In einem ORF-ZIB2-Interview vom 16.8.2019 hat Ex-Vizekanzler Strache die Justiz attackiert, eine sehr einseitige und undifferenzierte Verteidigungsposition eingenommen und wichtige Fakten verschwiegen.
Hier eine genaue Vivisektion dieses Interviews:
https://tvthek.orf.at/profile/ZIB-2/1211/ZIB-2/14023078
Minute 3:10 Strache spricht vom Willkür- oder Unrechtsakt einer anonymen Anzeige, aber anonyme Anzeigen sind in Österreich möglich, genauso wie das geheime Wahlrecht in Österreich existiert, das übrigens vor Willkür schützen soll, genauso wie die Möglichkeit der Anonymität bei der Anzeige. Schliesslich ist der einzelne Wähler (oder die einzelne Wählerin) in der Ohnmachtsposition, genauso wie der einzelne Anzeigen, insbesondere wenns gegen mächtige Politiker und Parteien wie Strache und FPÖ geht.
Straches Lamento über die Bösheit der Justiz ist auch insofern lächerlich, als die Justiz bei Strache damit rechnen muss, dass er Schwachstellen medial kritisiert, wofür er in den medien ja massenhaft Raum bekommt, während andere Fälle der möglichen Politjustiz oder Justizfehler, wenn sie auch weniger gravierend sein mögen, wie in meinem Fall und bei meiner Attentäterin, bei der die Ermittlungen eingestellt wurden, mit dem Argument, bei neu auftauchenden Beweisen und Indizien könne kein Fortsetzungsantrag gestellt werden, weil sie außerhalb der 30-Tage-Frist von der Verfahrenseinstellung erfolgten, in den Medien nicht vorkommen (außer auf FUF).
Straches Behauptung einer verschwörung der Justiz gegen ihn und die FPÖ ist auch in folgender Hinsicht völlig unhaltbar: damals nach der Wien-Wahl stand die FPÖ ja im Verdacht, diesen mutmasslichen rot-blauen Deal mit der SPÖ gemacht zu haben: das Wiener Magistrat gewährt der FPÖ Parteienförderung, obwohl die FPÖ-Liste wegen der parteilosen Stenzel keine Parteiliste und daher laut Wiener Parteienförderungs-Gesetz wahrscheinlich gar nicht förderungswürdig war, und die FPÖ im gegenzug dazu SPÖ-Missstände ignorierte, wie z.B. die mutmassliche Verfassungswidrigkeit des Wahlsystems, Bezirkssystems, etc.
Wenn die Justiz wirklich darauf aus wäre, die FPÖ politisch zu verfolgen, dann wäre das ein willkommener Anlass gewesen, gemacht hat die Justiz aber damals gar nichts. So gesehen kann man eher vermuten, dass die Justiz ga rnichts tut bzw. Verfahren niederschlägt, wenn mutmasslich SPÖ und FPÖ sich auf einen Deal einigen.
Minute 5:44: Strache behauptet, nicht die Möglichkeit zu haben, derartgie fragen zu entscheiden. Da ist was dran, aber genau formuliert müsste es heissen: die FPÖ hat nicht ALLEINE die Möglichkeit, der artige Fragen zu entscheiden, aber im Entscheidungsprozes spielt die FPÖ eine wichtige Rolle, sie muss nur einen Partner finden, der zur absoluten Mehrheit recht, die gemeinsam entscheidet.
Minute 6:13: Strache beschwert sich, dass nur 6 Minuten vom siebenstündigen Ibiza-Video veröffentlicht wurden, und dass er trotz Anfrage die volle Version nicht zugessandt bekam. Dabei verschweigt er allerdings, dass Gudenus, die zweite wichtige Person, die auf diesem Video zu sehen ist, sich gegen eine Veröffentlichung ausgesprochen hat, sodass hier komplexe medienrechtliche Fragen ins Spiel kommen; allenfalls mann man sagen, dass die Nichtherausgabe des gesamten Videos rechtlich problematisch wäre, wenn Gudenus nicht drauf wäre und sich nicht gegen die Herausgabe und Veröffentlichung ausgesprochen hätte. Strache hätte jederzeit die Möglichkeit, eine Klage auf Herausgabe gegen die veröffentlichenden Medien (Klage auf Herausgabe ist in Ö und D möglich) einzureichen, was er aber offensichtlich nicht hat (zumindest sagt er nichts davon), wahrscheinlich weil er weiss und von seinem Anwalt dahingehend beraten wurde, dass eine derartige Klage aussichtslos ist.
Minute 6:56 ff: Strache spricht von einem Casinos Austria-Monopol, gegen das die FPÖ schon immer gewesen sei. Da ist insofern etwas Richtiges dran, als die Casinos Austria vor 30 oder 50 Jahren in vielen Bereichen ein Monopol hatte, das in der Tat problematisch war, und gegen das die FPÖ vor 30 oder 50 Jahren wirklich war und auch mit guten Argumenten, aber die Zeiten haben sich geändert, ebenso die Marktanteile und marktbeherrschenden Stellungen. Durch extrem schnelles Wachstum und auch dadurch, dass die Novomatic einen Teil der Casinos Austria-Anteile übernommen hat, ist es mittlerweile die Novomatic, die eine marktbeherrschende Stellung am österreichischen Glücksspielsektor hat, sodass mittlerweile eher die Novomatic kritisch zu betrachten wäre und nicht mehr die Casinos Austria.
Minute 8:10: die Sache mit den Parteispenden st prinzipiell problematisch und kann sehr leicht den Anschein der Korruption erwecken. Ich habe es deswegen vorgezogen, für meine Partei Parteispoenden prinzipiell auszuschliessen. Die Möglichkeit der Parteispenden führt zu einem absurden Rüstungswettlauf zwischen den verschiedenen Parteien, wo es dann immer nur darum geht, mehr auszugeben und höhere Schulden zu machen als die politische Konkurrenz, in der Hoffnung, dadurch einen Wahlsieg zu landen. Eine mögliche Antwort auf dieses Rat-Race kann aus meiner Sicht sein: völliges Verbot aller Parteispenden, neue Bescheidenheit, Wahlkampf läuft einzig und alleine über Diskussionen in Medien, und über sonst gar nix. Diese spendenfinanzierten Plakatständer aller Parteien, die im Wahlkampf die Fahrradabsperrmöglichkeiten (z.B. Verkehrsschilder) mit ihren Dreieckständern verbauen und unzugänglich machen, finde ich als Fahrradfahrer sowieso widerlich, ganz besonders, wenn die Grünen es machen, die ja angeblich eine Radfahrerpartei sind.
Minute 9:16: Die Antwort von Strache ist kurios: er sagt irgendwie, er habe bezüglich Parteispenden gelogen, weil die Wahrheit, dass die FPÖ keine Großspender hat, peinlich gewesen wäre. Hmmm, soviel unfreiwillige Ehrlichkeit kommt unerwartet.
Wenn mir die Wahrheit peinlich ist, dann schweige ich eher. Eine Möglichkeit, auf die Strache offensichtlich noch nicht gekommen ist, aber von ihm als zahntechnische Hilfskraft darf man offensichtlich keinen besonderen Intellekt erwarten.
Minute 12.00: das angebliche Versprechen von Kurz, die Koalition fortzusetzen, wenn Strache zurücktritt. Ich war bei diesem Vieraugengespräch nicht dabei. Eben wegen dieser Problematik (der Nachweisproblematik mündliche Absprachen betreffend) und auch anderer Problamtik (der Packelei-Verdachts-Problamtik), beige ich dazu, vorzugsweise überhaupt keine Vieraugengespräche zu machen, sondern vorzugsweise transparent und öffentlich zu agieren; ein Transparenz- und Öffentlichkeitsverständnis, das Strache mit seinen Hinterzimmermauscheleien und -packeleien offensichtlich nicht hat. Niemand außer Strache und Kurz weiss, was in diesem angeblichen Vieraugengespräch wirklich passierte, aber ich würde folgende Möglichkeit nicht aussschliessen: Strache hat das Ibiza-Video Kurz gegenüber falsch dargestellt, Kurz hat deswegen eine Fortsetzung bei Rücktritt versprochen; Kurz hat daraufhin in Medienberichten herausgefunden, dass Straches Version nicht stimmen kann, und hat sich daraufhin an das gegebene Versprechen gemäß clausula rebus sic stantibus nicht mehr gebunden gefühlt, weil es eben nur unter der Bedingung erfolgt war, dass Strache Kurz die Wahrheit über das Ibiza-Video gesagt hatte, was offensichtlich nicht der Fall war.
Auch die Bitte von Kurz, einstweilen über das Gespräch nicht zu sprechen, könnte vor dem Hintergrund erfolgt sein, dass Kurz zeit wollte, erst einmal festzustellen, ob das überhaupt zutrifft, was Strache sagt, was eine legitime Vorgangsweise ist.
Minute 13.05: "Ich bin aus Staatsrasön zurückgetreten", aus dem Munde von Strache klingt dieses Aussage ebenso unglauwürdig, wie sie aus dem Munde von Kickl klingen würde, wenn er sie gemacht hätte. Diese beiden Politiker haben den Umstieg vom Oppositionsparteipolitiker zum Bundesminister (und das heisst eigentlich "Gehilfe des Staates", nicht "Gehilfe der entsendenden politischen Partei" ) so schlecht geschafft, wie kaum Minister in den letzten 70 Jahren davor.
Minute 13:25: auch das mit der "Finte" ist eine Verschwörungstheorie, aber dazu mehr ganz am Ende des Blogs.
Minute 14:03: "Man kann es (gem.: ein Ministeramt) ihm (gem.: Kickl) sicher nicht vrweigern". Hmmm. Im Normalfall ist an dem Argument "Wir lassen uns keinen herausschiessen" was dran, aber Kickl hat derart massive Fehler gemacht, dass das eine extreme Ausnahme darstellt, in dem man dieses eigenlich überwiegend legitime Prinzip nicht unbedingt aufrechterhalten muss. Mehr dazu am Ende.
Minute 14:32: Strache bezeichnet das Video als "illegal und kriminell" erstellt. Wenn Strache ein normalbürger wäre, dann hätte er mit dieser Behauptung durchaus recht, aber Strache war zum veröffentlichungszeitpunkt eben kein Normalbürger, sondern Vizekanzler, und zur Erstellungszeitpunkt Oppositionsführer; beides sind Positionen, die die ganze "öffentliches Interesse an politischen Spitzenpersonen"-Judikatur aufleben lassen, die eben einen Unterschied machen; einen Unterschied, den Strache verschweigt; Strache appelliert an das Privatheitsbedrüfnis der Privatbürger, was in seinem Fall als Vizekanzler/Oppositionsführer unberechtigt ist. Man könnte sagen, Spitzenpolitiker wie Vizekanzler oder Oppositionsführer bekommen Spitzengehälter als Entschädigung dafür, dass sie die normale Privatsphäre der Normalbürger aufgeben müssen. So gesehen wieder ein falschdarstellung durch Strache diurch Weglassen der wichtigsten Fakten.
Minute 15.50: Lou Lorenz-Dittlbacher spricht von einer der größten politischen Krisen der Zweiten Republik, was auch extrem übertrieben ist, aber der ORF als "rot-grünes Biotop" wie Ex-"Presse"-Chefredakteur Thomas Chorherr den ORF in einem "Furche"-Interview einmal bezeichnete, hat natürlich auch eine starke Tendenz, SPÖ-Skandale wie Noricum oder Lucona (bei denen es um vielfachen Mord ging, nicht nur um ein Video) zu vertuschen und FPÖ-Affären hochzuspielen.
Das Wichtigste aber fehlt in der ganzen Sendung (ebenso wie bei allen Medienberichten über das Ibiza-Video), sowohl bei der Timeline, die Lorenz-Dittlbacher am Anfang der Sendung präsentiert, als auch in der Darstellung von Strache und Filzmaier, und das ist der 15. Mai, also zwei Tage bevor das Ibiza-Video veröffentlicht wurde, und das ist wahrscheinlich der wirkliche Grund, warum es veröffentlicht wurde.
Damals hat Kickl den EuGH massiv kritisiert, in faktenwidriger Weise:
https://www.news.at/a/asyl--kickl-hat-kein-verstaendnis-fuer-eugh-urteil-10789987
Kickl vertuscht bei diesem Thema die Möglichkeiten, die z.B. das Österreichische FPG (Fremdenpolizeigesetz) mit §77 bietet, nämlich die gelinderen Mittel.
Der Hintergrund war der Dornbirn-Mord, bei dem ein Kurde, der vermutlich rechtswidrig in die Türkei abgeschoben wurde, wo ihm Lebensgefahr in seinem Lebensraum drohte, nach Österreich zurückkehrte, um dort einen Beamten, der am rande in diese Sache verwickelt war, zu töten.
Die Alternative wäre, dass Österreich sich an einer internationalen Militär-Aktion zum Schutz einer Kurdenzone im Nordirak betiligt, in die Kurden dann auch als gleinderes mittel abgeschoben werden können, ohne Lebensgefahr für sie und ohne Quasi-Rückkehrzwang nach Österreich.
Ich vermute, dass Kickl mit seinen Ministerialbeamten und Polizeijuristen über diese Möglichkeit gesprochen hat, aber dass er über diese Beratungen nicht gesprochen hat und auch über das Thema nicht, weil es der Neutralitätsdoktrin seiner Partei widersprochen hätte. Und dieses Verschweigen einer staatlichen Möglichkeit aus einer parteipolitischen Logik heraus ist auch ein Anzeichen dafür, dass Kickl es nicht geschafft hat, den Umstieg von der Parteipolitik zum Bundesminister zu bewältigen.
Das heisst ja nicht, dass Kickl die Haltung seiner Partei hätte verschweigen müssen, aber er hätte eine sogenannte Doppeldarstellung machen können, sowohl die Lage als auch die Position der eigenen Partei referieren. Aber nur die Parteiversion, und die rechtliche Lage und die vermutlichen Beratungen mit den Minsterialbeamten und den Polizeijuristen zu vertuschen, das geht aus meiner Sicht gar nicht.
Fremdenpolizeigesetz (FPG) §77:
"Gelinderes Mittel
§ 77. (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.
(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.
(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1.
in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2.
sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
3.
eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.
(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.
(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.
(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.
(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.
(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen."