Es war für die Österreichischen Grünen die politische Bombe, die kurz vor der Kärnten-Wahl platzte: Eva Glawischnig, die frühere grüne Bundessprecherin, gab bekannt, für den Konzern arbeiten zu wollen, den sie und die Grünen früher politisch vehement bekämpften.
Seither gibt es bei den Grünen Verdammungen und massive Kritik daran, dass Eva Glawischnig zu genau dem Konzern wechselte, den die Grünen (auch Glawischnig selbst) früher scharf bekämpften.
Der Wechsel von Glawischnig zu den Grünen könnte zum Absturz der Kärnter Grünen bei der Kärntner Landtagswahl beigetragen haben, und dazu, dass sie aus dem Landtag rausflogen, d.h. unter der Fünfprozenthürde blieben.
Allerdings gibt es da auch eine andere Seite, und auch eine andere Sicht, die von den Medien, die sehr oft eine Nähe zu Rot-Grün haben verschwiegen wird:
mich persönlich hat der Antikapitalismus der Grünen und diese Anti-Konzern-Mentalität auch schon immer gestört.
Ich halte Novomatic für einen unsympathischen Konzern, aber es wäre zu simpel, die Glücksspielfrage auf Novomatic zu zentrieren, wie das die Grünen manchmal machten.
Und diese Konzernfeindlichkeit war es vielleicht, die die Grünen in den 1980er Jahren zur Ablehnung der eigentlich sauberen und nachhaltigen Wasserkraft trieb, siehe Kraftwerk Hainburg, das vom österreichischen Energiekonzern Verbund AG betrieben worden wäre.
Private Glücksspielkonzerne haben den Vorteil, dass dann der Staat unabhängig ist und glaubwürdig als Kontrollor auftreten kann.
Die StaMoKap-Ansichten am linken Flügel von SPÖ und Grünen könnten sich als völlig illusorisch erweisen, insbesondere in Anbetracht von Globalisierung und Internet. Auch diese Nostalgie und Sehnsucht nach der Vergangenheit ist möglicherweise irreführend: zu Zeiten des früheren österreichischen Glücksspielmonopols konnte man nicht ausweichen auf das Internet, auf Internetglücksspiel.
Neben Novomatic beschäftige ich mich auch mit Sportwetten, auch deswegen, weil Sport für mich irgendwie interessanter ist als herumhüpfende Orangen wie bei Novomatic-Glücksspielen.
Meine Forderung danach, die sehr manipulationsanfälligen Ereigniswetten zu verbieten (die nur ca. 2% des Gesamtmarkts ausmachen), erschien vielen antikapitalistischen Fundamentalisten als viel zu schwach und viel zu wenig systemkritisch, aber realpolitisch: wenn man Glücksspielkonzerne nicht verbieten kann, dann bescheidet man sich halt damit, die problematischsten Aspekte zu verbieten.
Wenn Glawischnig nun zu einem Konzern wechselt, dann setzt sie damit vielleicht ein Zeichen in Richtung Versöhnung mit der Marktwirtschaft und mit Privatunternehmen.
Und mit diesem Tritt ans Schienbein der Kärntner Parteifreinde (sic!) stellt sich natürlich die Frage, was genau gelaufen ist bei den Grünen, als die Kärntner Grünen zusammen mit FPÖ, SPÖ und ÖVP für die unbegrenzte Haftungserhöhung bei der Hypo-Alpe-Adria stimmten.
Hat Eva Glawischnig den Kärntner Grünen abgeraten, für die Haftungserhöhung zu stimmen, haben diese diesen Rat ignoriert, und ist der jetzige Wechsel zu Novomatic kurz vor der Wahl ein Akt der Revanche ?
Oder ist das ein Akt der Revanche auch gegenüber den Wiener Grünen, die im Jahr 2002 der Hauptgrund waren, warum die schwarz-grüne Koalition, die damals historisch einmalig möglich gewesen wäre, nicht zustande kam ?
Damals sollen laut Gerüchten Van der Bellen und Glawischnig für eine schwarz-grüne Koalition gewesen sein, aber speziell die Wiener Grünen dagegen, auch deswegen, weil für sie die rot-grüne Koalition auf Wiener Ebene wichtiger war als die historisch-einmalige Chance auf grüne Beteiligung an einer Bundesregierung.
Die beim Wechsel zu Novomatic betriebene Kritik von Glawischnig an Dämonisierungen könnte auch die von den Grünen intensiv betriebene Dämonisierung Jörg Haiders gemeint haben. Immerhin waren beide (sowohl Haider als auch Glawischnig) erstens Kärntner und zweitens Juristen. Und diese beiden Dinge verbinden trotz allem bis zu einem gewissen Grad über die Parteigrenzen hinweg.
Und Jörg Haiders Ortstafelverrückungs-Filibustering hatte eine gewisse Affinität zum Grünen Filibustering in Sachen Marathonreden im Parlament.
Auch stellt sich die Frage, ob der sogenannte SPÖ-Wahlsieg, der die SPÖ Kärnten bei der Landtagswahl in Kärnten knapp an die absolute Mehrheit (mit 47.9%) führte, einem Leihstimmeneffekt zu verdanken ist, der sich beim nächsten Mal wieder umkehren könnte in einen SPÖ-Verlust.
Und in der Tat erscheint die Vorgangsweise der SPÖ Kärnten in Sachen Regierungsbildung per Ultimatum problematisch:
Ein Mehrheitsprinzip innerhalb der Regierung, die ohnehin schon nur eine Mehrheitsregierung und keine Proporzregierung ist, ist eine Mehrheit innerhalb der Mehrheit und somit eine Minderheit:
mit dem Mehrheitprinzip innerhalb der Regierung kann die SPÖ mit einer Minderheit an Stimmen quasi eine Alleinregierung mit einer ohnmächtigen ÖVP bilden:
Das Argument von SPÖ-Landeshauptmann Kaiser, er habe diese Vorgansweise wählen müssen, um zu verhindern, dass die Bundesregierung von Wien aus in die Kärntner Regierung hineinregiere und blockiere, ist nicht glaubwürdig.
Eine Alternative zum Mehrheitsprinzip innerhalb der Regierung wäre das Prinzip der Landesratsautonomie gewesen, dass sowohl SPÖ-Landesräte als auch ÖVP-Landesräte innerhalb ihres Tätigkeitsbereichs autonom entscheiden können.
Die Art und Weise der Kärntner Regierungsbildung kann sich unter Umständen noch als schwerer Bumerang für die Bundes-SPÖ erweisen.
Ich habe übrigens in meiner Zeit in der Piratenpartei eine Initiative zur Glücksspieltransparenz eingebracht, die eigentlich sehr gut zu Eva Glawischnig Position in Sachen "Responsible Gaming" passen würde: sie war nicht prinzipiell konzernfeindlich und antikapitalistisch, aber eben auf höhere Transparenz abzielend.
APA / Pfarrhofer http://www.kleinezeitung.at/politik/innenpolitik/5381040/Wechsel-zu-Novomatic_Glawischnig-verstoert-die-Gruenen-und
Eva Glawischnig, heute beim einst bekämpften Novomatic.
Eines meiner Lieblingszitate aus Politik und Geschichte ist übrigens dasjenige, mit dem Castlereagh und Talleyrand beim Wiener Kongress 1815 ihre Positionswechsel und Meinungswechsel begründeten:
"Es gibt in der Politik keine permanenten Feinde und keine permantenten Freunde, sondern nur permanente Interessen"
Eva Glawischnigs Positionswechsel passt so gesehen zu den Positionswechseln des umstrittenen, aber dennoch politisch begabten Realpolitikers Talleyrand.
Von Kriegspolitik zu Friedenspolitik wechseln zu können, ist oft nur durch ganz radikale Positionswechsel möglich.
Und eigentlich sollten diejenigen Politiker und -innen gelobt werden, die ihren Ruf und ihre Glaubwürdigkeit um des Friedens willen ruinieren.
Die Vorgangsweise von Eva Glawischnig ist auch geschlechterspezifisch seltsam: so einen Abtritt habe ich bisher nur von Männern erlebt (teilweise auch selbst gemacht als Mann). Die Art und Weise, wie Glawischnig hier der eigenen Partei ans Schienbein tritt, hat etwas irgendwie unfeminin-männliches.
Auch ein Zitat eines Politikwissenschaftlichen Klassikers fällt mir ein: ich glaube, es war Arendt Lijphart, der sagte, jede Partei trägt auf ewig den Stempel ihrer Geburt (und im Falle der Grünen als Parlamentspüartei wäre das Hainburg 1984).
Die einzige Möglichkeit, wie man eine Partei dazu bewegt, die eiegenen Dogmen zu hinterfragen, aus dem Stempel der eigenen Geburt (wie mutmaßlich Lijphart das nannte) zu entfielen, sind derartige Massive Tritte ans Schienbein, die wie viele Formen der Gewalt eher männlich sind.
Was bei Eva Glawischnig Wechsel und dabei, dass sie den eigenen Kärntner Parteifreinden (sic!) ans Schienbein trat, eine Rolle gespielt haben könnte, ist der schlechte Ruf, den das Stimmverhalten der Kärntner Grünen auch Eva Glawischnig als Kärntner Grünen eingetragen haben könnte.
Dazu siehe auch:
Apropos: Auf ihr "zerdepschtes" Aussehen angesprochen, meinte Glawischnig, nach einer Kiefer-Operation hätte sie, um das Inplantat zu vertragen, massive Medikamente nehmen müssen. Als jemandem, dem auch möglicherweise eine Kiefer-OP ins Haus steht, sei ihr so gesehen mein Mitgefühl ausgesprochen.
Auch die Tatsache, dass sie zu dem Zeitpunkt zu Novomatic wechselt, als sie am allerunattraktivsten ist, kann man als subversive Kritik sehen.