Kürzlich sah ich ein Youtube-Video mit einem Medientheoretiker, der meinte, man solle extremistische Internetblasen sich selbst überlassen.

Denn wenn man versuche, zu argumentieren, auch Gegenargumente zu bringen, dann führe das in extremistischen Internetblasen nur zu Shitstorms und dazu, dass nicht mehr über das Sachthema gesprochen werden könne, sondern nur mehr persönliche Miesmache dominiere, die vom Sachthema ablenke.

Das Beste im Umgang mit extremistischen Internetblasen sei daher, sie völlig in Ruhe zu lassen und abzuwarten, bis sie sich totgelaufen hätten, weil weder juristische Schritte noch der Versuch, sachliche Gegenargumente zu bringen, etwas bringe, sondern im Gegenteil oft schade und kontraproduktiv wirke, d.h. das Gegenteil des Beabsichtigten bewirke.

Das wäre natürlich bis zu einem gewissen Grad eine Widerlegung der These von Immanuel Kant von dem "Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit".

Auch Adornos Theorien vom "herrschaftsfreien Diskurs" kann man so gesehen als widerlegt, bzw. relativiert betrachten.

Insofern, als extermistische Internetblasen damit die totale Herrschaft über den eigenen Bereich erlangen, und durch nichts mehr kontrollierbar oder beeinflussbar seien.

Die Position von der völligen Unantastbarkeit von Internetblasen würde auch klassische Theorien von Meinungsäußerungsfreiheit relativieren.

Man könne zwar in ihnen abweichende Meinungen äußern, aber diese geäußerten Meinungen würden den Zielen der Äußerer nur schaden, die "Fronten" verhärten und einen Totlaufprozess erschweren.

Die Theorie von "Totlaufenmüssen" von extremistischen Internetblasen ähnelt auch der Theorie vom "Ausblutenmüssen" von Kriegen und Bürgerkriegen.

Laut der "Ausblutenlassen"-Theorie seien Interventionen (wie die gerade gescheiterte in Afghanistan) das falscheste, was man machen kann - im Gegensatz dazu müsse der Krieg, bzw. Bürgerkrieg eben solange laufen, bis sich eine gewisse Kriegsmüdigkeit bei allen Kriegsparteien eingestellt habe, was eine gute Basis für haltbare Friedensschlüsse sei.

https://de.wikipedia.org/wiki/Filterblase

Der Echokammer-Effekt beschreibt die Fragmentierung / Zersplitterung der Gesamtgesellschaft in Internetgruppen, die sich von der Gesamtheit abschotten und die eigene "Wahrheit" sozusagen konstruieren, indem sie gezielt die Sicht auf die Welt verfälschen, und die Mitglieder sich gegenseitig in falschen Vorurteilen und Haltungen bestätigen.

Dudurch kommt es zu einer Radikalisierung dieser Internet-Kleingruppen, die auch bis hin zum Terrorismus führen kann und oft auch führt.

Damit zusammen hängt auch die Confirmation-Bias-Theorie (deutscher Begriff: "Bestätigungsfehler" ), die besagt, dass zahlreiche Menschen überhaupt nicht an der Wahrheit interessiert seien, sondern nur an der Bestätigung der eigenen Vorurteile.

Statt sich um die Sachfrage zu kümmern, werden nur noch Gleichdenkende gesucht und wird nur noch Gleichdenkenden geglaubt, welche auch Gleich-Falsch-Denkende sein können.

Menschen neigen vielfach dazu, eigene Fehler und Vorurteile ungerne zuzugeben, bzw. ungerne kritisch zu hinterfragen und zu überprüfen, weil das Eingeständnis, lange falsch gelegen zu sein, erstens das Selbstwertgefühl gefährden kann, und zweitens innerhalb der Gruppe den Ruf stark gefährden kann.

Ein im Internet auch häufig anzutreffendes Phänomen ist der Dunning-Kruger-Effekt, der besagt, dass Leuten mit eingeschränkter Erkenntnisfähigkeit oft auch die Erkenntnis fehlt, dass sie eingeschränkte Erkenntnisfähigkeit haben.

Das führt dazu, dass sie falsche Thesen mit enorm großem Nachdruck vertreten.

Die Universitätspsychologen Dunning und Kruger nannten in ihren Artikel dazu als Beispiel einen Fall eines Bankräubers, der glaubte, er werde unerkennbar, wenn er sein Gesicht mit Zitronensaft einschmiere.

Generell kann man den Eindruck haben, die Kombination aus eingeschränkter Erkenntnisfähigkeit und Selbstüberschätzung, also extrem großen Selbstvertrauen trotz eingeschränkter Erkenntnisfähigkeit sei ein eher männliches Phänomen, wenn auch sich durch die fortgesetzte Emanzipation hier geschlechterspezifische Unterschiede verringern könnten.

Das Phänomen als solches ist anscheinend kein völlig Neues: bereits der nazi-nahe Rechtstheoretiker Carl Schmitt beschrieb den Konflikt zwischen Stalinisten und Nazis in der Weimarer Republik als "Freund-Feind-Schema", als "puren politischen Konflikt".

Dieses steht in einem Zusammenhang zur Dämonisierung des politisch-Andersdenkenden.

Dieser Extremismus kann prinzipiell demokratiegefährend werden, wenn Andersdenkende nicht mehr als Leute wahrgenommen werden, die demokratisch-legitim andere Positionen haben, sondern als "Feinde", als "Verrückte", etc.

Alle Totalitarismen der Vergangenheit, egal, ob Stalinismus oder Hitlerismus, machten Gebrauch von dieser Dämonisierung Andersdenkender.

Eine Variante dieser Dämonisierung kann auch die Abstempelung Andersdenkender als "Verrückt", "Wahnsinnig", etc. sein. In der heutigen Situation als "Coronawahn", "Genderwahn", etc.

Diese Dämonisierung wirkt gruppenstabilisierend in mehrerlei Hinsicht:

erstens werden damit Mitglieder der Gruppe davon abgehalten, über andere Meinungen und andere Sichtweisen nachzudenken. Denn ein Nachdenken über andere Meinungen könnte ja dazu führen, dass man die Meinung ändert und die Gruppe verlässt.

zweitens werden mit dieser Punzierung als "Verrückte" Andersdenkende aus der Gruppe vertrieben, was es auch erleichtert, eine Machtposition und Manipulationsposition über andere Gruppenmitgleider aufrechtzuerhalten.

Ziel dieser Dämonisierung ist oft die Dehumanisierung des Anderen. Zu einer Haltung, die den Anderen, egal, ob den Vertreter einer anderen Kultur oder Vertreter einer anderen Meinung, als Nicht-Menschen definiert, als jemanden, der keine Menschenrechte mehr hat, der getötet oder ruf-gemordet werden darf, ist es dann nur mehr ein sehr kleiner Schritt.

Der Trend zur Zersplitterung der Gesamtgesellschaft in Teilgruppen, Internetblasen birgt aber auch die Gefahr des Bürgerkrieges oder des Putsches gegen demokratisch-legitime Regierungen.

Das Internet entpuppt sich so gesehen als das genaue Geegnteil des vor 30 Jahren versprochenen Fortschritts, als Gefahr für Demokratie und stabile politische Entwicklung.

Pixabay License / PublicDomainPictures https://pixabay.com/de/photos/blasen-seifenblasen-gl%c3%a4nzend-bunt-83758/

Zerstörung der Gesamtgesellschaft durch Internetblasen, deren Mitglieder sich gegenseitig im Fehlurteil bestätigen, weil ihnen der Kontakt zur Aussenwelt fehlt ? Und das früher als progressiv gepriesene Internet als Quelle von Terrorismus, Bürgerkrieg und Phänomenen wie den Sturm auf das Kapitol ?

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