Ist Österreich jetzt ein neutraler Staat, der sich auch an der EU-Aussenpolitik (GASP) wegen der Neutralität nicht beteiligt ? Oder ist Österreich durch den EU-Beitritt kein neutrales Land mehr und zu EU-Solidarität, auch militärischem Beistand verpflichtet ?
Man weiss es eigentlich nicht. Dass Wien der Sitz zahlreicher internationaler Organisationen (UNO, OPEC) ist, spricht eigentlich dafür, dass Österreich sich aus Parteinahme in Konflikten und aus einseitiger Politik raushalten sollte, die EU-Mitgliedschaft wiederum spricht dagegen.
Das jüngste Beispiel dieser österreichischen Bocksprünge, eine Art eierlegende Wollmilchsau sein zu wollen, sowohl neutral wie auch EU-solidarisch, zeigte Aussenminister Schallenberg in der Weissrussland-Frage:
erst sagte er im Gleichklang mit zahlreichen europäischen Staaten, der weissrussische Präsident Lukaschenko müsse erkennen, dass seine Zeit abgelaufen sei, und müsse gehen, was eine extrem unneutrale Position ist, die eine neutrale Verhandlungs- und Mittlerposition ausschliesst, kurz danach kam die Kehrtwende um 180 Grad, und er sagte das genaue Gegenteil, nämlich, dass Österreich eine Vermittlerrolle anbiete.
Oder er meinte etwas drittes, nämlich dass nur mehr die Bedingungen des Rückzuges von Lukaschenko verhandelbar wären, aber das würde sehr an die ganz ähnliche Position bezüglich dem syrischen Präsidenten Assad vor 9 Jahren erinnern, der bekanntlich noch immer im Amt ist, und im Falle Syrien hat auch die westliche Politik, egal, ob absichtlich oder nicht, zur Vergrößerung der Flüchtlingswelle beigetragen.
Es mag schon sein, dass Österreichs Opposition und Medien alle diese Widersprüche nicht auffallen, vielleicht auch deswegen, weil die Medien alle durch die Corona-Krise und die damit zusammenhängenden Werbeeinnahmenausfälle in Regierungsabhängigkeit geraten sind; es mag schon sein, dass der US-amerikanische Politikwissenschafter J.J. Mearsheimer (Universität Chicago) recht hat mit seiner These, dass man das Volk in aussenpolitischen Fragen leicht belügen könne, und dass deswegen niemandem die Widersprüche, in die sich Österreich aussenpolitisch ständig verwickelt, auffallen; es mag schon sein, dass Österreich ein Tourismusland ist mit einem geringen Anteil an global agierenden Konzernen und dass deswegen kaum Interesse am "Ausland" bestehe; es mag schon sein, dass Österreich einen Kindkanzler hat, dem man alle aussenpolitischen Fehler verzeiht und von dem man wegen seiner Jugend gar keine aussenpolitischen Fähigkeiten erwartet, aber es stellt sich die Frage, ob das alles nicht ein sehr schlechtes Licht auf Österreich wirft.
"Der Balkan beginnt am Rennweg", sagte der frühere (19. Jhd.) Kanzler Metternich einmal, und in der Tat scheint Österreich eine Art "charmante Prinzipienlosigkeit" zu haben, die sich mit Charme und "Wiener Schmäh" (der sich übrigens begrifflich von der "Schmähung" ableitet) über Prinzipienfragen hinwegschwindelt.
Das mag für aussenpolitisch ahnungslose Österreicher und -innen reichen, und dazu, in Österreich Wahlen zu gewinnen, aber es reicht sicher nicht aus, Misstrauen, insbesondere in den anderen EU-Mitgliedsstaaten über die aus ihrer Sicht "unsolidarische Rolle" Österreichs zu zerstreuen.
Aber zum Glück haben wir ja (Achtung, Satire!) weltbewegende Themen wie Grätzelbegrünung und Pop-Up-Swimming-Pools - wer braucht da schon Aussenpolitik ?
CC / Gemälde von T. Lawrence https://de.wikipedia.org/wiki/Klemens_Wenzel_Lothar_von_Metternich#/media/Datei:Prince_Metternich_by_Lawrence.jpeg
Hatte Metternich recht und der Balkan beginnt wirklich in Wien ?