Laut deutscher Verfassung gilt in Deutschland das Verhältniswahlrecht: laut diesem müssen die verschiedenen Parteien im Verhältnis zur Stimmenzahl in den entsprechenden Vertretungskörpern vertreten sein. In der Regel bedeutet Verhältniswahlrecht daher Vielparteiensystem: im deutschen Parlament sind - wenn man CSU als eigenständige Partei rechnet - sieben Parteien vertreten: CDU, CSU, SPD, AfD, FDP, Linke, Grüne.
Damit unterscheidet sich das Verhältniswahlrecht vom Mehrheitswahlrecht, das in vielen Konstellationen einen Trend zum Zweiparteiensystem hat (z.B. Republikaner und Demokraten in den USA).
Wenn Merkel nun die kommende EU-Wahl zu einem Zweikampf von Pro-Europäern und Anti-Europäern erklärt, dann ähnelt das eher dem Zweiparteiensystem oder Zweilagersystem. Derartige Rhetoriken haben den Effekt und oft auch die Absicht zur "Zerstörung der Mitte". Mitteparteien werden in der Regel durch solche Rhetoriken der übermächtigen Blöcke zerrieben.
Und in diesem Fall wären das moderat-EU-kritische Parteien, die gleichzeitig moderat-proeuropäische Parteien sind, die weder so pro-europäisch sind wie die klassischen Proeuropäer noch so anti-europäisch wie die klassischen Antieuropäer.
Meine Position, dass eine EU-Armee möglicherweise handlungsunfähig sein könnte, weil Pazifisten in einigen wenigen EU-Staatenregierungen alles blockieren, hingegen Koalitionen der Willigen (an denen eben nur die Willigen mitmachen) tragfähig sein könnten, kann als abweichend vom traditionellen sogenannten "proeuropäischen" Trend betrachtet werden, aber nicht prinzipiell integrationsfeindlich.
Merkels "Zweikampf"-Rhetorik ähnelt auch totalitären Redeweisen: der frühere kubanische Diktator Fidel Castro argumentierte ähnlich dichotom/zweigeteilt: "Socialismo o muerte" ("Sozialismus oder Tod!" ) war sein Slogan.
Wahltaktisch machen derartige Methoden durchaus Sinn: die "Schlacht um Wien"-Rhetorik, die "Häupl oder Strache"-Rhetorik führte bei der letzten Wien-Wahl dazu, dass alle anderen Parteien verloren. Wer Häupl nicht mochte, war fast gezwungen, Strache zu wählen. Wer Strache nicht mochte, war fast gezwungen, Häupl zu wählen.
Demgemäß verloren ÖVP und Grüne, demgemäß bleiben die NEOS unter ihren Erwartungen, demgemäß blieb Wien-Anders weit von der Fünfprozenthürde entfernt.
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Kanzlerin Merkel: diktatorenähnliche Rhetorik?
Die Ähnlichkeit dieser Merkel-Rhetorik mit dem "Freund-Feind-Schema" des umstrittenen nazinahen Rechtswissenschafters Carl Schmitt ist offensichtlich.
Aber die deutschen Medien scheinen diese Ähnlichkeit zwischen Merkel und dem Nationalsozialismus nicht erkennen zu wollen oder zu können. Vielleicht gehen deutsche Medien davon aus, dass es prinzipiell immer nur Ähnlichkeiten zwischen Nationalsozialismus und AfD geben könne, aber keine anderen.
In Österreich würde sich mit einer derartigen Rede auch die Frage stellen, inwieweit hier eine Verletzung des sogenannten antifaschistischen Grundkonsens vorliegt.
Es stellt sich auch die Frage, inwieweit durch eine derartige Rede ein Rückkehr Großbritanniens in die EU erschwert wird: eigentlich spricht einiges für die offensichtliche britische Position, mehr auf Freihandel zu setzen und weniger auf Kohäsionfonds und Umverteilung.
Die Netto-EU-Beitragshöhenstreitereien, die unumgänglich erscheinen, zerstören den europäischen Geist, und verhindern, dass über wirklich wichtige Themen gesprochen wird.
Eine Forderung nach völliger Abschaffung des jetzigen Kohäsionsfondsmodells wäre natürlich als "antieuropäisch" einstufbar: als gegen die jetzige Ordnung und Struktur Europas gerichtet. Aber nicht gegen Europäismus überhaupt.
Und genau die Grenzfälle, in denen strittig ist, ob sie nun pro-europäisch oder antieuropäisch sind, sind bei einer Zweikampf-Rhetorik zum Untergang geweiht: sie sind dem einen Lager und ihren Medien zu proeuropäisch und daher Feind, und dem anderen Lager und ihren Medien zu antieuropäisch und daher Feind.