FPÖ-Chef Kickl will angeblich "Volkskanzler" werden. Laut Umfragen könnte die FPÖ ca. 25 bis 30% erreichen, also eine Größenordnung, wo rein theoretisch das Kanzleramt schon in Griffweite liegen könnte - Wolfgang Schüssel (ÖVP) wurde im Jahr 2000 mit 27% Kanzler.
Allerdings war die ÖVP damals eine Art Scharnierpartei, mit der alle anderen Parteien koalieren wollten, sowohl die SPÖ als auch die FPÖ, was man von der heutigen FPÖ nicht sagen kann, die keinen Koalitionspartner zu finden scheint, bzw. insbesondere wegen Kickl keinen Koalitionspartner finden zu können scheint.
Umso radikaler versteift sich die Kickl-FPÖ auf das, was ihre einzige Chance zu sein scheint: knapp Stimmenstärkste Partei zu werden, und dann zu versuchen, mit dieser Position das Kanzleramt quasi zu erzwingen.
Allerdings sind 26% nur 26% und damit ein Viertel des wählenden Volks, und wenn man davon ausgeht, dass die Wahlbeteiligung bei ungefähr 70% liegen wird, wären diese 26% der Wählenden dann 18% der Wahlberechtigten und damit eher in der Größenordnung von "ein Viertel des Volks" oder "ein Fünftel des Volks".
Und normalerweise ist es so, dass die absolute Parlamentsmehrheit entscheidend ist: ÖVP und FPÖ hatten 1999 beide je 27%, also in Summe 54%, und damit in Summe wesentlich mehr als die 33%, die die SPÖ damals als Stimmenstärkste Partei hatte. Und die SPÖ landete - obwohl sie Stimmenstärkste Partei wurde - nicht im Kanzleramt, sondern in der Opposition.
Dasselbe kann der FPÖ natürlich auch passieren: knapp stimmenstärkste Partei, aber dann wieder und wie fast immer in der Opposition, weil ein weit größeres Parteienbündnis sich einigte, das zusammen eben die absolute Mehrheit (über 50%) hat, die die FPÖ eben nicht hat.
Diese Rhetorik, dass der stimmenstärksten Partei automatisch das Kanzleramt zustünde, die im Übrigen überhaupt keine Basis in der Verfassung hat, sondern hohle Politrhetorik ist, stammt ursprünglich von der SPÖ: die SPÖ versuchte damals, sich als "Antifaschistisch" selbstzuinszenieren, die FPÖ zu dämonisieren und die ÖVP davon abzuhalten, mit der FPÖ zu koalieren und selbst eben mit diesem angeblichen, aber substanzlosen "der stimmenstärksten Partei steht automatisch das Kanzleramt zu"-Rhetorik, das Kanzleramt auf ewig zu behalten, was aber nicht funktioniert hat.
Die FPÖ beschwert sich des öfteren, dass die SPÖ so gemein sei, und dass die SPÖ die FPÖ angeblich ständig kritisiere. Aber diese "Stimmenstärkster-automatisch-Kanzler"-Rhetorik beweist genau das Gegenteil: hier könnte die SPÖ die FPÖ kritisieren, tut es aber nicht, weil die SPÖ sich damit selbst schaden würde, weil noch Viele sich daran erinnern, dass das ursprünglich ein SPÖ-Schmäh war, mit der angeblichen Stimmenstärksten-Automatik für das Kanzleramt.
Und Kickl müsste eigentlich erfahren genug sein, um sich noch daran zu erinnern, dass die FPÖ hier die SPÖ-Rhetorik kopiert - vielleicht machte Kickl das ja absichtlich, weil er davon ausging, dass die SPÖ und die SPÖ-nahen Journalisten ihn nicht dafür kritisieren, weil sie dann auch die SPÖ kritisieren würden. Das kann man nun als besonders clever von Kickl empfinden, muss man aber nicht.
Apropos Erfahrung: Kickl ist so eine Art Berufspolitapparatschik, der nie in seinem Nach-Schul-Leben etwas anderes gemacht hat als Berufspolitik.
Genau das würde man normalerweise eher als abgehobene Polit-Elite bezeichnen und also genaues Gegenteil von Volk und Volkskanzler.
Interessanterweise "arbeiten" die jahrzehntelangen oder lebenslangen Berufspolitiker der FPÖ mit diesem Anti-Berufspolit-Schmäh "Wir vom Volk gegen die da Oben", obwohl sie selbst zumindest in der FPÖ-Hierarchie seit langem oben stehen und auch früher Regierungsposten bekleideten, z.B. Kickl als früherer Innenminister.
Der Berufspolitapparatschik als "kleiner Mann aus dem Volk" ???? Obwohl ihn Alles vom Volk unterscheidet, alleine schon die Tatsache, dass er immer in der Politik war, und so gesehen gemäß der deformation professionelle politikverdorben sein müsste, und vielleicht auch ist ?
Ganz abgesehen davon gibt es da noch eine "Kleinigkeit": den Bundespräsidenten, also Alexander Van der Bellen.
Als Grüner kommt VdB quasi vom Antipoden, vom Gegenüber in der Parteienlandschaft, und laut Verfassung ist nicht ganz klar, welche Möglichkeiten der Bundespräsident (BP) bei der Beauftragung zur Regierungsbildung hat: die Formulierung des "Ernennens", sowohl des Kanzler-Ernennens als auch des Minister-Ernennens in der Bundesverfassung ist insofern zweideutig, als nicht ganz klar ist, ob der BP jeden ernennen muss, der eine Parlamentsmehrheit hinter sich hat, oder ob er so frei in der Auftraggebung zur Regierungsbildung ist, wie der altrömische Kaiser Caligula, der einmal sein Pferd zum Regierungschef ernannte.
Einen kleinen Präzedenzfall gibt es allerdings: der frühere Bundespräsident Klestil hat im Jahr 2000 zwei FPÖ-Ministerkandidaten von der Regierung ausgeschlossen, namlich Kabas und Prinzhorn, was die FPÖ akzeptierte und worauf sie Alternativen nominierte.
Und Ähnliches könnte Kickl auch passieren, wobei Kickl in einer schwachen Position ist im Vergleich zum früheren FPÖ-Chef Jörg Haider, der leicht auf einen Bundesregierungsposten verzichten konnte (zugunsten von Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer übrigens), weil er Landeshauptmann von Kärnten war.
Haider begründete das mit dem altrömischen Spruch: "Lieber Erster in Gallien als Zweiter in Rom", was in Anbetracht der Geschichte insofern doppeldeutig war, als Julius Cäsar den Provinzkommandantenposten in Gallien dann nutzte, um gegen Rom zu putschen und Cäsar in Rom zu werden.
Allerdings war die Anti-Haider-Stimmung, die die SPÖ in Wien geschaffen hatte, ein nachhaltiger Sperrriegel gegen eine Bundesregierungsfunktion von Haider, was allerdings vermutlich nicht das war, was die SPÖ gewollt hatte: vielmehr hatte die SPÖ scheinbar auf die ewige Oppoitionsrolle der FPÖ und die ewige Kanzlerschaft der SPÖ abzielt damit.
Aber das oftmalige Scheitern der SPÖ mit ganz ähnlichen Strategien wie Kickl heute sollte Kickl eine Mahnung sein, ein Memento Mori, eine Warnung vor Größenwahn, der die Nation in eine schwerwiegende Krise stürzen könnte, dass niemand unersetzlich ist, und dass es um wichtigeres geht, als das Ego eines Parteichefs.
In diesem Sinne sollte man auch bedenken, dass "Volkskanzler" auch etwas ganz anderes bedeuten könnte oder sollte als "Volkskaiser" oder "Volksführer", nämlich zum Beispiel "Diener des Volkes", mit diesem Begriff des Dienens, des Ministrierens (aus dem Lateinischen) hängt auch der Begriff des "Ministers" zusammen.
So gesehen müsste man wohl die Verfassung umschreiben und jedesmal das Wort "Kanzler" durch das Wort "Ministerpräsident" ersetzen, weil darin das Dienen vorkommt und stärker betont wird, als im Begriff des Kanzlers.
Und dieses Dienen entspricht auch der katholischen Demut und steht im Gegensatz zur Todsünde bzw. zum Grundlaster des Hochmuts, dass jemand so hochmütig ist, zu glauben, nur er dürfe Kanzler werden, und sonst niemand.
"Hochmut kommt vor dem Fall" - lautet das Sprichwort, so gesehen stellt sich die Frage, ob nach gewonnener Wahl und gescheiterter Koalitionsverhandlung der Fall kommen wird oder sogar kommen muss - mehr oder weniger unvermeidlich .....
Die Weichen zu diesem Fall scheinen schon gestellt zu sein ...