Wir kennen Ähnliches ja aus Österreich: unter Berufung auf einige halbgare pseudo-juristische Argumente wird Stimmung gemacht, und das Volk radikalisiert.
Die Möglichkeit, dass Trump amtsenthoben werden könnte, war von Anfang an im Bereich des Möglichen.
Und diese Möglichkeit wurde schon vor der Wahl Trumps intensiver diskutiert als bei jedem anderen Präsidenten: der Hintergrund war möglicherweise, die Wahlmänner / Elektoren dahingehend zu beeinflussen, nicht so zu stimmen, wie der US-Bundesstaat, der sie entsendet.
Das US-Wahlmännersystem ist ein System des indirekten Wahlrechts:
es stammt aus der Zeit vor der Telekommunikation (18., 19. Jahrhundert), als einige vorher vereinbarte Wahlmänner (früher waren das in der Tat zu 100% Männer, so gesehen braucht man nicht zu gendern) vom jeweiligen Bundesstaat aus nach Washington ritten (per Pferd !), um in Washington das Wahlergebnis ihres Bundesstaats kundzutun.
Später wurde dieses indirekte Wahlrecht damit gerechtfertigt, dass es eine Handhabe wäre, um Politiker, die mittels unlauterer, populistischer Methode die Wahlen gewinnen, daran zu hindern, die präsidenzielle Macht zu übernehmen.
Es haben in der Geschichte der USA nur wenige Wahlmänner bzw. Wahlfrauen (in den USA heisst es geschlechtsneutraler: Elektoren) von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, anders zu stimmen, als der sie entsendende Bundesstaat.
Und niemals waren die anders als ihr Bundesstaat stimmenden Wahlmänner wahlentscheidend.
(Es gibt übrigens auch einige wenige Bundesstaaten, die Wahlleute gemäß Verhältniswahlprinzip entsenden, nicht gemäß Mehrheitswahl)
Aber zurück zum eigentlichen Thema: dem Impeachment / der Amtsenthebung.
Im Falle von Bill Clinton und seiner Affäre mit Monica Lewinsky wurde zum letzten Mal die Möglichkeit einer Amtsenthebung unter ähnlichen Umständen diskutiert.
Einer der Unterschiede war aber die Vor-Wahl-Rhetorik.
Während die Clinton-Familie vor der Wahl die heile Familie gespielt hatte, war Trump vor der Wahl mit "If you´re a star, you can grab them by the pussy"-Sager aufgefallen.
So gesehen ist das Argument, Trump habe den Wählerinnen und Wählern wichtige Informationen über seinen Charakter vorenthalten, ziemlich dürftig.
Reuters / Lexi Browning
Auch wenn Schweigegeldzahlungen von Trump an z.B. den Pornostar Stormy Daniels nicht vor der Wahl bekannt gewesen sein dürften, so konnte man bei Trump aufgrund seines "If you´re a star, you can grab them by the pussy"-Sagers, der im Wahlkampf wirklich breitgetreten wurde, annehmen, dass irgend so etwas wie Schweigegeldzahlungen (die in den USA gerade in Sexfragen sehr häufig sind, so gesehen fast schon eine Normalität unter Vielverdienern darstellen) bei Trump im Busch sein könnte.
Die Dürftigkeit der Argumente dürfte nicht ausreichen, um juristisch damit durchschlagenden Erfolg zu haben, aber sie könnte ausreichen, um Stimmung zu machen, und in schlecht informierten Kreisen der Bevölkerung, bzw. in Bevölkerungsgruppen, die Trump aufgrund völlig anderer politischer Fragen besonders feindlich gesinnt sind, den Eindruck zu erwecken, Trumps Schweigegeldzahlungen wären trotz der "Pussy grab"-Sager eine Gesetzesverletzung in Hinblick auf das Verbot, der Bevölkerung wahlentscheidende Informationen vorzuenthalten.
Generell ist die Bedeutung von außerehelichen Affärenfragen in den USA vielleicht überbewertet: wenn ein US-Präsident fremdgeht (ohne dass es seiner Familie oder sonstwem auffällt!), dann verursacht das oft mehr medialen Wirbel in den USA, als wenn er in außenpolitische Entscheidungsprozesse verwickelt ist, die Zehntausende Menschen oder mehr das Leben kosten.
Die USA haben in vielen Bundesstaaten ein Mehrheitswahlrecht ( wer eine relative Mehrheit erzielt, wird Gouverneur). Und dieses hat unter den Bedingungen der USA einen starken Drall zum Zweiparteiensystem (außer den Republikanern und den Demokraten gibt es kaum Mandatare, auch weil diese beiden Parteien eine gewisse Flexibilität darin haben, neue bzw. andere Bewegungen zu vereinnahmen).
Und dieses Zweiparteiensystem hat einen gewissen Drall Richtung Wahlkampfübersteigerungen.
Dritte Parteien, bzw. Mitteparteien, die als ausgleichende Kraft bei Konflikten auftreten können, fehlen.
Man bezeichnet daher das USA-System als ein Beispiel für Konfliktdemokratie, im Unterschied zum Beispiel zu Systemen der Allparteienregierung, die als Konsensdemokratie bezeichnet werden.
Diese "Impeach Trump!"-Slogans erinnern mich an die "Putschkrapfen"-Rhetorik und Ähnliches aus der Wendekrise des Jahres 2000 in Österreich.
An wen sollen sich diese "Impeach Trump!"-Slogans richten ? An Juristen und Juristinnen, die die juristischen Fragen abhandeln und eigentlich in Bezug auf pure Slogans und Appelle aus der Bevölkerung immun sein müssten und eigentlich nur aufgrund der Gesetze und nicht aufgrund der Wünsche der Bevölkerung agieren dürfen und sollten ?
Oder an die Bevölkerung und an schlecht informierte Bürger, die dazu bewegt werden sollen, nicht abgeschlossene Beweiswürdigungen zum Anlass für einen Sturz zu nehmen ?
Mich erinnert das auch an Debatten, die es vor ca. 5 Jahren in der Piratenpartei gab, bei denen es um die Frage ging, ob die Identitären durch Demos und Steinwürfe und Linksaktivisten bekämpft werden sollten oder durch Richter und Staatsanwälte.
Zusätzlich ist bei allen diesen Debatten das Zeit-Argument und das Agenda-Setting-Argument zu erwähnen: je mehr Zeit für Impeachment-Debatten, für Stormy-Daniels-Debatten, etc. draufgeht, bzw. verschwendet wird, umso weniger Zeit bleibt für wichtigere Themen.
Dieses angebliche im Raum stehende Impeachmentverfahren ist vielleicht nur ein Wahlkampfaspekt in Hinblick auf die nächste Präsidentschaftswahl.
Und genau das kann man eigentlich auch als eine Verkehrtheit betrachten. Und genau diese Verkehrtheit, Impeachment-Vorfeldprozesse bei eigentlichen schlechten Chancen für den Wahlkampf für die nächste Präsidentenwahl zu mißbrauchen, könnte den US-Demokraten schaden, obwohl sie wahrscheinlich eher hoffen, dass es ihnen nutzt.
Aber es wäre ja nicht das erste Mal, dass politische Parteien kontraproduktiv agieren.
Es wird hier auch die Grenze verwischt zwischen "Abwahl" und "Amtsenthebung wegen Amtsmissbrauch": im einen mal sind rein politische Aspekte ausschlaggebend, im anderen Fall sind entscheidend juristische Aspekte mitbeteiligt.
Die Tatsache, dass es in der Geschichte der USA noch nie ein erfolgreiches Amtsenthebungsverfahren gab, kann man auch als Indiz dafür betrachten, dass diese angeblich möglicherweise bevorstehende Amtsenthebung reine Wahlkampfrhetorik ohne juristische Substanz ist.
Ein Zweck dieser Kampagne könnte auch sein, von Fehlern von Hillary Clinton bzw. ihrem Wahlkampfteam im letzten Wahlkampf abzulenken. Die angeblich bevorstehende Amtsenthebung ist somit möglicherweise eine Fortsetzung der Nicht-Abhaltung der eigentlich verpflichtenden Concession Speech (Niederlageneingeständnis) durch die demokratische Kandidatin Hillary Clinton. Barack Obamas "Hallmark of Democracy"-Rede kann als eine ersatzweise Concession Speech-Rede gesehen werden.