Warum Rendi und Ludwig bei Ärztewartezeiten und Akutfällen unrecht haben könnten

Sowohl die SPÖ-Kanzlerkandidatin Rendi-Wagner als auch der Wiener Bürgermeister Ludwig sprach sich für eine garantierte Höchstwartezeit bei Ärzteterminen aus.

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20190903_OTS0148/rendi-wagner-endlose-wartezeiten-muessen-der-vergangenheit-angehoeren-sie-sind-inakzeptabel-und-unmenschlich

Wie definiert man Akutfall, die Grenze zwischen Akutfall und Nicht-Akutfall ? Und wie weist der Patient oder die Patientin der Sprechstundenhilfe oder dem Arzt oder der Ärztin nach, dass es sich um einen solchen handelt ?

Rein theoretisch und gesetzlich besteht die Pflicht zur sofortigen Behandlung von Akutfällen immer schon, aber in der Praxis ist sie schon oft daran gescheitert, dass es den Patienten nicht gelingt, diesen glaubhaft zu machen. Irgendwie ist das wie bei Catch-22 im Roman von Joseph Heller: wer den Antrag auf Wehrdienstunfähigkeit stellte, erfüllte eben damit das Mindesterfordernis für die Wehrdienstfähigkeit.

Was ein Akutfall ist, weiss der Arzt oft erst nach der Untersuchung und Behandlung. Also wie soll der Arzt vor der Untersuchung wissen, was ein Akutfall ist ?

Im SPÖ-Konzept zur Behebung des angeblichen oder wirklichen Ärztemangels findet sich auch die Formulierung der "Verpflichtung, nach dem Abschluss der Ausbildung eine Vertragsarztstelle anzu-

nehmen, und im Gegenzug leichter zum Medizinstudium zugelassen werden (Anrechnung auf den

Eignungstest)", wenn kein Stipendium bezogen wird.

Die Formulierung heisst nun was ? Eine Verpflichtung, für mindestens einen Tag eine Vertragarztstelle anzunehmen, oder eine Verpflichtung, für mindestens 20 Jahre eine Vertragsarztstelle anzunehmen ? Und wieso sollte das viel ändern, wenn das einzige "Gegengeschäft" eine leichtere Zulassung zum Medizinstudium ist ?

Konkrete Zahlen diesbezüglich liegen natürlich nicht vor, aber ich schätze mal, dass die deutschen numerus-clausus-Flüchtlinge, die wegen des Gratis- bzw. Billigstudiums nach Österreich kommen, in den meisten Fällen kein Stipendium erhalten und hauptsächlich wegen des Gratisstudiums kommen.

Was im Konzept auch zu fehlen scheint, ist die Gegenfinanzierung: das Konzept sieht haufenweise Mehrausgaben, aber keine Mehreinnahmen vor. Es dürfte damit an der Finanzierbarkeit scheitern. Und es könnte der SPÖ auch den Ruf einer populistischen Partei eintragen oder diesen festigen, die ohne einen Gedanken an die Kosten agiert.

Der einzige kostensparende Effekt ist die Verlagerung von Spitälern auf Niedergelassene.

Gänzlich unerwähnt bleiben in diesem Konzept die Nichtversicherten, die Vollzahler sind, und bei denen die Kosten ein wesentlicher Faktor sind.

Wie telefonische Auskunftsdienste per Ferndiagnose zutreffende Empfehlungen geben sollen, bleibt ein Rätsel. Es ist damit zu rechnen, dass bei diesen telefonischen Erstauskünften nichtssagend oder allgemein geantwortet wird, und nicht "qualifiziert", es sei, denn man definiert qualifiziert, dass es eben ein Arzt oder eine Ärztin ist, der/die dann sagt: "Auf die Ferne kann ich das nicht sagen".

Laut zahlreichen Statistiken hat Österreich jetzt schon eine hohe Ärztedichte und vergleichsweise hohe Ausgaben für das Gesundheitssystem.

Auch bezüglich der Forderung "Gesundheit darf nicht von der Größe der Geldbörse abhängen" bin ich skeptisch. Gesundheit wird immer von der Größe der Geldbörse abhängen, es kann hier nur um ein weniger oder mehr gehen.

Die Rhetorik ähnelt der von Michael Häupl (SPÖ) von der "perfekt verwalteten Stadt" (Wien), die eben dann die sauteuer verwaltete Stadt ist. Aus Sicht der Steuerzahler ist die perfekte Gesundheitsversorgung für alle eine schwere Belastung.

Die SPÖ scheint so gesehen sich zu wandeln von der Arbeiterpartei zur Ärztepartei, wozu auch Rendi-Wagner als Ärztin passt.

Aber wieso jemand, der nicht Arzt ist, und dieses System finanzieren soll, SPÖ wählen soll, bleibt offen.

Um von den Finanzierungsproblemen abzulenken, scheint der emotionalisierende Begriff der "Menschlichkeit" geeignet, der dann jede Frage nach der Finanzierbarkeit wohl als "unmenschlich" einstufen soll, so wie das auch schon bei den Automatismen der Fall war, als die SPÖ die ÖVP-Forderungen nach einer automatischen Koppelung von Lebensalter und Pensionsantrittsalter mit maschinenstürmerischen Argumenten, dass "Computer kalt und herzlos" seien, abschmetterte. Dass die SPÖ in Wien ähnliche Automatismen verwendet, wurde dabei vergessen.

Interessant auch die Formulierung "Die SPÖ will auch in Zukunft eine hochwertige, wohnortnahe und patientInnenfreundliche medizinische Versorgung für Österreich sicherstellen."

Hier wird kein konkretes Versprechen abgegeben "Die SPÖ wird ...", sondern nur eine diffuse, nichtssagende und nicht empirische "Die SPÖ will ..."-Aussage gemacht, wobei unfeststellbar bleibt, woran man das Wollen der SPÖ eigentlich messen soll.

So gesehen ähnelt es der diffusen und nichtssagenden Aussage der grünen Vizebürgermeisterin Vassilakou in einem Notariatsakt, ein reines Verhältniswahlrecht für den Wiener Landtag anstreben zu wollen, wobei dieses Anstreben-Wollen genau nichts bedeutet.

Egal, was Vassilakou nach diesem Notariatsakt machte, ein Nicht-Anstreben-Wollen war prinzipiell unbeweisbar. Eine konkrete Aussage "Ohne ein reines Verhältniswahlrecht wird es keine Koalition mit der SPÖ geben" wäre falsifizierbar gewesen.

Auch offensichtlich keine Massnahmen vorgesehen sind zur Verringerung des Stadt-Land-Unterschieds, genauso wie der Vergleich von Österreich mit anderen europäischen Ländern fehlt.

Wenn Wiener Modelle auf das gesamte Bundesgebit ausgeweitet werden, dann bedeutet das wohl, dass wegen der städtischen Vorteile (bessere Infrastruktur, geringeres Abreitsaufkommen, etc.) die meisten Ärzte in Wien und anderen Städten bleiben werden, und die Kluft zwischen Stadt und Land, was die Ärzteversorgung betrofft, erhalten bleiben.

Ein Stadtinfrastrukturmalus bei der Ärztebezahlung, bis Landinfrastrukturmangelbonus bei der Ärztebezahlung ist nicht vorgesehen, Selbstbehalte, um Bagatellfälle vom Gesundheitssystem fernzuhalten, sind nicht vorgesehen.

Streichung oder Kürzung von Sozialleistungen bei gesundheitlichem Risikoverhalten mit Ausnahme des Rauchens verschiedenster Art sind nicht vorgesehen. Dass Sozialleistungen in den entsprechenden Risikoprofilfällen bei z.B. Schlaganfallgefahr wegen Übergewicht an Diätpläne gekoppelt werden könnten, ist im Konzept nicht vorgesehen.

Da das SPÖ-Konzept massiv mehr staatliche Ausgaben für das Gesundheitssystem bedeutet, aber keine Einnahmen vorsieht, mag für diejenigen, die nur an die eigene Geldbörse denken, aber nicht an die des Staates, der Eindruck entstehen, sie bräuchten sich keine Sorgen machen, und das war das, wovon Rendi-Wagner sprach: "Ich will ein Österreich, in dem sich alle auf eine moderne Gesundheitsversorgung verlassen können – ohne

finanzielle Sorgen."

Aber bei allen, die dieses Konzept aus Sicht der Staatsfinanzen sehen, wird dieses Konzept massive finanzielle Sorgen verursachen.

Kanzlerkandidatin Rendi-Wagner: denkt nur an die Geldbörse des Einzelnen, aber nicht an die "Geldbörse des Staates" ?

Man könnte das auch als verantwortungslosen Populismus bezeichnen. Und man könnte polemisch gesehen und überspitzt gesagt diese Rendi-Wagner-Rhetorik von der "Menschlichkeit" als gefühlsduseliges Frauenblabla ohne Kosten-Nutzen-Rechnung und ohne klare Ansagen bezeichnen.

Als großer Kostenfaktor könnte sich die Epidemievorbeugung erweisen: um die Wartezeitenmaximumsgarantie auch in Epidemiezeiten einhalten zu können, müssten Spitalsbetreiber und Niedergelassene bereits in Nicht-Epidemiezeiten riesige Überkapazitäten an Personal aufbauen und halten, das in Nicht-Epidemiezeiten unausgelastet wäre, und ein riesiger Kostenfaktor.

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Dieter Knoflach

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Markus Andel

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