In der Regierung ist wieder einmal Streit ausgebrochen. Manche ÖVP-Minister bzw. -Ministerinnen erblicken in so mancher Tätigkeit von Kanzler Kern (SPÖ) einen Auftakt bzw. ein Vorspiel zu Neuwahlen.

http://derstandard.at/2000051407731/OeVP-ortet-Neuwahllust-bei-SPOe

Die Vermutungen mancher ÖVP-Ministerinnen bzw. -Minister sind nicht völlig unberechtigt. Der Plan A, insbesondere die auf ein Kanzlerduell Kern gegen Strache hinauslaufenden Wahlpläne sprechen dafür, dass die SPÖ vorgezogene Neuwahlen anstrebt. (Unter vorgezogenen Neuwahlen versteht man Neuwahlen vor Ablauf der vollen, geplanten Legislaturperiode von derzeit fünf Jahren)

Zahlreiche Medien sprachen demgemäß auch sehr sinnvoll in Reaktion auf Plan A davon, Kern plane offensichtlich Neuwahlen mit Kanzlerduell.

Allerdings gibt es auch einen Aspekt, der dagegenspricht: die SPÖ hat ihre Programmerstellungspläne über den Haufen geworfen und die Erstellung eines neuen Parteiprogramms wird wohl eine Zeitlang dauern.

Allerdings hätten die Parteien schon lange, viele Jahrzehntelang Zeit gehabt, Neuwahlen zu verbieten und Umstände einzuführen wie in anderen Demokratien:

.) in den USA gibt es überhaupt keine vorgezogenen Neuwahlen, sondern einen fixen Wahltermin.

.) in Deutschland gibt es eine sehr komplizierte Möglichkeit für vorgezogene Neuwahlen. Unter Bundeskanzler Schröder wurde 2005 einmal eine vorgezogene Neuwahl eingeleitet, die wegen der rechtlichen Umstände in Deutschland vom Bundesverfassungsgericht geprüft wurde. Wohl der einzige Fall mit Ausnahme von 1972.

In Deutschland gibt es eine Debatte darüber, ob das konstruktive Mißtrauensvotum bei der Absicht des Kanzlers, zu verlieren und so Neuwahlen zu verursachen, einen Mißbrauch des Instruments darstelle. Absichtlich gegen die eigene Partei zu stimmen, obwohl man ihr inhaltlich zustimmt, nur um die rechtliche Möglichkeit der vorgezogenen Neuwahl mehr oder weniger rein formal, aber gar nicht wirklich zu erfüllen, ist ein Spezifikum der deutschen Lösung.

In Österreich gab es seit dem Weltkrieg geschätzte 10 mal vorgezogene Neuwahlen bei Nationalratswahlen, z.B.: 1956, 1959, 1962, 1971, 1979, 1986, 1996, 2002, 2008. (In Deutschland nur einmal)

Alle österreichischen Parteien scheinen an der Möglichkeit vorgezogener Neuwahlen festhalten zu wollen, damit sie zu einem Zeitpunkt, der ihnen günstig erscheint, Neuwahlen verursachen können.

In der Politikwissenschaft bezeichnet man es als "Überrumpelungswahlen", wenn die herrschende Partei ihre Macht und ihre Mehrheit dazu verwendet, erstens im Heimlichen einen Wahlkampf vorzubereiten, und zweitens einen Neuwahlbeschluss im Parlament zu fassen.

(Wir bezeichnen ja gerne andere Länder als autoritär und undemokratisch, aber auf die Idee, dass die österreichische Spezialität der oftmaligen vorgezogenen Neuwahlen auch was undemokratisches haben könnte, ist scheinbar noch niemand gekommen)

"Überrumpelungswahlen" verkörpern natürlich eine Unfairness zwischen Regierung/Mehrheit und Opposition/Minderheit: die Regierung/Mehrheit hat einen Wissens- und Informationsvorsprung, weil sie als erste über die Neuwahlen Bescheid weiss, die Opposition/Minderheit erst später.

Der Verdacht, der Koalitionspartner, der immer gleichzeitig potenzieller Wahlgegner ist, plane vorgezogene Neuwahlen, schafft ein Mißtrauensverhältnis zwischen den Koalitionsparteien, das sinnvolle Regierungstätigkeit offensichtlich erschwert.

Eine Verbot oder zumindest eine Erschwernis vorgezogener Neuwahlen (durch strengere Bedingungen) würde unter Umständen sinnvolleres Regieren ermöglichen, ohne das permanente Mißtrauen, der Koalitionspartner wolle abspringen und zu einem Zeitpunkt, der ihm günstig erscheine, in vorgezogene Neuwahlen gehen.

Generell kann man sagen, dass die Möglichkeit der vorgezogenen Neuwahl die Macht von Politikern, insbesondere von Mehrheitspolitikern erhöht, während ein Verbot von vorgezogenen Neuwahlen die politischen Prozesse stärker planbar macht und Wahlkämpfe, insbesondere für Oppositionsparteien / Minderheitsparteien, vorhersagbarer und planbarer, sodass ein Verbot bzw. eine Erschwernis vorgezogener Neuwhalen auch den Prinzipien des Rechtsstaats besser zu entsprechen scheint.

Die Verlängerung der Legislaturperiode auf 5 Jahre, die die österreichische Regierung (SPÖ-ÖVP-Koalition) unter Kanzler Gusenbauer beschloss, bei gleichzeitiger Beibehaltung der Möglichkeit der vorgezogenen Neuwahl scheint besonders widersprüchlich zu sein. Einerseits argumentierte die Regierung, man müsse die Legislaturperiode auf 5 Jahre verlängern, um "destruktive Wahlkämpfe zu vermeiden" und "länger Zeit zu haben, sachpolitisch zu arbeiten", andererseits behielt man die Möglichkeit vorgezogener Neuwahlen bei, die - BINGO ! - angeblich "destruktive Wahlkämpfe" ermöglichen und weniger Zeit bewirken, "sachpolitisch zu arbeiten".

Nicht umsonst gelten Franz Kafka und Hermanovsky-Orlando als typisch österreichische Schriftsteller.

Links:

https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Schr%C3%B6der

https://de.wikipedia.org/wiki/Willy_Brandt#Misstrauensvotum_und_Vertrauensfrage_.281972.29

https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Kafka

https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_von_Herzmanovsky-Orlando

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