Der Besuch des Teheraner Bürgermeisters Pirouz Hanachi in Berlin und Wien hat mediale Wellen geschlagen.

Heftige Proteste von Seiten jüdischer Organisationen, weil Hanachi an den Al-Quds-Märschen teilgenommen hat, bei denen gefordert wird, Israel von den Zionisten zu befreien, was man auch als Andeutung eines Massenmords interpretieren kann.

Hanachi ist laut Medienberichten weiters Revolutionsgardist und Experte für den Bau von Militärlazaretten, Experte für Kulturerbebewahrung.

Und er wird verschiedentlich als Reformist bezeichnet, unter anderen auch deswegen, weil er Mitglied des Khatami-Teams in einer früheren Legislaturperiode war.

Die Revolutionsgarden sind der militärische Arm der iranischen Veränderung 1979. Sie sind vielfach im Einsatz in den zahlreichen Kriegen, in die der Iran seit 1979 und der Khomeini-Veränderung. Ich verwende den Begriff der Veränderung, weil es sowohl eine Revolution als auch eine Konterrevolution war: erst hat ein breites Anti-Schah-Bündnis, bestehend aus Religiösen und Antireligiösen, die Macht übernommen und den Schah Mohamed Reza Pahlevi zur Emigration gezwungen, und dann passierte das, was bei Revolutionen immer passiert, "Die Revolution frisst ihre Kinder": genauso wie Robespierre im Zuge der französischen Revolution um 1800 den Revolutionsgenossen Danton ermorden liess, genauso entmachteten die Religiösen ihre säkularen Revolutionsgenossen im Iran um 1980 nach der Emigration des Schah.

Zum Al-Quds-Marsch: man muss erst einmal feststellen, dass im Iran der Antisemitismus hegemonial ist; man kann annehmen, dass im Iran niemand Bürgermeister einer größeren Stadt werden kann, ohne zuvor mindestens einmal am Al-Quds-Marsch teilgenommen zu haben. Und weil der Antisemitismus im Iran Staatsdoktrin ist und weil der Iran keine Demokratie ist, sondern eine Art religiöser Diktatur, sagt die oft diktatorisch erzwungene Teilnahme am Al-Quds-Marsch auch nichts oder nur wenig darüber aus, ob ein Teilnehmer Antisemit ist oder nicht.

Zum System des Iran: im Iran gibt es zwar rein formale Wahlen, z.B. Parlamentswahlen oder Präsidentenwahlen, aber sie sind relativ bedeutungslos, weil der wichtigste Posten des Iran sowieso nicht durch Wahlen verändert werden kann, nämlich der Vorsitzende des Revolutionären Wächterrats, aktuell und seit dem Tod von Ajatollah Ruhollah Khomeini, Khamenei, und zwar völlig egal, wie alle Wahlen ausgehen. Der Revolutionäre Wächterrat hat auch das Recht, jeden und jede von der Kandidatur zu öffentlichen Ämtern auszuschliessen.

Während in wirklichen Demokratien wie den USA die Politik sich ändert, je nachdem, ob Demokraten oder Republikaner regieren, ändert sich an der Politik im Iran wenig bis gar nichts durch Wahlen.

Z.B. setzen die US-Republikaner öfter auf militärische Lösungen, während die US-Demokraten auf Diplomatie und militärische Rückzüge setzen.

Im Iran gibt es solche Politikwechsel nicht: sowohl die Eskalation in Syrien als auch die im Jemen als auch die im Irak erfolgte unter der Amtszeit des angeblichen oder wirklichen Reformers Präsident Rohani, vielleicht einfach deswegen, weil er sowieso ziemlich machtlos ist.

Während am Anfang der islamischen Republik Iran die Wähler noch nicht wussten, dass Wahlen ziemlich sinnlos sind, so kann man die These vertreten, dass sich im Laufe der Jahrzehnte der Frust über die Pseudodemokratie, darüber, dass sich durch Wahlen nichts oder fast nichts ändert, steigerte. Es gibt zahlreiche Aufrufe zum Wahlboykott, zum Beispiel von persischen Atheisten oder von Vertretern persischer oder ex-persischer Minderheiten (ex-persische Minderheiten entstehen oft durch Vertreibungspolitik und können als eine Art der "ethnisch-religiösen Säuberungen" gesehen werden).

Ein im Westen verbreitetes Analyseschema des Iran ist, dass es eine parallele Verbündung gibt, dass westliche Falken und iranische Falken Verbündete sind, und dass die Tauben beider Lager Verbündete sind.

Dass also, wann immer iranische oder westliche Hardliner sich durchsetzen und eine Eskalationstrategie betreiben, dies die Hardliner des jeweils anderen Lagers stärkt. Und vice versa genauso mit den Diplomaten: setzt der Westen auf Diplomatie, so stärke das auch die Moderaten Kräfte im Iran und umgekehrt.

Aber die Allgemeinheit dieses Schemas ist sehr fragwürdig: es gilt, falls überhaupt, nur auf der politischen Ebene, und es gibt ernstzunehmende Hinweise, dass auf der militärischen Ebene genau das umgekehrte Schema gibt: nämlich dass die Falken des einen Lagers mit den Tauben des anderen Lagers verbündet sind.

Die Aussagen des iranischen Aussenministers Zarif und des Teheraner Bürgermeisters erinnern an die Hitler-Halder-Beck-Konstellation: 1938 planten zahlreiche Wehrmachtsoffiziere, darunter auch Halder und Beck, einen Putsch gegen Hitler, falls sich die Eskalation zwischen Großbritannien und Deutschland fortsetzt und es in der Sudetenkrise zu keiner diplomatischen Lösung kommt.

Jetzt rein theoretisch angenommen: wenn es innerhalb der iranischen Revolutionsgarden eine Reformistenfraktion geben sollte, dann kann diese nur dann mit einigen Erfolgs- und Überlebenschancen einen Putsch gegen den Vorsitzenden des Revolutionären Wächterrats, Khamenei durchführen, wenn die Beziehungen zwischen Westen und Iran möglichst schlecht sind, er kann diesen Putsch gegen Khamenei hingegen nicht durchführen, wenn die Beziehungen zwischen Westen und Iran gut sind. Der Vorsitzende des Wächterrats, derzeit Khamenei, ist auch und insbesondere Oberbefehlshaber der Streitkräfte.

Die Frage, die sich nun stellen würde, ist: ist Hanachi ein Teil dieses etwaig putsch-nahen oder putsch-erwägenden Flügels der iranischen Revolutionsgardisten ?

Man kann annehmen, dass Hanachi über Fehler in militärischen Entscheidungen, also auch des Revolutionsführers Khamenei besser, oder sogar viel besser bescheid weiss als der durchschnittliche iranische Staatsbürger, der sowieso oft desinformiert ist über Entwicklungen durch die staatlichen Medien. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob das Reformer-Gegen-Konservative-Spektakel, das die Medien hochspielen, auch dazu dient, die negativen Effekte iranisch-aussenpolitischer Expansionskriege aus den Medien und aus der Wahrnehmung der Bürger zu verdrängen.

Der derzeitige zweifellos gegebene Erfolg der iranisch-militärischen Aussenpolitik mit seinen zumindest kurzfristig-optischen Erfolgen in Syrien und Irak wirkt systemstabilisierend, möglicherweise auch deswegen, weil die Bürger die Details nicht kennen, weil die Staatsmedien sie wegen Islamwidrigkeit vertuschen.

In Kriegen ist Vergewaltigung weitverbreitet, und auch die damit verbundenen Geschlechtskrankheiten, die in Kriegen "gute" Verbreitungsmöglichkeiten vorfinden.

Es ist plausibel, anzunehmen, dass unter Mitgliedern der Revolutionsgarden ähnliche Phänomene existier(t)en wie ich das in meinem Blog

https://www.fischundfleisch.com/dieter-knoflach/geschlechtskrankheiten-und-selbstverletzung-bei-islamischen-frauen-59186

beschrieb, dass diese Phänomene aber, weil system- und islamwidrig, vertuscht wurden.

Jetzt noch einmal zu den Details, die den Hanachi-Besuch umgeben:

1.) Der Zeitpunkt ist in Anbetracht der militärischen Erfolge des Iran in Syrien und anderen Ländern, sowie der problematischen Erfolge im Irak (Wahlsieg eines südirakischen Schiitenführers trotz föderalistischer Verfassung) heikel. Jeder normale Politiker würde einen derartigen Besuch unter Normalbedingungen daher wohl um ein halbes bis ein Jahr verschieben.

1.b) Der Besuch erfolgte in ausgerechnet denjenigen Ländern Europas, in denen der Pazifismus und die Kriegsablehnung am größten ist, nämlich Deutschland und Österreich. Jeder normale Politikberater hätte geraten, derartige Besuche in Staaten zu machen, in denen die Kriegsablehnung keine derartige Dominanz hat.

2.) Der Besuch erfolgte kurz vor der österreichischen Nationalratswahl, sodass man annehmen kann, dass der Besuch islamkritischen Parteien Auftrieb gibt, und islamophilen Parteien schadet. Insbesondere wegen der last-minute-deciders, den Emotionswählern, die sich im Vorfeld nicht entschieden, sondern im letzten Moment.

Normalerweise hätte die SPÖ einen derartigen Besuch zu diesem Zeitpunkt vermeiden müssen, auch deswegen, weil er ihr mutmasslich schadet. Die Proteste jüdischer Organisationen oder Aktivisten waren vorhersehbar.

3.) Wenn dieser Besuch zu diesem Zeitpunkt sowohl dem Iran als auch der SPÖ massiv schaden sollte, stellt sich die Frage, wieso sie ihn trotzdem machen.

So absurd das auch erscheinen mag, eine mögliche Erklärung für diesen Besuch, der entgegen zahlreicher Politlogiken erfolgt, ist, dass es sowohl im Iran als auch in sozialdemokratischen Parteien Europa weite Teile (vielleicht immer größere Teile) gibt, die die Hoffnung auf eine Reform des Iran von innen, bzw. alleine von innen aufgegeben haben, und die daher Wahlniederlage und Iran-Imageverlust als gerechtfertigten Preis für einen höheren Nutzen betrachten.

So gesehen können die auf den ersten Blick unlogischen Aktionen von Aussenminister Zarif und Teheran-Bürgermeister Hanachi auch als Bitte um Reformdruck von Aussen gesehen werden.

Je religiöser, bzw. je diktatorischer ein System ist, umso verklausulierter sind auch die Aussagen der Politiker.

Solange der Kalte Krieg herrschte (also bis 1989), wusste der Westen dies und beschäftigte große Abteilungen von Analytikern und sogenannten Kremlologen, also Leute, die das kryptische sowjetische System entschlüsselten.

Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der damit einhergehenden Euphorie (der Intellektuelle oder Pseudointellektuelle Francis Fukujama sprach vom "Ende der Geschichte, vom Sieg von Demokratie und Marktwirtschaft" ) wurden diese Analysen vielfach eingestellt, aber es wurde offensichtlich übersehen, dass das Ende der einen Diktatur oft nur den Beginn oder Aufstieg einer anderen Diktatur bedeutet, die genau derselben oder ähnlicher Entschlüsselungs- und Dechiffrierungsmechanismen bedarf wie der Sowjetkommunismus. In diesem Falle eben das, was der ägyptisch-deutsche Politologe Hamed Abdel-Samad den "islamischen Faschismus" nannte.

Auch das Versäumen einer Eindämmungsstrategie, die den Iran gehindert hätte, durch aussenpolitisch-militärische Erfolge in Syrien und Irak von wirtschaftlichen oder religiös-moralischen innenpolitischen Desastern abzulenken, erinnert sehr an das Fehlen einer Eindämmungsstrategie, die verhindert hätte, dass die Sowjetunion in der ersten Hälfte der 1980er Jahre durch die anfänglichen Erfolge in Afghanistan von wirtschaftlichen und technologischen Problemen ablenkt.

Des weiteren stellt sich die Frage, inwieweit Hanachi im Laufe der Jahrzehnte sich vom Hardliner zum Moderaten wandelte. Er wäre dabei nicht der erste; die beiden bekanntesten Fälle von islamischen Fundamentalisten, die sich im Laufe der Jahrzehnte von fundamentalistischen Hardlinern zu Reformern und Hardliner-Gegnern wandelten, waren der Iraner Ajatollah Montazeri (1922-2009) und der Sudanese Hassan Al-Turabi (1932-2016). Beide begannen als Verbündete von islamisch-traditionellen Hardlinern (Khomeini, bzw. Baschir) und wurden zu ihren schärfsten Kritikern und Gegnern.

IMAGO Images / ZUMA Press https://www.berliner-kurier.de/berlin/kiez---stadt/us-botschafter-teherans-buergermeister-gehoert-nicht-auf-berlins-vip-liste-33125874

Teheraner Bürgermeister Pirouz Hanachi: dummer Fundamentalist oder zum Schweigen verurteilter Reformer, der um Eskalation zwecks Putsch bittet oder irgendwas anderes ? Niemand weiss es, auch deswegen, weil das iranische System fast 100%ig intransparent ist, und der vielleicht intellektuell minderbemittelte Westen glaubte, in der "Ende der Geschichte"-Euphorie auf Analytiker und Kremlologen und Iranologen weitgehend verzichten zu können.

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Dieter Knoflach

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Matt Elger

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