Demokratie kann sehr chaotisch sein: jederzeit kann das Parlament die Regierung stürzen, jederzeit kann der Bundespräsident Neuwahlen ausrufen.
Und genau dieses Chaos ist es auch, dass Demokratie so interessant und lebendig macht.
Friedrich Nietzsche, der umstrittene Philosoph, der gelegentlich als Wegbereiter des Nationalsozialismus bezeichnet wird, sagte einmal: "Man muss Chaos in sich tragen, um einen tanzenden Stern gebären zu können".
Cooles Zitat irgendwie, auch wenn keiner genau weiss, was es eigentlich bedeuten soll.
Häuser sollen stabil sein und es aushalten, wenn man schwere Möbel im zweiten Stock aufstellt.
Fahrpläne von Verkehrsunternehmen sollen stabil und berechenbar sein.
Aber Demokratie, wieso sollte Demokratie stabil sein ? Das Parlament heisst Parlament, weil dort parliert, also gesprochen wird. Parlamentarismus soll auch ein chaotisches Aufeinanderprallen verschiedener Weltsichten sein.
Wie kann Sprache und Rede stabil sein ?
Ist das britische Parlament ein Ort des Chaos, weil dort nichts zustande zu kommen scheint, was wir Kontinentaleuropäer als Lösung des Brexit-Chaos verstehen wollen ?
Oder ist das britische Parlament ein Ort der Freiheit, weil dort die Abgeordneten anders als in Österreich nicht dem Clubzwang unterliegen und daher anders abstimmen können, als ihre Parteizentrale vorschreibt, und auch anders, als sie selbst bei der letzten Abstimmung zu genau demselben Thema ?
Freiheit der einzelnen Abgeordneten kann natürlich eher als innerparteilich zerstrittenes Chaos aussehen, oder wie es in der Piratenpartei einmal hiess: "Lieber ehrlicher Streit als verlogener Friede".
Im britischen Parlament kann anders als im österreichischen jeder Abgeordnete die eigene Meinung sagen und gegen den eigenen Premierminister oder die eigene Premierministerin stimmen. Soviel Freiheit müssen wir clubzwangdiktaturgeschädigten Österreicher natürlich als das pure Chaos empfinden, dem auch die unfähigen Medien den Namen "Brexit-Chaos" gegeben haben.
Auch Diktaturen (und der Clubzwang in den österreichischen Parteien hat etwas diktatorisches) sehen auf den ersten Blick sehr stabil und unchaotisch aus: ein strenger Diktator, dem alle gehorchen.
So gesehen ist es sehr problematisch, wenn die SPÖ "Stabilität statt Chaos" plakatiert:
Auch die "Anstand"-Phrase hat etwas zutiefst undemokratisches: "wir sind die Anständigen, alle Anderen sind die Unanständigen"
Wer so argumentiert und wahlkämpft, hat möglicherweise Demokratie nicht verstanden. Oder ist zu sehr verbildet von Michael Häupl und seiner Tradition: "Wahlkampf ist die Zeit der fokussierten Unintelligenz."
Gerade Rendi-Wagner mit ihrem teil-britischen Hintergrund sollte wissen, dass Freiheit der Einzelnen (wie im britischen Parlament) chaotisch aussehen kann, dass hingegen Stabilität oft "Friedhofsruhe" ist.
Oder vielleicht ist das auch nur ein Werbeslogan, den eine Werbeagentur ausgewählt hat, und den sich Rendi auf s Aug´ drücken liess, so ähnlich wie Strache sich das Ibiza-Video aufs Aug´drücken liess.