Tausende im Mittelmeer ersaufen lassen, um die katholische Kirche zur Reform zu zwingen ?

Der Artikel von Mariam Lau und Katharina Lobenstein rund um die die Frage des Umgangs mit der Mittelmeer-Seenotrettungsfrage hat eine Debatte angestossen, die sehr emotional geführt wird.

https://www.zeit.de/2018/29/seenotrettung-fluechtlinge-privat-mittelmeer-pro-contra

Max Weber folgend kann man unterscheiden zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik:

https://de.wikipedia.org/wiki/Gesinnungsethik

Gesinnungsethische Moral geht von oft vereinfachenden Dogmen aus, die gesellschaftlich oft breite Anerkennung geniessen, während Verantwortungsethische Moral von den Folgen, oft auch von den geschätzten Folgen ausgeht.

Prinzipiell perfekt ist keine der beiden Formen der Moral.

Und wenn eine der beiden Formen der Moral eindeutig überlegen wäre, dann würde ja die Unterscheidung gar keinen Sinn machen, und es gäbe nur eine Form dieser beiden Moralkonzeptionen in der Debatte, auch der Wissenschaftlichen.

Der "Verhexung durch die Sprache" (so Wittgenstein) entspricht, dass es den Begriff der "Moral" nur in der Einzahl gibt; dass es "Moräle" nicht gibt. Und die Heftigkeit der Debatte rund um die Seenotrettung hängt vielleicht auch mit dem Monotheismus und mit dem Monomoralismus zusammen.

Wenn die eine Moralkonzeption perfekt ist, muss jede andere Konzeption natürlich unmoralisch sein.

Die Zeit als Hamburger Wochenzeitung ist vielleicht zu norddeutsch, um die den Katholizismus-Aspekt mitzubedenken, und die italienische Regierung ist vielleicht zu katholisch, um die katholische Kirche zu kritisieren. Und Österreich ist vielleicht zu bedeutungslos, um die Debatte zwischen diesen beiden Giganten (Deutschland und Italien) zu beeinflussen.

In dem Shitstorm rund um angebliche Immoralität der "Im Mittelmeer ersaufen ? Who cares ?" blieben zahlreiche Aspekte unbeleuchtet.

Die Seenotrettung im Mittelmeer stoppt nicht die Bevölkerungsexplosion in weiten Teilen Afrikas, sie ändert nichts an den hohen Geburtenraten, die vielfach Ursache für Kriege, Flüchtlingswellen und Hungernöte sind.

Die Seenotrettung löst auch nicht die Probleme, die diese Flüchtlinge haben, bis sie ans Meer haben.

Das unproportionale Hochspielen der Seenotrettungsfrage verdrängt die vielen Probleme, die sich am Landboden des afrikanischen Kontinents abspielen.

Und die Seenotrettungsdebatte verdrängt auch die Frage, inwieweit Islam und Katholizismus an Bevölkerungsexplosion, Kriegen und Hungersnöten schuld sind (durch Abtreibungsverbot, Kondomverbot, Anti-Baby-Pillen-Verbot und durch Mindestheiratsaltersenkung auf 14 Jahre oder darunter), aus der politischen Debatte.

"Agenda Setting" bedeutet: man "spielt" ein Thema, um ein anderes aus der politischen Debatte zu verdrängen.

Und der Untergang der eigentlich notwendigen Bevölkerungsexplosionsdebatte ist vielleicht genau der Sinn der hypermoralischen Seenotrettungsdebatte.

Mit "Schande!"- und "Scham!"-Hysterie kann man oft genau diejenige Hysterie und Moralische Empörung lostreten, die dazu führt, andere wichtige Debatten und Positionen zu unterdrücken.

Ähnliche Debatten wie rund um die Seenotrettung gibt es auch in Bezug auf die Sklaverei: manche angebliche humanitäre Organisationen halten es für eine hochmoralische Sache, Sklaven und Sklavinnen freizukaufen. Dass sie damit Bürgerkriegsparteien finanzieren und Waffenkäufe, dass sie damit eine Nachfrage und einen Markt schaffen und Neuversklavung forcieren, bleibt im hochmoralischen Idealismus auch unerwähnt.

Das Pathos des Gutmeinenden kann sich natürlich verselbstständigen und zum Geschäftsmodell werden, das länger praktiziert wird als sinnvoll.

Der Clausewitz´sche Kulminationspunkt wird allzuoft übersehen, jeder Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht. In der Psychologie nennt man das erworbene Sorglosigkeit: bisher hat doch in unserem Moralbusiness Alles perfekt funktioniert, also wieso sollten wir darüber nachdenken, ob die Umstände sich insoweit geändert haben, dass man eben dieses Modell einstellen sollte ?

Die Logik hinter der Realpolitik des begrenzten Opfer zum höheren Zweck ist eine durchaus militärnahe: die Opferung einer kleinen Zahl von Menschen kann ein geringeres Übel sein im Vergleich zur Opferung einer größeren Zahl von Menschen. Und in den Situationen, wo man Tausende opfern muss, um Millionen zu retten, oder den grausamen Tod von Millionen zu verhindern, kann die Opferung der ersteren Tausenden das geringere Übel sein.

Auch der Vorschlag der EU-Kommission, pro per Seenot geretteten Flüchtling 6000 Euro auszuzahlen, ist durchaus kontroversiell zu bewerten: dadurch könnte Druck von der katholischen Kirche und von anderen Religionen genommen werden, notwendige innere Reformen durchzuführen.

https://www.zeit.de/news/2018-07/24/deutschland-bruessel-will-eu-laender-bei-fluechtlingszentren-mit-finanziellen-anreizen-locken-24122802

Finanzielle Anreize gut und schön, aber hier handelt es sich vielleicht um finanzielle Anreize in die falsche Richtung.

Durch dieses Auszahlungsmodell diskrediert die EU-Kommission auch das gerade kürzlich erst von ihr eingeleitete Artikel-Sieben-Verfahren gegen Ungarn: wenn Ungarn bereit ist, auf diese finanziellen Anreize zu verzichten, dann darf es weiterhin das praktizieren, was es bisher praktiziert, nämlich eine sehr geringe europäische Solidarität ?

Auch die Beteiligung Ungarns an Militärinterventionen, um gescheiterte Staaten in Afrika wieder funktionsfähig zu machen, wird durch diese Auszahlungsmodelle unwahrscheinlicher.

Pflichten, von denen man sich freikaufen kann (u.A. auch durch den Verzicht auf Förderungen), sind eben keine Pflichten. Sondern eher Erlaubnis für falsches Verhalten.

P.S.: Und ja, ich bin katholisch.

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