Warum es beim selben Staat tausende verschiedene Covid-Übersterblichkeits-Werte gibt

Deutsche oder österreichische Krawallmedien und Krawallblogs behaupten ja gerne, Deutschland (oder Österreich) hätte eine riesengroße Übersterblichkeit, der Gesundheitsminister sei daher eine Art idiotisches Arschloch bzw. inkompetent, und müsse daher schleunigst zurücktreten.

Diese Behauptungen sind alle grundfalsch, und sie dienen wohl dazu, die Wahlen zu beeinflussen, die Verkaufszahlen hochzuschnalzen oder den Möchtegern-"Skandal"-Aufdecker bekannt zu machen.

Der Grund ist folgender: die Übersterblichkeit ergibt sich aus dem Unterschied zwischen der nach Definition festgelegten Sterblichkeit und der berechneten Normsterblichkeit.

Die Normsterblichkeit hängt immer davon ab, wie man sie festlegt und wie man sie berechnet.

Man kann zum Beispiel die Bevölkerungsdichte, die einen Einfluss auf die Seuchenausbreitung hat (in dicht lebenden Bevölkerungen verbreiten sich Seuchen schneller, manche entlegene Regionen bleiben wegen der Entlegenheit von Infektion verschont oder werden viel später infiziert), in die Berechnung der Normsterblichkeit einfliessen lassen oder auch nicht.

Man kann zum Beispiel das Durchschnittsalter eines Staates, das einen Einfluss auf die Zahl der Covid-Toten hat (ältere Leute sterben mit weitaus höherer Wahrscheinlichkeit an Covid als junge), in die Berechnung der Normsterblichkeit einfliessen lassen oder auch nicht.

Man kann beispielsweise den Zeitpunkt des Auftretens der ersten Infektionsclusters (in Europa war Italien das Land mit dem ersten Covid-Infektionscluster und hatte alleine schon daher höhere Sterblichkeit, während die anderen Europäischen Länder sich vielfach an italienischen Erfahrungen orientierten und das auch konnten) in die Berechnung der Normsterblichkeit einfliessen lassen oder auch nicht.

Und weil man eben tausende Faktoren, die einen Einfluss auf die Krankheit und die Getötetenanzahl haben, in die Berechnung der Normsterblichkeit einfliessen lassen kann oder auch nicht, entsteht eine riesige Zahl von Übersterblichkeitsmessungen. Bei 50 Faktoren gibt es 2 hoch 50, also ca. 1.125 Billiarden unterschiedliche Übersterblichkeits-Berechnungsmethoden.

Um zum Beispiel die Gesundheitspolitik eines dicht besiedelten Landes wie Deutschland schlecht aussehen zu lassen, empfiehlt es sich, die Bevölkerungsdichte nicht einfliessen zu lassen.

Ca. ein Zehntel der Möglichkeiten, die Normsterblichkeit zu definieren, kann man als seriös bezeichnen und einigermaßen geeignet, die kurzfristige Gesundheitspolitik eines Landes, bzw, einer Regierung, bzw. eines Ministers zu messen. Die restlichen 90%, die Normsterblichkeit zu definieren, sind purer Unsinn und oft Statistikmanipulation, um die eigene Regierung schlecht aussehen zu lassen und die Wahlen zu beeinflussen.

Die klassische faktorenlose, unbereinigte Übersterblichkeit dient einzig und alleine zum Vergleich verschiedener Jahre innerhalb des selben Staates, aber sie ist völlig unbrauchbar dafür, verschiedene Staaten zu vergleichen und daraus irgendwelche Ableitungen über die kurzfristige Gesundheitspolitik des jeweiligen Landes zu machen, weil diese Staaten eben ansonsten völlig verschiedene Faktoren haben, die alle Einfluss auf die Anzahl der Covid-Toten haben, wie zum Beispiel Bevölkerungsdichteunterschiede, Durchschnittsalterunterschiede oder Unterschiede im Auftreten des Erstinfektionsclusters und den damit verbundenen Erfahrungswerten, die auch über Grenzen hinweg weitergegeben werden.

Krawallmedien und Krawallblogger brauchen hohe Verkaufszahlen und hohe Klickzahlen, um ihre Ziele zu erreichen, und wenn man diese hohen Verkaufszahlen nicht mit seriösen Statistiken und seriösen Definitionen erreichen kann, dann verwenden sie eben unseriöse Statistiken und unseriöse Definitionen. Und viele Medien und viele Blogger haben Ziele, zum Beispiel sympathisieren manche mit der CDU bzw. AFD und wollen daher eine SPD-FDP-Grün-Regierung schlecht aussehen lassen, egal, ob mit seriösen Statistiken oder mit unseriösen Statistiken. Bei mancher CDU-nahen Zeitung kann man auch vermuten, dass dahinter eine Absicht stehen könnte, der AFD das Wasser abzugraben, und weniger, der SPD zu schaden.

Der einfache Leser und die einfache Leserin durchschaut dieses "Spiel" der Statistikmanipulation und des künstlich herbeidefinierten Skandals meist nicht, weil er nicht die Zeit und manchmal auch nicht die Bildung hat, um die Methoden hinter einem Skandalartikel oder einem Skandalblog selbständig zu durchschauen.

Und die Medienfreiheit (oder die "Meinungsfreiheit" in Internetforen) ermöglicht praktisch jede Form der statistischen Lüge, der verfälschenden Definition, der irreführenden Statistik.

Es stellt sich die Frage, wie Demokratie überhaupt funktionieren kann, wenn die Redefreiheit und die Meinungsfreiheit verstanden wird als die "Freiheit" zur verfälschenden selektiven Zitierung, als die Freiheit zur irreführenden Statistik, als die Freiheit, die Leser zu überfordern mit Statistiktricks, die die meisten von ihnen nicht durchschauen.

Ganz besonders absurd ist es, wenn man mit Statistiken, die aufgrund von Daten ermittelt werden, die vor einem Jahr erhoben wurden, einen Gesundheitsminister bewertet, der erst einige wenige Monate lang im Amt ist, wie das bei zahlreichen Artikeln, Videos und Blogs der letzten Zeit der Fall war.

Aber egal, es geht ja nur um die möglichst spektakuläre Schlagzeile, die Verkaufszahlen, die Clickzahlen, die Likezahlen und den aufsehenerregenden Blog bzw. Artikel. Da stört die Wahrheit doch nur !

Gerade bei frustierten Protestwählern kommt das sehr gut an, einen Artikel zu lesen, der die Mächtigen - insbesondere von einer subjektiv-verhassten Partei - schlecht aussehen lässt, egal, ob die Methodik hinter diesem Artikel seriös oder unseriös ist.

Und derartige methodisch mangelhafte Artikel und Blogs können natürlich auch den Extremismus (Linksextremismus oder Rechtsextremismus) beflügeln und zu Attentaten auf Regierungspolitiker führen.

Die frustnachkommenden, methodisch mangelhaften Artikel haben so gesehen auch ein Potenzial, durch Falschinformation eine Demokratie zu destabilisieren und ein Potenzial, durch Falschinformation fähige Leute davon abzuhalten, in die Politik zu gehen, wegen der berechtigten Angst, Attentatsopfer nach einem unseriösen Artikel oder unseriösen Blog zu werden.

2
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
2 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

invalidenturm

invalidenturm bewertete diesen Eintrag 13.05.2022 09:01:38

Aron Sperber

Aron Sperber bewertete diesen Eintrag 12.05.2022 21:21:22

9 Kommentare

Mehr von Dieter Knoflach