Meine Kritik bezieht sich auf folgenden Artikel von Gestern:
Dort heisst es unter Punkt 7 (ähnlich unter Punkt 10):
"7. Ist eine ungültige Stimme gut? Jein. Natürlich ist das eine Form der Meinungsäußerung. Theoretisch wäre die Abgabe des aus Protest weißen Stimmzettels eine Aussage. In der Praxis wissen wir nichts über die Motive der Ungültigen. Sie werden häufig mit Scherzbolden, die Donald Duck wählen, in einen Topf geworfen. Oder mit politisch Minderbemittelten, denen der Wahlvorgang geistig zu hoch ist."
Dazu meine ganz konträre Meinung:
Wohlbegründeter Wahlboykott wie am Ende des Blogs verlinkt ist oft die einzige Möglichkeit, Systemkritik zu üben. Und im konkreten Fall (der Weißwahlaufruf richtete sich nur an diejenigen Wähler und -innen, die keinen Favoriten haben) wäre die Weißwahl ein rein symbolischer Akt, der das eigentliche Wahlergebnis überhaupt nicht verfälscht / verändert.
Einer der bekanntesten Fälle von Wahlboykott war derjenige durch Ibrahim Rugovas "Demokratische Liga des Kosovo".
Wahlboykott ist auch in der Tradition des passiven und gewaltlosen Widerstands eines Mahatma Gandhi.
Im konkreten Fall ist die Bundespräsidentenwahl 2016 äußerst problematisch, weil erstmals in der Geschichte mehr als 3 Kandidaten reale Chancen auf Stichwahleinzug haben bzw. gehabt hätten, wodurch der Mechanismus des "taktischen Wählens" verursacht wird, der die tatsächliche Wahlentscheidung von den Wählern und -innen zu den Medien, Umfrageinstituten und Wahlkampfteams verlagert, nach dem Motto "Ich würde ja am allerliebsten X wählen, aber weil die Medien und Umfrageinstitute und Wahlkampfteams sagen, X habe keine Chance, wähle ich stattdessen Y oder Z, der/die mir am zweitliebsten/drittliebsten ist."
Da Umfragen mit hohen Schwankungsbreiten behaftet sind, die oft nicht ausgewiesen sind, entsteht die strafrechtlich relevante Problematik des §263 "Täuschung bei einer Wahl".
"Täuschung bei einer Wahl oder Volksabstimmung
§ 263. (1) Wer durch Täuschung über Tatsachen bewirkt oder zu bewirken versucht, dass ein anderer bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung irrt oder gegen seinen Willen eine ungültige Stimme abgibt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
(2) Ebenso ist zu bestrafen, wer durch Täuschung über einen die Durchführung der Wahl oder Volksabstimmung betreffenden Umstand bewirkt oder zu bewirken versucht, dass ein anderer die Stimmabgabe unterlässt."
Zusätzlich ergibt sich eine ganze Palette von Problematiken in Zusammenhang mit der Präsidentschaftswahl: die Bedeutung der Verfassungsreform von 1929, die Präzisierung der oft schwammigen Verfassungsbestimmungen, die die Rechte des Präsidenten nicht eindeutig festlegen, die Alternative des kollektiven Staatsoberhaupts ähnlich dem Schweizer Vorbild oder dem Nationalratspräsidium, die Alternative einer Reihungswahl gemäß Condorcet, Borda oder Schulze, etc.
All das sind ernsthafte Themen, die nicht lächerlich gemacht werden sollten, als scherzboldhaft oder als minderbemittelt eingestuft werden sollten.
Der erwähnte Donald Duck ist eine durchaus politische Figur:
er verkörpert die Unterschicht, die arme Hälfte Entenhausen und steht im Gegensatz zu Dagobert Duck. Es ist interessant, dass Filzmaier bzw. die Kronenzeitung eine Neigung hat, sich über Donald Duck lustig zu machen. Die Eigentümer der Kronenzeitung, die Medienmilliardäre der Dichand-Familie, passen viel eher zum Fantastillionär Dagobert Duck. Sich über die von Donald Duck verkörperte Armut lustig zu machen und zu behaupten, dass nur Scherzbolde oder Minderbemittelte Donald Duck bzw. Unterschichtvertreter wählen würden, mag einer Art neoliberalem Geist entsprechen.
Zusätzlich ist Donald Duck als Alleinerzieher seiner drei Neffen Tick, Trick und Track eine Verkörperung der Problematik und der Schwierigkeiten der Alleinerzieher bzw. Alleinerzieherinnen, über die Milliardäre bzw. Fantastillionäre wie Dagobert Duck sich lustig machen können, frei nach dem Motto "Ich verstehe gar nicht, welche Probleme Alleinerzieher und -innen haben sollen, sie können sich doch Au-Pair-Mädchen, Kindermädchen, Tagesbetreuer oder Ähnliches anstellen".
Diese offensichtliche Abgehobenheit von Teilen der Oberschicht entspricht dem Marie Antoinette zugeschriebenen "Wenn die einfachen Leute kein Brot haben, dann sollen sie doch Brioche essen".
Auch die Behauptung Filzmaiers, nichts über die Ungültigwähler zu wissen, spricht vielleicht eher gegen ihn als gegen die Ungültigwähler. Denn mein wohlbegründeter und sachlich und mathematisch untermauerter "Aufruf zum Weißwählen" steht schon länger ihm Internet, ich habe ihn an einige Leute getwittert, darunter auch Politikwissenschafter. Es ist fraglich, ob Filzmaier und alle Krone-Journalisten davon keine Kenntnis hatten.
Die Formulierung von Filzmaier, Ungültigwähler würden häufig mit Scherzbolden, die Donald Duck wählen, oder mit Geistig Minderbemittelten in einen Topf geworfen, lässt zwei Dinge völlig offen:
erstens, ob sie zu Recht oder zu Unrecht mit Scherzbolden und Geistig Minderbemittelten in einen Topf geworfen werden, und zweitens, von wem sie mit Scherzbolden und Minderbemittelten in einen Topf geworfen werden. Beides entspricht nicht den Kriterien der Wissenschaftlichkeit.
Diese verschleiernde und für einen angeblichen Wissenschafter problematische Passivformulierung "werden in einen Topf geworfen" lässt auch etwaige Zu-Unrecht-In-Einen-Topf-Werfer in der Anonymität, sodaß sie weiterhin ohne Rufbeschädigung zu Unrecht in einen Topf werfen können.
Auch die Formulierung "die Ungültigen" statt "die Ungültig-Wählenden" ist eine äußerst problematische Herabsetzung. Ich überlege in diesem Zusammenhang eine Klage wegen "übler Nachrede" oder Ähnlichem.
Doch zurück zu Donald Duck: während meiner Zeit in der Piratenpartei ("Jugend"-Sünde?) hatte ich eine Zeitlang Donald Duck als Icon, und ich frage mich, ob Filzmaier bzw. die Krone darüber Bescheid wussten.
Wissenschafter und Medien hätten an und für sich die Aufgabe, wohlbegründeten Wahlboykott bzw. wohlbegründeten Weißwahlaufruf, der under-reported ist, zu erwähnen, zu analysieren und zu thematisieren.
Indem Krone / Filzmaier das genaue Gegenteil machten, nämlich wohlbegründeten Weißwahlaufruf lächerlich zu machen und nicht zu erwähnen, dass Weißwahlaufrufe auch gute Gründe haben können, haben sie wahrscheinlich in ziemlich einmaliger Weise ihre Aufgabe als Wissenschafter bzw. Medien verfehlt. Es darf vermutet werden, dass hinter einer derartig massiven Aufgabenverfehlung politische Motive stehen.
WAHLBOYKOTTE HABEN OFT ERNSTZUNEHMENDE GRÜNDE !!!!!
P.S.: es mag sein, dass ich in einer Art Zorn gewisse Passagen überscharf formulierte.
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http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10002296