manufactured majority", also als künstlich durch das Wahl- oder Mediensystem geschaffene Mandatsmehrheit ohne Stimmenmehrheit.

Wenn hingegen Strache keine Unterstützung der rot-grünen Medien hätte und der FPÖ nur einen Prozent wegnähme, dann ergäbe sich bei der Stimmenverteilung von 35, 13, 28, 15, 8, 1 (rein hürdenmäßig) eine Mandatsverteilung von SPÖ 36, Grüne 13, ÖVP 28, FPÖ 15, NEOS 8, und somit keine rot-grüne Mandatsmehrheit, sondern eine ÖVP-FPÖ-NEOS-Mandatsmehrheit von 51 der insgesamt 100 Mandate.

Mit anderen Worten: die Fünfprozenthürde erzeugt nicht nur taktisches Wahlverhalten der Wählerinnen und Wähler und taktisches Falschprognostizieren der Umfrageinstitute, sondern auch taktisches Unterstützen der eigenen "Feinde" durch Medien und politische Parteien, um das eigene Wahlergebnis zu maximieren bei gleichbleibendem Stimmenstand.

Was auch interessant ist, ist, dass diese wahltaktischen und wahlarithmetischen Spielchen zeigen, dass es oft eine indirekte Zusammenarbeit der sogenannten "Feinde" gibt, und dass das Links-Rechts-Schema in diesem Fall nicht nur nicht zutreffend, sondern grundfalsch ist: wegen der Hürde kann es wahlarithmetisch sinnvoll sein, dass die "Linke" das unterstützt, was sie "Rechtsextremisten" nennt, und dass Strache die rot-grüne Unterstützung dankbar annimmt, obwohl er normalerweise Rot-Grün als eine Art Untergang Österreichs zu bezeichnen neigte.

Siehe auch:

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/wie-die-fuenfprozenthuerde-parteienvielfalt-verhindert-und-die-politik-verschlechtert-64751

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/unser-extremismusfoerderndes-und-manipulationsanfaelliges-praesidentenwahlsystem-18790

CC / SPÖ Presse- und Kommunikation https://de.wikipedia.org/wiki/Heinz-Christian_Strache#/media/Datei:2017_ORF-Elefantenrunde_(37410230120)_(cropped).jpg

Dieses sehr schmeichelnde Strache-Foto aus dem ORF-Archiv wurde von der SPÖ-Presse- und Kommunikationsabteilung auf den Wikipedia-Artikel zu Strache hochgeladen, offensichtlich deswegen, weil die SPÖ der große (Mandate-)Gewinner ist, wenn Strache einerseits der FPÖ möglichst viele Stimmen wegnimmt, aber andererseits knapp an der Fünfprozenthürde scheitern sollte, was relativ wahrscheinlich ist.

Somit stellt sich die Frage, ob Strache ein Rechtspolitiker oder ein "nützlicher Idiot" der Linken ist, wie man in Abwandlung eines Lenin-Zitats vielleicht sagen könnte.

Diese wahltaktischen Spielchen, medial den zu unterstützen, den man normalerweise als "Feind" oder so betrachtet, bzw. der Widerspruch zur offiziellen Rhetorik erzeugen eine große Politikverdrossenheit und zerstören die Glaubwürdigkeit der Politik. Auf der anderen Seite können diese seltsamen indirekten Bündnisse zwischen den offiziellen "Feinden" auch betragen zu einer Versachlichung des politischen Geschehens und zu einer Verringerung von Dämonisierung und Nazi-Vorwurfs-Keule oder ähnlichen umgekehrten Vorwurfs-Keulen, was für mich als einen Sympathisanten der Allparteienregierung durchaus gelegen kommt.

P.S.: das Wiener Wahlsystem ist natürlich komplizierter, aber aus Vereinfachungs- und Erklärungsgründen habe ich nur den Hürdeneffekt berücksichtigt.

P.S.2: mit dem Hashtag "Legaler Wahlbetrug" wollte ich nicht zum Ausdruck bringen, dass ich diese Techniken für legalen Wahlbetrug halte, sondern dass Viele derartiges für legalen Wahlbetrug halten.

Allerdings ist die ganze Sache zumindest in der Nähe von Verletzung des §263 des österreichischen Strafgesetzbuches "Täuschung bei einer Wahl oder Volksabstimmung":

"§ 263. (1) Wer durch Täuschung über Tatsachen bewirkt oder zu bewirken versucht, daß ein anderer bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung irrt oder gegen seinen Willen eine ungültige Stimme abgibt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen."

P.S.3: dieser auf wahren Tatsachen beruhende Artikel sollte auch die Wählerinnen und Wähler erziehen, weil das Wahlsystem die Wirkung ihrer Stimme genau umdrehen kann, sodass auch viele künftige Strache-Wähler und -innen wahrscheinlich "nützliche Idioten" von Rot-Grün sein werden.

P.S.4: die künstliche Schaffung von Mehrheiten durch solche Feindesunterstützung kann auch verhindert werden durch Präferenzwahlsysteme, bei denen man nicht nur die liebste Partei angibt, sondern die Partei reiht: wenn dann die vom Wähler bzw. der Wählerin erstgereihte Partei den Einzug nicht schafft und an der Hürde scheitert, wird die Stimme weitergereicht an die zweitgereihte Partei, etc.

Derartige Reihungswahlsysteme sind Condorcet, Schulze und Borda.

Das Borda-Wahlverfahren funktioniert in etwa so wie die Punktevergabe bei Song Contest und Formel eins: die erstgereihte Partei bekommt z.B. 12 Punkte, die zweitgereihte 9, die drittgereihte 6, die viertgereihte Partei 4, die fünftgereihte Partei 2 und die sechsgereihte Partei 1 Punkt. Und die Mandate werden aufgrund dieser landesweit zusammengerechneten Punkte verteilt, nicht aufgrund der (Erst-)Stimmen.

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