Die Lage in Bosnien-Herzegowina (nach dem Referendum bzgl. Feiertag der Republika Srpska) und in Syrien (nach den letzten Gefechten) scheint so schlecht wie schon lange nicht zu sein.
Die klassische Argumentation, die in EU und USA geläufig ist, ist mehr oder weniger folgende: die Russen bzw. die Serben sind die "Bösen" ("the wrongdoers", wie schon Bill Clinton in den 1990er Jahren sagte).
Und gelöst werden müsse diese Krise laut EU und USA durch eine Zusammenarbeit von EU und USA.
Momentchen !
Die EU und die USA arbeiten schon seit vielen Jahren und Jahrzehnten zusammen, gerade in Sachen Bosnien und Syrien.
Und was hat es gebracht ? Die Lage ist scheinbar schlechter als seit langem.
Schauen wir uns doch einmal an, was EU und NATO prägt(e), nämlich die bestimmenden Großmächte (40 Millionen Bürger oder mehr):
USA, Großbritannien, Spanien, Frankreich, Deutschland, Italien, Polen, Türkei (von Westen nach Osten geordnet).
Oder was die religiöse Prägung dieser Großmächte betrifft:
Protestantisch (USA), Protestantisch (GB), Katholisch (Sp), Katholisch (F), Protestantisch-Katholisch-gemischt (D), Katholisch (I), Katholisch (Pl), Sunnitisch-Islamisch (T). (Im Fall der Türkei könnte man "potenziell-kemalistisch" hinzufügen, und genau das ist möglicherweise der Grund für Erdogans Nach-"Putsch"-Hektik)
Was auffällt: keine einzige der Großmächte, die die Politik von EU, NATO und USA prägen, ist christlich-orthodox-geprägt (wie z.B. die Länder Russland, Bulgarien, Rumänien, Serbien, Makedonien/FYROM und Griechenland, also wie ein erheblicher Teil von Europa).
Serbien, Makedonien und Bulgarien sind insofern von besonderer Bedeutung, weil hier zur Panorthodoxie-Komponente noch die Panslawismus-Komponente als Gemeinsamkeit mit Russland dazukommt.
Die Ukraine ist ein Sonderfall, mit, wenn man von den alten Grenzen ausgeht, katholischem Westen und orthodoxem Osten, eine Art Sollbruchstelle, wenn man so will. Im Fall der Ukraine kommt noch die historische Belastung des Holodomor durch Stalin in den 1930er Jahren hinzu, die es zweifelhaft erscheinen läßt, ob die Ukraine jemals etwas anderes hätte sein können als ein gescheiterter Staat. Die Wahlergebnisse in der Ukraine zwischen 2000 und 2010 wiesen ein völlig anachronistisches West-Ost-Gefälle auf, während das normale Profil einer Wahl Sozialdemokratie in den Städten und Konservative am Land ist. So gesehen war eigentlich schon lange vor der Krim-Krise Alarmzustand für die Ukraine, nur reagiert darauf hat niemand. Sind Demokratien fähig zu präventivem Handeln und zu präventiver Diplomatie ? Man könnte sagen, der Fall Ukraine zeigt: eher nein. Während die Radikalen beider Seiten schon heftig an der Spaltung zu arbeiten schienen, schlief die Welt, um dann unmittelbar nach der Krimsache kompensativ in hektische und unüberlegte Tätigkeit zu verfallen. Wenn der Internationalismus reines rhetorisches Blabla ist, aber ohne Kenntnisse und historisches Wissen, dann können wohl nur Katastrophen herauskommen.
Was hier passiert, scheint sehr gut zu Samuel Huntington´s "Clash of Civilizations", dem "Zusammenprall der Zivilisationen" zu passen, der in Österreich und Deutschland als politisch unkorrekt eingestuft wurde.
Bulgarien und Griechenland sind zwar orthodox-geprägte EU- und NATO-Mitglieder, aber mehr oder weniger einflusslose Kleinstaaten, Griechenland ist durch seine Finanz- und Staatsschuldenkrise außerdem politisch gelähmt und isoliert. Eine Rolle als Sprachrohr der Orthodoxie innerhalb der EU kann bzw. will Griechenland bzw. die derzeitige griechische Regierung daher nicht spielen. Griechenland hätte den Vorteil gehabt, ein Altmitglied zu sein, während bei Bulgarien durch den Panslawismus ein besondere Expertise in Russlandfragen vermutet werden darf.
Die politischen Ziele des Westens (also der USA und der EU) in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten dürften gewesen sein:
Bosnien zusammenhalten (trotz der gravierenden Differenzen zwischen den verschiedenen Gruppen).
Syrien befrieden (unter anderem durch den Atomdeal mit dem Iran).
Den Kosovo von Serbien abspalten, aber die Abspaltung der Republika Srpska von Bosnien verhindern.
Russland bzw. Putin sanktionieren, in der Hoffnung, dies würde zum Sturz Putins führen. Und zwar wegen der von Putin betriebenen Abspaltung der Krim von der Ukraine (2014), die eine hohe Ähnlichkeit mit der Abspaltung des Kosovo von Serbien (praktisch 1999, Unabhängigkeitserklärung und diplomatische Anerkennung 2006 bzw. 2008) hat.
Funktioniert hat davon bisher nur sehr wenig.
Bosnien (ein Land, das teilweise katholisch, teilweise islamisch, teilweise serbisch-orthodox ist) ist in einer tiefen Krise.
Ich weiß nicht, ob Milorad Dodik, der Vertreter der bosnischen Serben, auf die Unterstützung Putin setzen kann, ob es diesbezügliche Absprachen gibt oder nicht, aber es vielleicht auch unwichtig, weil die Zerstrittenheit auf globaler Ebene die Zerstrittenheit auf bosnischer Ebene scheinbar beflügelt und quasi legitimiert.
Putin ist noch immer da, trotz der Sanktionen, die ihn stürzen sollten (bei den letzten Wahlen konnte seine Partei sogar dazugewinnen, bei niedriger Wahlbeteiligung).
Syrien ist weit weg vom Frieden:
die Hoffnungen, der Iran würde durch den Atomdeal besänftigt und konstruktive Friedenspolitik betreiben, hat sich nicht erfüllt.
(Der Atomdeal hat ohnehin seine Schwächen, beispielsweise, dass ein Land, das so groß ist wie der Iran, sowieso kaum zu inspizieren ist, es sei denn, mit einem derart hohen finanziellen Aufwand, dass ihn EU und USA ohnehin kaum zu zahlen bereit sind, aber wenn sich nun auch noch die Hoffnung, der Iran-Atomdeal würde zum Syrien-Frieden beitragen, zerschlägt, dann stellt sich schon die Frage, ob dieser Deal mehr Schaden als Nutzen war, mit Ausnahme derjeniger Konzerne, die Geschäfte mit dem Iran machen, die sich diese Frage nicht bzw. so nicht stellen).
Die Fokussierung von USA und EU auf die Rücktrittsforderung gegenüber dem derzeitigen syrischen Präsidenten Assad würde, selbst, wenn sie erfolgen würde, überhaupt nichts am sunnitisch-schiitischen Konflikt ändern, der Syrien zerreisst. So gesehen können USA und EU froh darüber sein, dass Assad nicht zurücktritt, wie von EU und USA gefordert, weil eine Fortsetzung oder sogar Intensivierung des Syrienkriegs nach und wegen eines etwaigen Assad-Rücktritts die USA und die EU als völlig inkompetent erscheinen liesse.
Auch der seit Jahrtausenden schwelende sunnitisch-schiitische Konflikt ist (bzw. kann gesehen werden als) ein Beispiel für einen Huntington´schen "Zusammenprall der Zivilisationen".
Eines der Symptome der internationalen Krise ist auch die Lähmung der UNO: da sowohl die USA, als auch GB und F als auch Russland ein Veto im UNO-Sicherheitsrat haben, hat die Krise zwischen Westen (EU und USA) und Russland die UNO bzw. den UNO-Sicherheitsrat beschlussunfähig gemacht, ohne einen bisher erkennbaren Nutzen.
EU und USA praktizieren scheinbar vielmehr das, was der umstrittene ehemalige US-Aussenminister Kissinger folgendermaßen bezeichnete:
"Die Dämonisierung von Putin ist keine Politik, sondern das Fehlen von Politik."
Generell kann man den Eindruck haben, dass die Aussenpolitik von EU und USA einen problematischen (auch und insbesondere in Hinblick auf das internationale Recht) anti-orthodoxen, also anti-ost-christlichen Zug hat bzw. in den letzten Jahrzehnten hatte.
Es stellt sich schon die Frage, ob die Aussenpolitik von EU und USA nicht in einem prinzipiellen Fehler verhaftet ist, aus dem sie einfach nicht mehr herauskommt.
Politische Eliten können Fehler nicht einfach zugeben und korrigieren, weil sie dann abgewählt würden; daher neigen sie dazu, Fehler fortzusetzen, in der oft verzweifelten Hoffnung, dass das Grundkonzept doch noch irgendwie (vielleicht geringfügig modifiziert und abgewandelt) funktionieren könnte.
Vielleicht sind USA und EU einfach zu schwach, um ihre Politik zu einem Erfolg zu führen. Vielleicht ist das Bündnis zwischen Russland, China und dem Iran, das sich gerade im Zusammenhang mit Syrien abzeichnet, einfach zu stark.
Vielleicht waren Obama´s "Yes, we can !" und Merkel´s "Wir schaffen das !" einfach bis zu einem gewissen Grad größenwahnsinnig.
Ohne bzw. gegen Russland, China und Indien und vielleicht auch den Iran sind viele Dinge schwierig bis unmöglich, auch wenn sich USA und EU genau das nicht eingestehen möchten (was ein klassisches Fehlverhalten absteigender Großmächte wäre).
Vielleicht müßte man alle Fehler der letzten Jahrzehnte scharf korrigieren, und vielleicht wäre eine Grundlage dazu, zu sagen: "Wenn der Westen (also USA und EU) den Kosovo von Serbien abspalten darf (bzw. dürfen), dann darf Putin die Krim von der Ukraine abspalten."
Vielleicht war auch das Budapest-Memorandum 1994, in dem USA, GB und Russland eine Art Garantieerklärung für die Ukraine abgaben, ein Fehler, weil keine der drei Großmächte ernsthaft daran dachte, wirkliche Beistandsaktionen für die Ukraine zu setzen, sondern weil es allen drei Großmächten primär darum ging, dass die Ukraine keine Atommacht wird (im Gegenzug zu den schwammigen und unüblichen "Sicherheit-Zusagen", die keine Garantien waren, verzichtete die Ukraine damals auf die Atomwaffen aus der "Konkursmasse" der UdSSR).
Und vielleicht war das Budapest-Memorandum, das zur Legitimierung der Sanktionen gegen Russland herangezogen wurde, auch deswegen ein Fehler, weil Grenzgarantien oder die schwächeren Grenz-Sicherheitszusagen ein Großmächteprivileg ist, das der in der UNO-Charta verankerten Gleichheit aller Nationen widerspricht.
Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Samuel_Phillips_Huntington
(Huntington´s These war auch eine Absage an "Ende der Geschichte"-Konzepte a la Francis Fukuyama, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die These aufstellte, nun hätten Demokratie und Marktwirtschaft gewonnen, und eine Ära des Friedens stehe bevor; während Fukuyama von einer "einheitlichen Weltkultur" spricht, spricht Huntington von einer "multipolaren Weltordnung" mit ca. neun Großmächten; generell, vielleicht mit Ausnahme von Österreich, wird Fukuyama zumindest eher dem politischen Idealismus zugeordnet, hingegen Huntington dem politischen Realismus)
https://de.wikipedia.org/wiki/Francis_Fukuyama
https://de.wikipedia.org/wiki/Bosnien_und_Herzegowina
https://de.wikipedia.org/wiki/Kosovo
https://de.wikipedia.org/wiki/Syrien
https://de.wikipedia.org/wiki/Politische_Klasse
https://de.wikipedia.org/wiki/Henry_Kissinger
("Ich kenne mich nicht mehr aus. Liege ich völlig falsch ? Ich komme mit den ganzen Fakten nicht mehr klar." Copyright Shutterstock)
Samuel Huntington´s Darstellung der prägenden Weltkulturen. Bosnien liegt rein geografisch genau an der Grenze zwischen zwei dieser Kulturen, dem Westchristentum und dem Ostchristentum, die bosnischen Muslime fügen demgemäß noch eine zusätzliche konfliktträchtige Komponente hinzu. (Copyright Wikipedia oder Huntington ?)
Huntington wurde des öfteren vorgeworfen, dass er zuwenig innere Differenzen innerhalb der Kulturen thematisiere (wie z.B. zwischen Sunniten und Schiiten innerhalb des Islam, insbesondere in den Ländern Irak, Syrien, Saudi-Arabien, Jemen). Da ist zwar was Wahres dran, aber es sollte mMn nicht zum Anlass genommen werden, die Rolle kultureller Differenzen in der Entstehung von Konflikten und Kriegen zu unterschätzen.