Das sogenannte Qualitätsmedium "Der Standard" brachte einen Artikel, in dem behauptet wurde, die FPÖ hätte aus den Fehlern ihrer früheren Regierungsbeteiligung 1983-1986 und 2000-2006 gelernt.
https://derstandard.at/2000093191666/Die-FPOe-hat-aus-ihrer-Vergangenheit-gelernt
Die darin von einem sogenannten "Politikwissenschaftler" vertretenen Thesen sind allesamt fraglich:
1.) In der ersten Republik kann man die Großdeutsche Volkspartei (die im Burgenland eine Koalition mit der SPÖ bildete) als Vorläufer der FPÖ betrachten, die sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene mit der SPÖ oder mit den Chrstlich-Sozialen koalierte.
2.) Wenn jemand die Koalition SPÖ-FPÖ in den Jahren 1983-1986 gebrochen hat, dann die SPÖ bzw- deren Kanzler Vranitzky, der glaubte, mit einem angeblich faschistischen "Feindbild", nämlich der FPÖ, das zu kompensieren, was ihm als Banker an Street-Credibility, bzw. an Glaubwürdigkeit in der Arbeiterschaft fehlte. Ein Versuch, der kläglich scheiterte, verlor die SPÖ doch in seiner Amtszeit von 42% auf 28% (EU-Wahl 1996), während die FPÖ von 3% auf 27% (Nationalratswahl 1999) kräftig zulegte.
Vranitzky selbst bezeichnete seine "Ausgrenzungspolitik" nach der SPÖ-FPÖ-Koalition im Burgenland als Fehler. Eine späte Erkenntnis, hatte doch der Publizist Czernin in seinem Buch "Die Haidermacher" sowie viele andere schon viele Jahre früher ähnliche Thesen vertreten.
3.) Im Vergleich zur in diesem Zusammenhang üblichen "Putsch"-Rhetorik der Linken erscheint die Wortwahl "Haider stürzte 1986 Steger ..." vergleichsweise moderat.
Trotzdem war es keineswegs Haider, der Steger ablöste, sondern er hatte Unterstützung von der Mehrheit der FPÖ-Abgeordneten und Delegierten.
Während der rot-blauen Koalition erlitt die Steger-FPÖ heftige Niederlagen bei Landtagswahlen und fiel aus zahlreichen Landtagen hiinaus, eine Entwicklung, die in jeder Partei zu einer Revolte und zu einem radikalen Kurswechsel führen muss. Die Kärntner FPÖ, deren Obmann Haider war, war die einzige Landesparteiorganisation, die dem Trend trotzte und kräftig dazugewann. Das wäre für jedermann eine gute Basis für eine Parteiübernahme, auch ohne angeblichen "Putsch" und angeblichen "Sturz". "Sturz" ist viel eher, was die "Koalition der Willigen" 2003 mit Saddam Hussein machte.
4.) Der Artikel vergleicht FPÖ-Umfragedaten aus der Zeit 2005-2010 mit denen von heute, übersieht aber, dass mit dem BZÖ damals eine zweite Partei des dritten Lagers existierte, sodass die reinen FPÖ-Umfragedaten unbrauchbar, weil unvergleichbar sind. Ebenso unvergleichbar ist der Rückenwind durch die Aussenpolitik, insbesondere den Syrienkrieg und die Syrien-Flüchtlingskrise bzw. Migrantenkrise, die der Strache-FPÖ einen Rückenwind gab, trotz dem sie 2017 mit 25% nur ein schlechteres Wahlergebnis erzielte als Haider 1999.
5.) Man kann es drehen und wenden, wie man wil, aber die schwarz-blaue Mehrheit von 1999/2000 wurde im Jahr 2002 bestätigt. Ein Erfolg, den Strache (noch) nicht erzielte, aber vielleicht erzielen wird, weil es unwahrscheinlich erscheint, dass die schwarz-blaue, bzw. türkis-blaue Regierung mehr als 10% verlieren wird. (Und rein auf Mandatsebene wäre das nötig)
6.) "Buberlpartei versus Burschenschafter": Haider praktizierte mit der "Buberlpartei", wie auch immer man zu ihr stehen mag, eine Erweiterung des Funktionärkaders außerhalb der klassischen FPÖ-Kaderschmieden wie den Burschenschaften.
So gesehen tat Haider das Demokratisch-Normale, während der starke Einfluss der Burschenschaften in der heutigen FPÖ (es gibt heute mehr FPÖ-Burschenschafter im Parlament im Parlament trotz schlechteren Wahlergebnissen) eine demokratie-politische Anomalie ist, die die FPÖ noch viele Wählerinnen und Wähler kosten kann, bei den niederösterreichischen Landtagswahlen vielleicht schon gekostet hat.
7.) Im Artikel werden die Neuwahlen 2002 zu einer Katastrophe und zu einem Markenzeichen für Unberechenbarkeit (der FPÖ) hochstilisiert, während die vielen Fälle, in denen die SPÖ vorgezogene Neuwahlen verursachte, bzw. zumindest daran beteiligt war, nicht als Kennzeichen für Unberechenbarkeit der FPÖ hochstilisiert wird. Wohl eine typische Doppelmoral für unser stramm "antifaschistisches" lachsrosa Fakequalitätsmedium.
8.) Der Föderalismus und die innerparteiliche Demokratie wird im Artikel schlecht dargestellt (als Machtzentrum ausserhalb der Regierung). Dass in allen Parteien Landeshauptleute eine wichtige Funktion als "Machtzentrum ausserhalb der Regierung" haben, verschweigt der Artikel. Häupl war als Wiener Bürgermeister mehrfacher "Kaisermacher und -zerstörer" (sowohl Gusenbauer als auch Faymann waren seine Erfindung), auch die Gewerkschaft müsste aus Sicht des angeblichen Politikwissenschafters ein böses "Machtzentrum ausserhalb der Regierung" sein. Und die Art und Weise, wie der Gewerkschafter und Regierungsverhandler Nürnberger 1999/2000 mit seiner Nichtunterschrift die rot-schwarze Koalition sprengte, lässt der Artikel unerwähnt, was er aufgrund seiner eigenen Logik als Kennzeichen für die Unberechenbarkeit und Regierungsunfähigkeit der SPÖ werten müsste.
9.) Auch in frauenpolitischer Hinsicht setzte Haider Markenzeichen für das dritte Lager: mit Susanne Riess-Passer war die FPÖ die erste Partei in der Geschichte Österreichs, die eine Frau zur Vizekanzlerin machte. Auch Frauen aus Haiders eigener Familie (Haubner) erreichten Spitzenpositionen.
10.) Während Strache in seiner Obmanns-Anfangszeit (angeheizt durch Rivalität mit Haider) stark homosexuellenfeindliche Aspekte zeigte, war bei Haider, dem selbst - relativ glaubwürdig - Bisexualität nachgesagt wurde, nichts dergleichen bekannt.
11.) Auch was die Nähe zum westlichen Bündnis NATO betraf, Unterscheid sich Haider wohltuend und unpopulistisch vom heutigen Neutralitätspopulismus der FPÖ, der mit der Militärtradition der FPÖ in einem gewissen Widerspruch steht, ist doch ein Bundesheer für einen neutralen Staat, der zu 100% von einem NATO-Schutzschrim umgeben und daher unangreifbar ist, völlig überflüssig.
verstorbener Kärntern Landshauptmann und FPÖ-Chef Jörg Haider: Tote kann man leicht kritisieren, weil sie sich nicht mehr wehren können. Demgemäß setzen angebliche "Qualitätsmedien" wie "Der Standard" auf Kritik an Toten, die niemand (oder zumindest niemand von den großen Medien) mehr verteidigt.
Haider war der erste und bisher einzige Landeshauptmann, der nicht SPÖ- oder ÖVP-Mitglied war, eine Leistung, die ihm weder Strache noch ein Mitgleid der Strache-FPÖ nachmachen konnten.
Auch die Comeback-Kid-Qualität, die das aus dem Boxsport in die Politik transferierte "They never come back" zeichnet Haider aus, der die Wiederwahl nach Abwahl schaffte, ein ganz seltener Fall.