Die EU ist ja traditionell so eine Art französische Diktatur, und als nunmehr nach dem Brexit einziges EU-Land mit ständigem Sitz im UNO-Sicherheitsrat mit Vetorecht gegen Alles hat Frankreich eine sehr starke Position, die ihm vielfach ermöglicht, der EU die Politik aufzuzwingen.
Quasi, um den Verlust des französioschen Kolonialreichs (verlorene Kriege in Algerien und Indochina in den 1950er- und 1960er-Jahren) zu kompensieren, verschaffte sich Frankreich die EU als eine Art Ersatzkolonie.
Diese französische Dominanz, insbesondere im Wirtschafts- und Handelssektor, stösst immer wieder auf Widerstand von Politikern und -innen anderer europäischer Länder:
So meinte die frühere schwedische EU-Handelskommissarin Malmström: "To understand the EU, one must be a genius or french". ("Um die EU zu verstehen, muss man ein Genie sein oder ein Franzose" ).
Tatsächlich hat Frankreich auch wegen des Brexit, wegen des Austritts des einzigen nicht-französischen permanenten UNO-Sicherheitsratssitzes mit Vetorecht eine ungeheuer starke Position und kann dem Rest der EU seine Position vielfach aufzwingen, so als wäre der Rest der EU eine Art französische Kolonie - die EU ist sozusagen der Kolonieersatz für Frankreich, seit das französische Kolonialreich zerfallen ist, zum Beispiel mit den französischen Niederlagen im Algerienkrieg oder im Indochina-Krieg der 1950-er Jahre.
Zahlreiche Wirtschaftswissenschafter gehen davon aus, dass die französische Blockadepolitik der EU schweren Schaden zufügte und zufügt, das Wirtschaftswachstum in der EU stark verlangsamte und die EU sehr verwundbar machte gegenüber internationalen Preisschocks, wie zum Beispiel dem sprunghaften Anstieg des Getreidepreises in der Folge des Ukrainekrieges.
Wenn Frankreich nicht seine eigenen Bauern oder Agrarindustriellen "beschützt" hätte (und dazu alle Anderen schädigte), dann würde heute wahrscheinlich der Mercosur-Vertrag mit Südamerika in Kraft sein und mit diesem Vertrag wäre der Getreidepreisanstieg in Folge des Ukrainekrieges vermutlich wesentlich geringer gewesen.
"Warum Frankreich die EU-Wirtschaft lähmt" - youtube-Video von Grant Gallagher/VisualEkonomik EN. Dieses Video geht auch ein darauf, dass die französische Blockadepolitik oftmals rhetorisch nur auf Vorwänden beruht - so wurde zum Beispiel das Mercosur-Abkommen mit Südamerika von Frankreich blockiert mit dem Argument/Vorwand, der frühere brasilianische Präsident Bolsonaro sei ein "böser Rechter" und Regenwaldabholzer, ohne dass die französische Blockadepolitik sich änderte, als es in Brasilien einen Machtwechsel weg von Bolsonaro und hin zu Lula Da Silva gab, der wesentlich ökologischer denkt und handelt.
Ein weiterer Aspekt der Frankreich-Diktatur innerhalb der EU ist die extrem hohe Subventionierung der französischen Bauern und Agrarindustriellen über verschiedene EU-Fonds.
Die genauen Daten über die Verteilung der EU-Gelder in der Landwirtschaft sind Geheimsache, und genaue Daten darüber sind nicht erhältlich, vermutlich deswegen, weil ein Bekanntwerden dieser Daten eine anti-französische Revolte verursachen könnte.
Ich habe aber, so gut es anhand der erhältlichen Daten eben ging, eine Statistik zur Landwirtschaftsförderung pro Person innerhalb der EU aus anderen, erhältlichen Statistiken hochgerechnet - diese Hochrechnung ist mit einer gewissen Unsicherheit verbunden und die Daten könnten speziell, was die Kleinstaaten betrifft, anders aussehen.
Aber die Statistik der Pro-Kopf-Agrarförderung aufgeschlüsselt nach Ländern, ist ungefähr folgende:
Dieter Knoflach
Die Pro-Kopf-Agrarförderung in den drei Spitzenreitern Irland, Schweden und Frankreich (wobei Frankreich wegen der Größe der in absoluten Zahlen größte Brocken ist) ungefähr das zweieinhalbfache des EU-Schnitts, ungefähr das 20-Fache von Slowenien, ungefähr das 17-fache von Lettland, ungefähr das 9-fache von Rumänien, ungefähr das 6-Fache von Estland und Bulgarien, ungefähr das 4-Fache von Portugal und Niederlande, ungefähr das 3-Fache von Italien, ungefähr das Doppelte von Kroatien und Ungarn.
Die Behauptung von deutschen Rechtspopulisten, die EU-weit fünfthöchsten Agrarsubventionen (nach dieser Hochrechnung) in Deutschland wären noch zuwenig, wird bei allen halbwegs Vernunftbegabten wohl nur Kopfschütteln auslösen.
Diese Unterschiede ergeben sich auch daraus, dass es auf EU-Ebene gar keine "Bauernförderung" gibt, wie Verfälscher behaupten, sondern eine "Agrarflächenförderung": wer mehr Fläche hat, bekommt proportional (nicht degressiv!) mehr Förderung.
Dass zum Beispiel französische und deutsche Bauern/Agrokonzerne wesentlich größere Flächen haben, ist ein Aspekt dafür, warum sie mehr Förderung bekommen.
Wenn heute deutsche Rechtspopulisten bzw- Rechtsextremisten die Forderung erheben, deutsche Bauern bzw. deutsche Agrokonzerne müssten genauso wie Frankreich die mit Abstand höchsten Förderungen in Europa erhalten, dann agieren sie zwar populistisch, aber unvernünftig, denn diese Agrarförderung nutzt kaum den Kleinbauern, wie fälschlicherweise behauptet, sondern vorwiegend den großen Agrarkonzernen, die überteuerte Produkte herstellen, weil eben die französische Politik den Markt abschottet, und das Hereinfliessen von billigeren und für die Konsumenten und -innen günstigeren außereuropäische Produkten verhindert.
Auf der anderen Seite verhindert diese protektionistische Politik auch die Entwicklung von südamerikanischen und afrikanischen Staaten, bei denen oft Agrarprodukte ein wichtiger Exportartikel wären, wenn da nicht der speziell von Frankreich betriebene Protektionismus wäre.
Dieses Erwürgen der südamerikanischen und afrikanischen Wirtschaften durch den EU-Protektionismus verursacht auch und sehr wesentlich nach dem Motto "Wenn ihr unsere Produkte verweigert, bekommt ihr unsere Menschen" Flüchtlingswellen, zum Beispiel aus Afrika, die dann wiederum den Rechtspopulisten und Rechtsextremisten Auftrieb geben. Durch die Forderung nach mehr Protektionismus und Erhöhung der Landwirtschaftssubventionen verursachen die Rechtsextremisten also die Flüchtlingswellen, über die sie sich dann hinterher beklagen und von denen sie wahltaktisch profitieren - ein klassischer Fall, wie man den Bock zum Gärtner macht.
Der richtige Vorschlag zur Reform der EU-Landwirtschaftssubventionen muss daher genau das Gegenteil von dem seiner, was deutsche Rechtsextremisten bzw- Rechtspopulisten in ihrer üblichen Verlogenheit fordern: nicht die deutschen Subventionen müssen auf das bizarr hohe französische Niveau erhöht werden, sondern die französischen (und vielleicht die von ein oder zwei diesbezüglich ähnlichen Kleinstaaten) müssen in Richtung EU-Durchschnittsniveau gesenkt werden.
Diese extremen Unterschiede (hoch geförderter Westen - kaum geförderter Osten) bergen nämlich auch Spaltungsgefahr für die EU, die Gefahr neuer EU-Austritte, ähnlich dem Brexit. Auch beim Brexit dürfte die in GB traditionelle Ablehnung gegenüber der immens hohen französischen Agrarsubventionierung eine Rolle gespielt haben, ebenso wie die starke Freihandels-Orientierung in GB, die das Gegenteil des französischen Protektionismus ist. In GB gibt es kau, Landwirtschaft und kaum Landwirtschaftsförderung, und gerade den Briten mißfällt es extrem, hohe Zahlungen an die EU leisten zu müssen, um dann hinterher überteuerte, insbes. französische Agrarprodukte beziehen zu müssen, während sie ähnlich Agrarprodukte aus Südamerika oder Afrika viel billiger beziehen könnten.
Auch um den logischen und längst überfälligen Machtverlust für Frankreich wegen der bisherigen Osterweiterungswellen zu boykottieren, legt sich Frankreich immer wieder gegen weitere Osterweiterungen quer, zum Beispiel bzgl. Nordmazedonien, Bosnien.
Eine Umstellung der Flächenförderung zu oder einer in Richtung mehr Personenförderung im Agrarbereich ist eher eine Forderung von Mitte-Links-Parteien oder Linksparteien und wurde bisher auf EU-Ebene immer von der EVP blockiert.
Die Gelder, die auf EU-Ebene für französische Agrokonzerne verwendet bzw. verschwendet (obwohl man die Produkte aus dem Rest der Welt billiger bekäme), fehlen natürlich für wichtigere Dinge, zum Beispiel Forschung und Entwicklung, Industrieentwicklung, etc.
Auch das ist ein wesentliches Wachstumhindernis, das zur Eurosklerose, also zur Verknöcherung und Verkalkung der EU in ineffiziente Wirtschaftsstrukturen und zu mangelnder wirtschaftlicher Dynamik beiträgt.
Quellen:
EU-Parlament https://www.europarl.europa.eu/resources/library/images/20211123PHT17903/20211123PHT17903_original.jpg
Frankreich: die mit Abstand höchste Agrarförderung in Europa (oben), aber gleichzeitig mit relativ wenigen Bauern und Agroindustriellen im EU-Vergleich (unten)
EU-Parlament https://www.europarl.europa.eu/resources/library/images/20211123PHT17903/20211123PHT17903_original.jpg