SP-Schieders Verbotsfantasien, mit denen er sich selbst verbietet ?

Der Spitzenkandidat der SPÖ zu den EU-Wahlen, Andreas Schieder, stellte ein Konzept zum Verbot "rechtsextremer" Parteien bzw. "antidemokratischer Bewegungen" bzw. antieuropäischer Bewegungen vor, das sich an dem österreichischen Verbotsgesetz orientieren soll.

https://derstandard.at/2000100874964/SPOe-mobilisiert-in-EU-Wahlkampagne-gegen-Rechtsextreme

https://m.oe24.at/oesterreich/politik/Schieder-Rechtsradikale-Parteien-in-Europa-verbieten/374922931

https://www.facebook.com/290881691011354/posts/1793297484103093/

An dem Konzept, so wie ich das auf die Schnelle beurteilen kann, ergeben sich zahlreiche Kritikpunkte:

1.) Unausgewogenheit zwischen Links und Rechts: wieso sollen Linksextreme Parteien erlaubt bleiben, aber Rechtsextreme Parteien verboten werden ? Wieso sind auch rein theoretisch für die Zukunft mögliche islamisch-extremistische Parteien für Schieder offensichtlich ganz in Ordnung ? Doch nicht etwa deswegen, weil die SPÖ die Partei mit den meisten Muslimen ist ?

Das französische Verbotsgesetz beispielsweise ist viel ausgewogener, weil es die Leugnung jedes Völkermords unter Strafe stellt, nicht nur des Nationalsozialistischen.

2.) Was soll ein Parteienverbot bringen ? In vielen Fällen ist das einzige Resultat eines Parteienverbots, dass dieselben Leute mit derselben oder einer ganz ähnlichen Ideologie eine neue Partei gründen.

3.) Polemisch gesagt: da die Linke unfähig ist, die Rechtsextremen politisch zu bekämpfen, lenkt sie von ihrer Unfähigkeit ab, indem sie die Rechtsextremismusbekämpfung an die Gerichte auslagert - ein neoliberales Outsourcing sozusagen des Großkonzerns SPÖ, ebender SPÖ, die in ihrem Wahlkampf die Konzerne dämonisiert. (ich persönlich sehe ich in mancherlei Hinsicht als eine Art Zentrist)

4.) Mich stört die dichotome und totalitarismusähnliche Logik: "Europäisch oder Identitär ?" klingt für mich sehr nach einer zweiwertigen Logik, die dritte Positionen, Mittepositionen verbietet: wer die EU kritisiert (wenn auch nur in einem kleinen Aspekt), kann nach dieser Logik schnell dann mit den Identitären in ein Boot geschoben werden. Auch Fidel Castro, der langjährige Diktator von Kuba, verwendete mit seinen "Socialismo o muerte ?" ("Sozialismus oder Tod ?" ) ähnliche dichotome rhetorische Fragen, die suggerieren, es würde keine dritte Möglichkeit geben. Die dritte Möglichkeit wäre zum Beispiel, dass man Teile der Identitären verstehen kann, aber andere Teile derselben ablehnt; dass man manches an der EU schätzt, anderes nicht.

5.) Was soll denn "rechtsextrem" genau heissen ? Nationalistisch, Rassistisch, Kulturalistisch, Islamkritisch ?

6.) Wenn man mit der Verbieteritis (in Anlehnung an Jörg Haiders Wortschöpfung Ausgrenzeritis) erst einmal anfängt, dann könnte schnell eine infektiös-epidemische Ansteckung und das nächste Verbot folgen, beispielsweise ein Bücherverbot: Will die SPÖ auch hier Bücher von Jordan Peterson verbieten, ähnlich, wie das in Neuseeland nach dem Christchurch-Terror passiert ist ? Oder ähnlich, wie das mit der Stigmatisierung des Buches "Clash of Civilisations" von Samuel Huntington als böses, politisch unkorrektes Buch passiert ist ?

7.) Und apropos Terror: wenn es nicht möglich ist, auf demokratischem und friedlichen Wege einer von mir aus extrem islamkritischen Position Ausdruck zu verleihen im ganz normal-demokratischen Rahmen, dann ist vorhersehbar, dass ein Teil der potenziellen Wähler dieser Partei in den Terrorismus abgleiten könnte. Auch deswegen, weil dann die Mäßigungsfunktion, die Parteien auf Extreme haben können, fehlt.

8.) Ein häufiger Versuch, Extremismus zu definieren, ist über das Verhältnis zur Gewalt. Die RAF war linksextrem, weil sie Gewalt einsetzte, etc. Aber was ist, wenn eine Partei innenpolitisch friedlich, aber aussenpolitisch kriegerisch ist ? Was ist mit der britischen Labour-Party (der Schwesterpartei der SPÖ) und ihrem Parteivorsitzenden und Premier Tony Blair ? Sind die dann auch extrem, egal, ob linksextrem oder rechtsextrem, weil sie sich am Irakkrieg des Jahres 2003 beteiligten ? Und wieso kommt Schieder mit diesem Vorschlag gerade heute heraus, einen Tag, nachdem ich meinen Blog zur Offensivverteidigung veröffentlicht habe und daher selbst Gefahr laufe, von ihm als extrem eingestuft zu werden ?

9.) Sehr ungeeignet ist meiner Meinung nach auch das österreichische Verbotsgesetz, als Grundlage für so ein Verbotsgesetz zu dienen: das österreichische Verbotsgesetz (das übrigens im Jahr 1947 beschlossen wurde, als Stalins Rote Armee Wien kontrollierte) verbietet nur nationalsozialistische Wiederbetätigung, nicht aber stalinistische. Noch mehr: das österreichische Verbotsgesetz ist vielleicht sogar ungültig, weil es Resultat einer Erpressung durch Stalin und die Rote Armee sein könnte, so nach dem Motto "Wenn Ihr nicht dieses Verbotsgesetz beschliesst und Euch für neutral erklärt, dann wird die Rote Armee ewig in Ostösterreich bleiben."

9b) Die zahlreichen Rechtsstaatlichen Mängel des österreichischen Verbotsgesetzes könnten schlagend werden, zum Beispiel der Gummiparagraph- und Willküraspekt des §3g: "§3g. Wer sich auf andere als die in den §§ 3a bis 3f bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, ...". Diese Bestimmung ist reine Willkür und sie verstösst auch gegen das Bestimmtheitsgebot, das Gebot, dass Gesetze präzise sein müssen, ist also verfassungswidrig. Damals konnte der VfGH das Gesetz vielleicht deswegen nicht auf Verfassungskonformität prüfen, weil die russisch-sowjetische Besatzungsmacht es sowieso haben wollte.

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/zum-kontraproduktiven-ns-verbotsgesetz-und-dem-weisungsstreit-29260

10.) Der Solidarisierungs- und Märtyrereffekt: der frühere Kärntner Landeshauptmann und FPÖ-Chef Jörg Haider war ja ehrlich genug, in einem Interview zuzugeben, dass ein Teil seines Erfolges gar nicht auf eigener Leistung, sondern auf der Dummheit seiner Gegner beruht: auf die Frage, was er seinen Gegnern ins Stammbuch schreiben würde, antwortete er einmal: "Gar nichts, weil die lernen´s sowieso nie ..... oder doch: Bleibt so, wie Ihr seid, Ihr habt uns genutzt. Danke, Euer Jörg". Und damit könnte er das Verbotsgesetz gemeint haben: mit dem Argument "Der Staat Österreich ist so unfair: stalinistische Völkermorde darf man leugnen, hitleristische nicht !" konnte die FPÖ bzw. deren rechter Rand sich zum Opfer stilisieren und zahlreiche Wählende an sich ziehen.

11.) Wenn dieser Verbotsautomatismus erst einmal beschlossen ist, wird er dann jede Partei treffen, die am Nationalsozialismus irgendetwas positives findet ?

Ich habe einmal kürzlich bzgl. des Kontergan-Skandals gemeint, das nationalsozialistische Behindertengeburtenregistrierungsgesetz hätte verhindern können, dass der Kontergan-Skandal sich so weit ausbreitet, aber wegen der Nähe zum Nazi-Euthanasieprogramm war das Behindertgeburtenregistrierungsgesetz aus der Nazizeit abgeschafft worden.

12.) Es stellt sich die Frage, inwieweit dann nicht die SPÖ oder Teile derselben verboten werden müssten: die Euthanasiegedanken eines SPÖ-Stadtrates Julius Tandler zum Beispiel hatten eine große Nähe zum Nationalsozialimus.

13.) so wie ich das sehe, ist die Ideologie der Identitären eine Mischung aus Rassismus und Kulturalismus. Schieder sprach zwar von einem Parteienverbot, nicht von einem Organisationsverbot oder Vereinsverbot. Aber wenn der EuGH eine Mischideologie aus Rassismus und Kulturalismus, bzw. eine darauf beruhende Organisation, verbieten sollte, dann stellt sich die Frage nach den gesellschaftlichen Auswirkungen. Angenommen, der EuGH verbietet eine derartige Mischideologie wegen des Rassismusanteils, dann kann das auch rein kulturalistische Islamkritik schwer beschädigen und die Gesellschaft entdemokratisieren. Die Bücher von Hamed Abdel-Samad müssten dann vielleicht auch verboten und wieder eingestampft werden, so wie bei der Bücherverbrennung im Nationalsozialismus. Er ist auch gelegentlich auf AfD-Veranstaltungen aufgetreten, sehr verdächtig so gesehen.

14.) Die Frage stellt sich auch, was "antidemokratisch" genau sein soll. Zwischen Autoritär und Totalitär bestehen beträchtliche Unterschiede, aber nicht völlig demokratisch sind beide. Ebenso wie bei der Frage, was rechtsextrem sei, drückt sich Schieder um die Problematik der genauen Definition herum und überlässt das dem EuGH. Die Schwierigkeiten, bei fliessenden Übergängen eine genaue Grenze zu definieren, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit den EuGH beschädigen, womit dann Schieder als der Anti-Europäer dasteht, weil er einen Vorschlag machte, der den EuGH beschädigen wird. So gesehen müsste Schieder, bzw. die SPÖ als antieuropäisch verboten werden. Beim Antieuropäismus, bei der angeblichen Absicht, die EU zu zerstören, stellt sich auch die Frage, wie man diese Absicht nachweisen soll. Ob nun ein behaupteter Willen, die EU "zerstören" oder verlassen zu wollen, einer echten Absicht entspricht oder "nur" Populismus ist, um EU-kritische Wählerinnen und -Wähler zu erreichen, kann im Einzelfall schwer zu entscheiden sein. Und nach dem "in dubio pro reo"-Prinzip müsste der Gerichtshof quasi automatisch Freisprüche fällen, sodas ein Verbot antieuropäischer Parteien sher leicht totes Recht sein könnte.

15.) Die Verbotsdebatte totalisiert die Linke. Es werden dann sicher linke bis linksextreme Gruppen Demonstrationen vor dem EuGH abhalten, um "Druck" auszuüben. Aber eben dieser Druck kann auch als Erpressung des Gerichtshofs gesehen werden, und jedes Urteil des Gerichtshofs ist dann mit dem Verdacht der Ungültigkeit behaftet, weil erpresste Entscheidungen rechtsungültig sind.

16.) Und die Verbotsdebatte bindet auch Zeit und Aufmerksamkeit. Statt Ideologiekritik und politischer Auseinandersetzung erfolgt dann überwiegend Gerichtsberichterstattung. Häupls Sager "Die Identitären gehören verboten" bewegte die extreme Linke zu den "Entnazifiziert Polizei und Justiz !"-Kampagnen: wenn die Identitären verboten gehören, wie der Bürgermeister "bestätigt", aber die Justiz sie nicht verbietet, dann müsse wohl die einzig-mögliche Erklärung sein, dass die Justiz nazistisch sei.

Schieders Verbotsfantasien beschädigen nur die Justiz, in diesem Fall den EuGH, womit dann Schieder der Antieuropäer wäre, der vielleicht verboten werden müsste.

CC / SPÖ Presse und Kommunikation https://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Schieder#/media/File:Bruno-Kreisky-Preis_f%C3%BCr_das_Politische_Buch_(26448179202).jpg

Ja, wir wissen eh, dass die SPÖ kontraproduktiv sein kann, schliesslich schafft sie´s als praktisch einzige Sozialdemokratie Europas, in den letzten 36 Jahren keine einzige rot-grüne Mehrheit zusammenzubringen, aber so krass wie mit Schieders (Bild oben) indirektem Selbstverbot wollten wir´s vielleicht gar nicht wissen.

Ein ernstzunehmender Hintergrund besteht allerdings durchaus: irgendeine Art von Schutz vor Unterwanderung sollte vielleicht tatsächlich bestehen.

Je härter ein Instrument, umso seltener werden Gerichte es einsetzen. Daher ist sehr fraglich, ob ein Parteienverbot etwas bringt. Noch dazu ist ein Parteienverbot als Kollektivstrafe insofern problematisch, als es nicht der rechtsstaatlichen Methode der Einzelfallbeurteilung entspricht.

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