Dass der Verfassungsrichter Michael Rami zahlreiche Facebook-User klagte, bzw. ihnen Geldforderungsbriefe schickte, weil sie einen Facebook-Post geteilt und damit weiterverbreitet hatten, der laut Gerichtsurteil bzw. Vergleich scheinbar unwahr ist und so gesehen nicht verbreitet werden sollte, erregt weiterhin die Gemüter.
Natürlich ist die Optik, dass ein Verfassungsrichter so vorgeht, durchaus problematisch, aber mehr oder weniger willkürlich nach "Rücktritt" zu schreien, wie das manche Politiker und Medien machen, aber nicht eine allgemein gültige Unvereinbarkeitsregel in Gesetzesrang vorzuschlagen, sieht auch so aus, als ginge es nur darum, möglicherweise ÖVP-nahe Verfassungsrichter per medialer Vorverurteilung zum Rücktritt zu zwingen, hingegen quasi vergleichbare Problematiken bei roten oder grünen Verfassungsrichtern zu vertuschen. Und man kann auch den Eindruck gewinnen, frei nach dem Spruch "Man liebt den Verrat, aber nicht den Verräter", bei der Kampagne gegen Rami (die FPÖ nominierte ihn in den VfGH, aber inzwischen zeigt er eine Tendenz, die eher einer Annäherung an die ÖVP entsprechen könnte) ginge es gewissermaßen darum, einen Parteienwechsler und damit alle Parteienwechsel, auch präventiv, zu sanktionieren und zu bestrafen. Aber bereits der Abschuss des Parteienwechlers Dönmez, der von den Grünen zur ÖVP wechselte, sich aber dort nicht lange hielt, oder ähnliche Fälle können so verstanden werden, dass Parteienwechsler in Österreich ohnehin nur ein kurzes politisches Leben hätten, und dass die Parteien in Österreich eigentlich jahrzehntelang treue Apparatschiks bevorzugen würden. Die Fälle des britischen Weltkriegs-Premiers Churchill, der von Konservativen zu Liberalen und wieder zurück wechselte, oder des deutschen Verheugen, der von der FPD zur SPD wechselte, und trotzdem oder deswegen EU-Kommissionsmitglied wurde, zeigen, dass es diesbezüglich in anderen Ländern völlig anders ist.
Die Medien, die nun den Kampagnenjournalismus gegen Rami abziehen, insbesondere das Fellner´sche Boulevard-Blatt "Österreich", betreibt dabei eine Rhetorik, die durchaus problematisch erscheint, und selbst medienrechtlich zahlreiche Ansatzpunkte für Klagen bieten könnte.
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Dass Fellner / "Österreich" sich sinngemäß auf den Standpunkt stellt "Wenn die Krone Lügen verbreitet, und sich, nachdem die Krone diesbezüglich erfolgreich geklagt wurde, dann zum Opfer stilisiert und einen ´Anschlag auf die Pressefreiheit!´ titelt, dann dürfen wir das auch", mag zwar eine gewisse Plausibilität haben, aber andererseits auf eine allgemeine Lügenfreiheit für alle Medien hinauslaufen, was aber ein tristes Licht auf die grenzwertigen Methoden im österreichischen Boulevardjournalismus generell wirft.
Und gerade "Österreich" (ähnlicherweise andere Medien) könnte von Klagen gegen User, die fehlerhafte und unkorrekte "Österreich"-Artikel teilen, direkt oder indirekt betroffen sein, einerseits durch Verlust von Lesern, Sehern und Usern, zweitens durch indirekte Klagen, dadurch, dass diejenigen Leser, die wegen Teilens von fehlerhaften Österreich-Artikel geklagt und verurteilt werden, dann ihrerseits "Österreich" klagen, um die Kosten abzuwälzen.
Der Interessenskonflikt, den SPÖ und "Österreich" im Falle von Rami behaupten, trifft also auf "Österreich" genauso bzw. ähnlicherweise zu, das in diesem Fall kein objektiver und sachlich korrekt berichtender Medienkonzern zu sein scheint, sondern ein sehr in eigener Sache manipulierender Medienkonzern.
Interessant ist auch, dass es Anzeichen von subversivem Aufstand innerhalb der "Österreich"-Redaktion geben könnte.
So brachte Isabelle Daniel, die bzw. der vielleicht einzige seriöse Journalist/in dieses Mediums, zeitlich punktgenau ein Interview mit Ex-Grünen-Sprecherin Eva Glawischnig mit der Quintessenz "Aufhören, zu streiten!", in dem es vordergründig um die Konflikte innerhalb der türkis-grünen Koalition ging, das man aber auch so verstehen konnte, dass der eigentliche Addressat dieser "Aufhören, zu streiten!"-Botschaft Herausgeber Fellner sei, der sich mit der "Krone" einen ziemlich heftigen und untergriffigen Streit liefert, und der auch in "Einklang" mit SPÖ-Politikern die mediale Hatz auf Verfassungsrichter fortsetzt. Medienwissenschaftlich wäre das interessant, weil dieser Artikel eigentlich keine Kommunikation mit Lesern, sondern eine reine Kommunikation zwischen Journalistin und Herausgeber ist.
Bereits der Rücktritt des Ex-Verfassungsrichters Brandstetter, der als Parteiloser von der ÖVP zum Justizminister nominiert worden war, war von einer üblen Medienkampagne begleitet gewesen: zahlreiche Medien hatten entgegen den Fakten behauptet bzw. nahegelegt, Aussagen, die in Wirklichkeit von Ex-Sektionschef Pilnacek gemacht wurden, wären von Brandstetter getätigt worden, und deswegen sei Brandstetter als Verfassungsrichter rücktrittsreif. Als Parteiloser war Brandstetter hausmachtlos und schutzmachtlos, und die ihn nominiert habende ÖVP tat nichts, um ihn gegen falsche Vorwürfe zu verteidigen. Ein weiterer "Vorwurf" gegen Brandstetter war gewesen, dass er in nicht-öffentlich-gedachten Chats eine abweichende Meinung zur Sterbehilfe-Entscheidung des VfGH geäußert hatte, was für mich als Befürworter der Veröffentlichung von "dissenting Opinions" eigentlich fast ein Verdienst wäre, wenn es nicht den derzeitigen VfGH-Regeln widersprechen würde.
Nun sind Richter, vielleicht insbesondere Verfassungsrichter, besonders exponiert, weil das Diktum gilt, dass Richter, insbesondere Verfassungsrichter über jeden Verdacht und Zweifel erhaben sein sollten.
Allerdings können Medien, egal, ob klassische Medien oder das Internet, durch Lügen und Falschinformation, durch Manipulation und Weglassung wichtiger Aspekte, ein Klima und eine Optik des Verdachts und des Zweifels schaffen, die aber, wenn man die volle Wahrheit betrachtet, gar nicht gerechtfertigt ist. Mit anderen Worten: Lügen, Falschinformationen und Weglassungen in klassischen Medien oder Internetmedien könnten jeden Richter oder Verfassungsrichter zum Rücktritt zwingen, alleine schon deswegen, weil der Anschein der Erhabenheit, Verdachtsfreiheit und Überparteilichkeit dann zerstört ist.
Der verstorbene Doyen des österreichischen Journalismus, DDr. Günther Nenning, beschrieb diesen Mißbrauch der Medienmacht einmal mit den Worten "Journalisten sind G´fraster." (speziell für Bundesdeutsche und Südtiroler: ein "G´frast" ist im Wiener Dialekt ein "schlimmes Kind" oder eine "schlimme Person" ).
Auch Zitate von Fritz Grünbaum "Man kann, wenn sie Bericht erstatten, genau, wer sie besticht, erraten" oder Karl Kraus´ Formulierung von der "Journaille" (Ein Kombi-Wort aus Journalismus und Kanaille, also Gauner) läuft darauf hinaus.
Und laut erstinstanzlichem Maurer-Bierwirt-Urteil, zu dem es wegen der Ausgefallenheit dieses Falls kein höherinstanzliches gibt, sind Blogger und Twitterer auch Journalisten, für die die journalistische Sorgfaltspflicht gilt, also die Pflicht zur Recherche, die Pflicht zur Wahrheit und Objektivität. Diese Pflicht kann auch bedeuten, seine Beiträge zu korrigieren oder zu löschen, wenn neu erlangte Faktenkenntnis einen dazu zwingt, und vielleicht sogar die Pflicht, sich so intensiv mit den Themen zu befassen, dass derartige Irrtümer entweder gar nicht vorkommen, oder schnell korrigiert werden.
Apropos Objektivität, bzw. Medienmachtmißbrauch durch Journalisten: Armin Wolf, "Anchorman" der ZIB2 des ORF (beim ORF gilt ja rein theoretisch und gesetzlich ein "Objektivitätsgebot", das in der Praxis oft nicht eingehalten wird), muss sich gerade vor Gericht verantworten, weil er einen Anwalt, der die vom VfGH aufgehobenen Corona-Regeln und -Beschlüsse zitierte, als "Corona-Leugner" bezeichnet hatte. Wolf stellte sich beim Prozess laut Medienberichten auf den Standpunkt, dass es im Journalismus üblich sei, auch Corona-Verharmloser als Corona-Leugner zu bezeichnen, oder so, was erstens meiner Beobachtung nach nicht stimmt. Und zweitens: wieso hat Armin Wolf nicht "Corona-Verharmloser" gesagt, wenn er "Corona-Verharmloser" meinte ? Wieso hat Wolf "Corona-Leugner" gesagt, wenn er gar nicht "Corona-Leugner" meinte, sondern "Corona-Verharmloser" ? Vielleicht nur, um jemanden in die Nähe von Auschwitz-Leugnern zu rücken ?
Alles in Allem zeigen diese zahlreichen gerichtsanhängigen Fälle von zumindest fragwürdigen Behauptungen von Blogger, Medien, Journalisten, etc., dass die Frage, wieviel Lüge, wieviel Wahrheitsvertuschung, wieviel Wahrheitverdrehung und - verfälschung in einem Rechtsstaat erlaubt sei, oder auch wieviel Teilen und Verbreiten von Lügen, Vertuschungen, Verfälschungen und Verdrehungen, eine sehr aktuelle Frage ist.
Mit absoluter Pressefreiheit oder absoluter Bloggerfreiheit wird es hier sicherlich nicht getan sein, das würde eine massive Verletzung zahlreicher Gesetze, wie üble Nachrede, Rufschädigung, Kreditschädigung, NS-Verbotsgesetz, Verhetzung, etc. bedeuten.
Zum NS-Verbotsgesetz nun kann man stehen, wie man will, und wenn man es (oder Teile desselben) kritisieren will, dann soll man das mit guten Argumenten tun, aber nicht als Inbegriff der Diktatur abtun ....
Weitere besondere Aspekte, die Internetlügen besonders häufig machen sind
erstens: die Möglichkeit der Verwendung von Pseudonymen, klarnamenslosen und unrückschliessbaren Pseudonymen
zweitens: Anonymisierungssoftware wie TOR, die strafrechtlich relevante Internetlügen praktisch unverfolgbar macht
drittens: die niedrigen Streitwerte, bzw. hohen Klagskosten und Anwaltskosten bei gleichzeitig vermuteter Uneinbringlichkeit von Forderungen, die Internetlügen durch vermutete Habenichtse praktisch straflos stellt, obwohl sie eigentlich strafrechtlich relevant sind.
Weiters ist zu betrachten Rückwirkungseffekte: eine Lügen(un)kultur auf Medienebene kann auch eine Lügen(un)kultur auf Internetebene verursachen, begünstigen und umgekehrt.
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Die antike Iustitia, Göttin des Gerichtswesens mit den verbundenen Augen, die symbolisieren sollen, dass sie unabhängig von Hautfarbe, Kleidung und ähnlichen Äußerlichkeiten urteilt, bekommt in diesem Zusammenhang eine ganz neue Bedeutung: weil die Iustitia verbundene Augen hat, kann sie erfolgende Angriffe auf sie nicht sehen und sich nicht wehren, z.B. Angriffe von den Medien, egal, ob klassisch oder Internet.