Der Wahlleiter von Thüringen behauptete, er habe das gesamte Thüringer Wahlergebnis noch einmal händisch nachgerechnet und sei zum Ergebnis gekommen, dass die AFD die Sperrminderheit verliere.

Prompt erhob sich von zahlreichen AFD-Anhängern ein heftiger Shitstorm samt Drohungen, worauf der Wahlleiter sich nichts mehr zu äußern traute und schwieg.

Aber im Grunde hatte er durchaus eine plausible These vertreten.

Da ich aus der österreichischen Grubesa-Erfahrung weiß, dass hinter solchen auf den ersten Blick seltsamen Dingen doch eine gewissermaßen plausible These stecken kann, habe ich das Thüringer Wahlergebnis noch einmal nachgerechnet, und zwar ohne 5%-Hürde und mit dem Sainte-Lague-Verfahren, dem wohl besten und proportionalsten Divisorenverfahren, das es gibt.

Und siehe da: es bestätigte sich, was der Thüringer Wahlleiter angedeutet hatte:

die Mandatsverteilung müsste nach diesem Schlüssel folgendermaßen lauten:

Die Linke 12

AfD 29

CDU 21

SPD 5

Grüne 3

FDP 1

Tierschutz 1

BSW 14

Freie Wähler 1

WU 1

Die AFD verfehlt nach dieser Berechnung die Sperrminderheit um genau ein Mandat. Was ja auch irgendwie plausibel ist, weil die 32.8%, die die AFD erhielt eben weniger sind als ein Drittel, also als 33.3%.

Erhebt sich die Frage, wie legitim die 5%-Hürde ist. Nach der Bundestagswahl 2013, bei der es 16% unwirksame Stimmen gab, also Stimmen für Parteien unter der 5%-Hürde, ein Rekordwert in der deutschen Geschichte, hat das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die 5%-Hürde für die EU-Wahlen als verfassungswidrig eingestuft.

Somit erscheint es nicht völlig unplausibel, dass die AFD eben keine Sperrminderheit hat, und eben "nur" 29 Mandate, aber nicht 32.

AFD-Politiker und -Politikerinnen verstanden es, von der Legitimitätskrise "ihrer" Sperrminderheit lauthals abzulenken, indem sie forderten, das Wahlergebnis sei ein eindeutiger Wählerauftrag zur Bildung einer AFD-CDU-Koalition, was es natürlich nicht ist.

Weil es auch zahlreiche andere Mehrheitsbildungsmöglichkeiten gibt, zum Beispiel CDU-Linke-BSW, CDU-BSW-SPD-Grüne-FDP-FW.

Aber es stimmt schon, AFD-CDU wäre die einzige mögliche Zweierkoalition, was allerdings kein zwingender Grund ist.

Eine weitere Legitimitätskrise dieses Wahlergebnisses ist, dass es gar nicht um Landesthemen ging, sondern um Bundesthemen. Es stellt sich die Frage, ob das überhaupt noch mit dem Föderalismus und dem Bundesstaatsprinzip vereinbar ist, wenn Landesparteien bei Landeswahlen mit Bundesthemen wahlkämpfen, wenn Landeswähler als Folge der Themensetzung der Parteien überwiegend oder rein nach Bundesthemen wählen, die die Landesebene gar nicht beeinflussen kann.

Daher auch die Überlegung, Strafabzugsmandate zu verhängen gegenüber Parteien, die auf Landesebene überwiegend Bundesthemen "spielen" und daher das Bundesstaatsprinzip verletzen.

So gesehen könnte es durchaus sein, dass ein Höchstgericht, das diese Strafabzugsmandate für das Betonen der falschen Themen im Wahlkampf verhängt, der AFD weitere 5 Mandate abzieht, womit die AFD nur mehr auf 24 Mandate käme.

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Matt Elger

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