Nachdem ein offensichtlich FPÖ-naher Blogger hier einen Angriff auf die neue Verteidigungsministerin Tanner startete, ohne ihr die traditionelle Hundert-Tage-Schonfrist zu gewähren, möchte ich einmal die Gegenfrage stellen:
Wie fähig oder unfähig war ihr Vorvorgänger, Mario Kunasek von der FPÖ gewesen ?
1.) Kunasek hatte jedenfalls keine Initiativen gestartet, um die wahrscheinlich verfassungswidrige Volksbefragung von 2013 zu den Themen Wehrpflicht, Berufsheer, Zivildienst und freiwilliges Sozialjahr zu wiederholen.
Die Problematik dieser Volksbefragung war in der Vermanschung zweier verschiedener Fragen gelegen: der Frage "Berufsheer oder allgemeine Wehrpflicht ?" und der Frage "verpflichtender Zivildienst oder freiwilliges Sozialjahr ?".
Da in Österreich wegen der Neutralität die Armeefrage sowieso keine Rolle spielt, weil Österreich durch einen NATO-Schutzschild umgeben ist, dominierte erwartungsgemäß der Zivildienst die Volksbefragung.
Und die zahlrenmäßig dominante ältere Generation, die den billigen Zivildienst behalten wollte, war zahlenmäßig viel größer als die unter 20-Jährigen, für die die Wehrpflicht, inwelcher Form auch immer eine Rolle spielte.
Von den vier möglichen Zweierkombinationen (Berufsheer-Zivildienst, Berufsheer-Sozialjahr, Wehrpflicht-Zivildienst, Wehrpflicht-Sozialjahr) wurden nur zwei als Antwortmöglichkeit angeboten, die anderen Zwei nicht.
Die erfolgversprechendste Variante Berufsheer-Zivildienst wurde nicht als Antwortmöglichkeit angeboten.
Ich habe schon in früheren Blogs Rechenbeispiele angeführt, aus denen hervorgeht, dass eine Mehrheit für das Berufsheer sein kann, dass aber dennoch eine Mehrheit für die Kombination Wehrpflicht-Zivilidienst herauskommt.
In Deutschland praktizieren die Landesgerichtshöfe in Fragen von Volksabstimmungen und Volksbefragung das Koppelungsverbot, d.h. ein Verbot, verschiedene Fragen durch die Fragestellung zu vermischen, sodass mit hoher Wahrscheinlichkeit unvalide, also ungültige Ergebnisse herauskommen.
Dann bestimmen nämlich die Fragesteller durch die Fragestellung und durch die Vermischung verschiedener Themen den AUsgang der Volksbefragung und nicht das Volk, was der deutschen Verfassung genauso wiederpricht wie der österreichischen mit ihrem §1 "Österreich ist eine Demokratie, ihr Recht geht vom Volke aus"
2.) Durfte Mario Kunasek überhaupt von der FPÖ-Parteidoktrin, die Neutralität vorschrieb, abweichen und das andenken und vorschlagen, was er selbst vielleicht für richtig hielt oder nicht ?
Wir wissen es eigentlich nicht genau. Weder hat Kunasek die FPÖ-Parteilinie verlassen, noch hat er sie gutgeheissen. Er hat nur einfach jahrelang nichts gesagt, was entweder eine eindeutige Verletzung der Parteilinie oder eine eindeutige Gutheissung der Parteilinie war.
DIe österreichische Neutralität, die die FPÖ in den letzten Wahlkämpfen gutgeheissen und vertreten hat, stammt aus dem Jahr 1955, also einer Zeit, in der Europa (auch Deutschalnd und Berlin) geteilt war in zwei Blöcke, einen Ostblock (WaPa) und einem Westblock (NATO), zwischen denen man tatsächlich neutral sein konnte. ("Ne utral" bedeutet: "Keines von Beiden sein" ).
Aber heute gibt es nur mehr einen einzigen Block, der Österreich in alle Himmelsrichtungen umgibt, nämlich die NATO, weil viele frühere WaPa-Mitglieder der NATO beigetreten sind, die Nachbarländer Österreichs waren.
Hat Mario Kunasek ein einziges Mal in seiner Zeit als Verteidigungsminister die Anpassung der österreichischen Neutralität an die geänderte militärpolitische Lage in den letzten 65 Jahren vorgeschlagen ?
Nein, hat er nicht, durfte er vielleicht auch gar nicht wegen der FPÖ-Parteidoktrin, die nicht er festgelegt hat, sondern die vielleicht sogar gegen seinen Willen und gegen Seine Überzeugung festgelegt wurde.
3.) eine Kompetenz im Fachbereich ist nicht die einzige Voraussetzung dafür, ein kompetenter und erfolgreicher Minister oder Ministerin zu werden; z.B. juristische oder historische Kompetenz kann in allen Ressorts hilfreich sein. Hingegen kann ein Unteroffizier ohne juristischen Abschluss und ohne juristische Kompetenz und ohne historische Kompetenz (wie möglicherweise Kunasek) unter Umständen ein sehr schlechter MInister sein, obwohl er "vom Fach" ist.
4.) Auch Kunasek kritisierte nicht die Beschaffung von Soldatentransport-LKWs in großer Zahl, die sich als völlig überdimensioniert erweisen könnte, wenn es doch noch zu einem Umstieg auf ein Berufsheer kommt.
Eigentlich tue ich mir schwer, Kunsek zu kritisieren, weil ich weiss, dass man es als Vertreter der Bundesländer (in diesem Fall der Steiermark, sowohl Kunasek als auch ich haben einen Steiermark-Bezug) in Wien unter Umständen sehr schwer haben kann.
Und man muss es Bundesländerpolitikern und -innen, die einen weiten Weg nach Wien haben und vielleicht getrennt von ihren Familien leben müssen, hoch anrechnen, dass sie das tun, was sie tun.
Und solange Kunasek Minister war, habe ich ihn nie diesbezüglich kritisiert.
Aber der ziemlich unqualifizierte Angriff des Bloggers führte dazu, dass ich meine traditionelle Zurückhaltung, Kunasek zu kritisieren, aufgab.
CC / Karl Gruber https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesregierung_Kurz_I#/media/Datei:16-07-05-Mario_Kunasek-KG_6051.JPG
Wie unfähig war FPÖ-Verteidigungsminister Mario Kunasek, der weder die problematische Berufsheer-Wehrpflicht-Sozial-Zivildienst-Volksbefragung von 2013 kritisiert hatte, noch die österreichische Neutralität und ihre Überholtheit durch Zusammenwachsen von NATO und WaPa-Mitgliedern, noch die Beschaffung von Material für ein Truppentransport-LKWs für eine Wehrpflichtigen-Armee, die sich im Falle eines Umstieges auf Berufsheer als viel zu teuer und überdimensioniert erweisen könnte ?