Ich war heute auf einer Veranstaltung zum Thema Sudan mit der grünen Bundesrätin Ewa Dziedzic, der stv. Bezirksvorsteherin Ngosso (SPÖ), einem Redakteur der Zeitung "Afrique-Europa Interact" und Anderen im PEN-Club.

Ich kann irgendwie nicht anders als diese Veranstaltung der Situation möglicherweise unangemessen zu bezeichnen. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass die Entwicklung im Sudan viel katastrophaler kommen könnte, als der große Idealismus der Teilnehmer nahelegte.

Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen waren meiner Meinung nach möglicherweise zu idealistisch, zu europäisch geprägt, vielleicht auch zu weiblich und zu antimilitaristisch, um einen sinnvollen Beitrag zur Entwicklung leisten.

Speziell bei Dziecic hatte ich manchmal den Eindruck, es ging ihr mehr um Innenpolitik und um Wahlkampf als um die Lage im Sudan. Zynisch gesagt kommt der Umsturz im Sudan gerade "richtig" für den EU-Wahlkampf.

Einige Ideen, die geäußert wurden, waren folgende:

1.) Österreich oder EU sollten Wirtschaftssanktionen gegen die Militärregierung verhängen, um die Demokratisierung des Sudan zu erleichtern bzw. zu beschleunigen.

2.) Österreich und EU sollten eine Politik der offenen Grenzen betrieben.

3.) Österreich/EU sollten sich für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaat im Sudan einsetzen.

4.) Die Demokratisierung des Sudan kann einen Domino-Effekt auslösen, der auch in andern Ländern Afrikas zu Umstürzen und Demokratisierung führt. (Aber ich finde es ja interessant und positiv, dass die österreichische Linke Im Falle des Sudan ähnliche Domino-Strategien erwägt und erhofft wie die Neocons im Falle des Irak)

5.) Der gestürzte Machthaber Omar Al-Bashir soll ausgeliefert werden an den internationalen Strafgerichtshof.

Ich konnte irgendwie keiner einzigen der Forderungen hundertprozentig zustimmen und und liefere folgende Gegenposition bzw. Gegenargumente:

ad 1.) Die EU ist bei weitem nicht der einzige geopolitische Akteur. Unilaterale Wirtschaftssanktionen (also nur durch die EU) könnten die Militärregierung in die Arme Russlands oder Chinas oder des Iran treiben.

ad 2.) Eine Politik der offenen Grenzen kann auch dazu führen, dass die modernen, demokratisch und westlich-Gesinnten Afrika verlassen und deswegen undemokratische Zustände verlängert oder verewigt werden.

ad 3.) Ich habe meine Zweifel daran, ob Rechtsstaat,Demokratie und Menschenrechte, wie wir sie kennen, in allen Teilen der Welt umsetzbar sind, vielleicht insbesondere im Sudan als einem islamisch-geprägten Land, das sich der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam angeschlossen hat, und nicht der New Yorker Erklärung der Menschenrechte. Generell kann man die Frage stellen, inwieweit Prägung durch islamische Geschichte und europäische Konzepte wie Gewaltenteilung vereinbar sind.

ad 4.) Alleine schon diese Domino-Theorie birgt die Gefahr, dass Nachbarstaaten eine etwaige "Demokratie" im Sudan als "feindlich" betrachten und militärisch gegen sie vorgehen.

ad 5.) Ich habe ziemlich große Vorbehalte gegen das System der internationalen Strafgerichtbarkeit, die in zahlreichen Ausprägungen mangelhaft war: so wurden zum Beispiel in der Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zahlreiche Mitglieder der Nazielite wegen Angriffskrieg gegen Polen für schuldig gesprochen, aber zahlreiche Mitglieder der Sowjetelite nicht, obwohl die gemeinsame nazideutsch-sowjetrussische Teilung Polens im Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Pakts vereinbart war.

So wurden zum Beispiel (die bosnisch-serbischen) Karadzic und Mladic beim Strafgerichtshof für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien für schuldig gesprochen, während der Muslim Alija Izetbegovic nicht einmal angeklagt wurde, obwohl gegen ihn zumindest der Verdacht der billigenden Inkaufnahme von Kriegsverbrechen existierte.

In Chile gab es 1991 nach der Volksabstimmung, die General Pinochets Amtszeit beendete, eine Wahrheitskommission, eine Comisión de Verdad y Reconciliación nacional (eine Nationale Wahrheits- und Versöhnungskommission). Diese Kommissionen verurteilen nicht die Schuldigen, sondern loben die Reuigen; sie zwingen die Angeklagten nicht zu vertuschen, sondern ermuntern die Geladenen, zu sprechen.

Das Konzept dieser nicht-verurteilenden Wahrheits- und Versöhnungskommission zur Untersuchung von Grausamkeiten während der Apartheid wurde 1995 auch von Südafrika übernommen unter dem Vorsitz des anglikanischen Bischofs Desmond Tutu.

Im Falle Nigeria war die Sanktion für Menschenrechtsverletzungen und Gewalttaten, die man als Kriegsverbrechen einstufen kann, lediglich der Ausschluss aus dem Commonwealth.

Eines der großen Probleme des Sudan ist, dass nicht nur Omar Al-Bashir, sondern zahlreiche Mitglieder des sudanesischen Militärs (vom einfachen Soldaten bis hin zu zahlreichen Generälen) in Kriegsverbrechen bzw. Grausamkeiten verwickelt waren, entweder in Zusammenhang mit dem Darfur-Konflikt, oder in Zusammenhang mit dem südsudanesischen Unabhängigskeitskrieg oder im späteren Konflikt mit dem Südsudan um die Region Abyei oder in Zusammenhang mit dem Jemenkrieg, an dem sich der (sunnitische) Sudan auf saudi-arabischer (also sunnitischer) Seite gegen die schiitischen Houthis, die vom schiitischen Iran unterstützt werden, beteiligte, und zwar auf eine Art und Weise und mit einer Art der Kriegsführung, die der Kriegsführung im Darfur-Konflikt nicht unähnlich war.

Gemäß dem Prinzip "Ein ungerechter Frieden ist manchmal besser als ein gerechter Krieg" kann es besser sein, einen Schlusstrich zu ziehen und die Verbrechen der Vergangenheit nicht zu bestrafen, sondern nur thematisierend aufzuarbeiten. Auch deswegen, weil eine strafrechtliche Aufarbeitung der Vergangenheit des Sudan auch gravierende aussenpolitische Folgen haben könnte, die zahlreiche Islamische Staaten und Armeen als Kriegsverbrecher dastehen lassen würde.

UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon hatte im Jahr 2007 den Klimawandel für den Darfur-Konflikt verantwortlich gemacht, aber die Rolle des ethnisch-religiösen Konflikts zwischen christlich-animistischen Dinka-Flüchtlingen aus dem Südsudan, die nach Darfur geflohen waren, und arabischen Moslems verschwiegen.

früherer UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon: Vertuscher eines ethnisch-religiösen Konflikts durch das Ablenkungsmanöver Klimawandel ?

Dieses Vertuschen des ethisch-religiösen Konflikts mit dem Klimawandel als wie so oft verwendeter Ausrede ist auch vor dem Hintergrund der Zusammensetzung der UNO zu sehen: Islam mit ca. 60 Staaten und Christentum mit in etwa ebensovielen Staaten dominieren die UNO. Ein UNO-Generalsekretär kann darum kaum gewählt werden, wenn er sich nicht mit diesen beiden Gruppen arrangiert, und gegen diese beiden Gruppen gibt es keine Beschlüsse in UNO-Gremien, ganz einfach deswegen, weil sie die absolute Mehrheit haben, wenn man nach dem Staaten-Prinzip misst. Nach dem Bevölkerungsprinzip würde es anders aussehen, weil dann China und Indien, Konfuzianismus und Hinduismus an Einfluss gewinnen würden, hingegen Islam und Christentum an Einfluss verlieren.

CC / z.g. Chatham House https://de.wikipedia.org/wiki/David_Owen_(Politiker)#/media/File:Lord_Owen_-_Chatham_House_2011.jpg

David Owen, Sonderverhandler für den Bosnien-Herzegowina-Konflikt warnte in den 1990er Jahren: "Don´t dream that dangerous dream !" Führen die heutigen Träume von überzogener Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Vergangenheitsbewältigung zu einem neuen Krieg bzw. Bürgerkrieg im Sudan ?

Der gestürzte sudanesische Machthaber Omar Al-Bashir: führt die Frage seiner Auslieferung bzw. seiner Verurteilung, die Präzedenzfall für eine große Menge an Auslieferungen, Kriegsverbrecherprozessen und Verurteilungen sein kann, den Sudan in den Bürgerkrieg ?

Der Sudan gehört ebenso wie der Südsudan zu den Rohstoffrentenstaaten: das Staatsbudget des Südsudan speist sich einnahmenseitig zu 98% aus Rohstofflizenzen, das des Sudan zu 75%. Mit anderen Worten: das, was die Menschen produzieren, zählt nichts; das, was im Boden steckt, zählt Alles. Und in einer derartigen Situation zählt der Wille der Bevölkerung oft nichts, hingegen die militärische Kontrolle über das Gebiet, in dem die Rohstoffe stecken, alles. Daher auch die hohe Bedeutung von Militär und bewaffneten Milizen. Und die Einnahmen aus den Rohstofflizenzen bestimmen auch die Kriegsführungsfähigkeit der verschiedenen Konfliktparteien und Milizen.

Ob die (u.U. vom Westen materiell und motivierend unterstützte) "Zivilgesellschaft", die über keine festen Strukturen verfügt und über keine Medien, hier etwas prinzipielles ändern kann, ist fraglich. Die Forderungen der sogenannten "Zivilgesellschaft" laufen auf Abrechnung mit Al Bashir hinaus, aber z.B. Forderungen nach Gewaltenteilung sind kaum bis gar nicht zu hören.

Viel mehr stellt sich vielleicht die Frage einer Modernisierungsdiktatur, eines wohlmeinenden Wertekolonialismus.

Demokratisierung kann auch zu Krieg (wie im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahren) oder zu Theokratie (wie im Iran nach der Khomeini-Revolution 1979) führen.

Und der französischen Revolution 1789 (die auch als Hungerrevolte begann wie die "Revolution" im Sudan) folgten 30 Jahre Revolutionsterror und Napoleonische Kriege.

Und letztlich stellt sich auch die Frage, inwieweit die UNO, bzw. die New Yorker Erklärung der Menschenrechte von 1948 wegen der darin enthaltenen undifferenzierten und absoluten Religionsfreiheit, die auch die Freiheit zu mörderischen Religionen wie dem Islam beinhält, mitverantwortlich ist für islamische Tötungen wie die im Sudan; schliesslich ist ja die Tötung der Kuffar, der Ungläubigen im Koran vorgeschrieben.

Und es stellt sich auch die Frage, inwieweit wir hier eine Protestbewegung in Khartoum überbewerten und übersehen, dass die Stimmung am Land anders ist bzw. sein könnte.

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