Die US-Präsidentschaftswahlen von 2016 lieferten einen Rekord: nie zuvor war es einem US-Präsidentschaftskandidaten gelungen, mit mehr als einer halben Million Stimmen Rückstand (dieser Fall war im Jahr 2000 bei Bush Jr. gegen Gore aufgetreten), eine Mehrheit der Elektoren zu erreichen. Trump und seine Wahlkampfleiterin Kelly-Anne Conway hatten durch geschickte Konzentration von Wahlkampfmitteln auf die Staaten, in denen das Rennen knapp war, in Kombination mit der traditionellen Begünstigung der Kleinstaaten geschafft, mit fast drei Millionen Stimmen weniger als Hillary Clinton mehr Elektoren (Wahlleute, bei US-Präsidentschaftswahlen gilt indirektes Wahlrecht) zu erreichen. Die Begünstigung der kleinen US-Bundesstaaten ergibt sich daraus, dass die Anzahl der Elektoren als Summe der Anzahl der Repräsentanten und der Anzahl der Senatoren eines jeden Bundesstaats festgelegt ist. Und im Senat haben alle Staaten zwei Vertreter, egal, wie bevölkerungsreich sie sind. Deswegen haben kleine Bundesstaaten mehr Elektoren pro Million Einwohner als große Bundesstaaten. Diese AUfwertung der kleinen Bundesstaaten kann aus föderalistischen Gründen durchaus gerechtfertigt sein, auch in österreichischen Gesetzen ist verankert, dass die kleinen Bundesländer (Burgenland, Vorarlberg) mindestens drei Bundesräte bekommen müssen, auch wenn ihnen aufgrund der reinen Bevölkerungszahl nur ein oder zwei zustanden bzw. zustehen (was in der Vergangenheit durchaus der Fall war).
Somit stellt sich die Frage: wieviel geht noch ? Was ist der maximale Stimmen-Rückstand, den ein Kandidat haben kann, mit dem er trotzdem mehr Elektoren erreichen und Präsident werden kann ?
Die Antwort dürfte ziemlich genau 23.02% oder 74 Millionen Stimmen Rückstand (bei derzeitigen Bevölkerungsverhältnissen) sein. Wenn Kandidat A 23.02% der Stimmen hat und Kandidat B 76.98%, dann kann Kandidat A trotzdem oder deswegen mehr Elektoren erreichen, nämlich 271, während Kandidat B nur 267 erreicht.
Und zwar wie folgt: B gewinnt in den Staaten California, Florida, Georgia, Illinois, Michigan, New York, North Carolina, Ohio, Pennsylvania, Tennessee und Texas alle Stimmen; hingegen Kandidat A gewinnt in allen anderen Staaten 50,1% der Stimmen.
Dann erhält A 31.578 Millionen Stimmen und 271 Elektoren und B 105.547 Millionen Stimmen und 267 Elektoren.
Bei diesem rein theoretischen Rechenbeispiel habe ich die Wählerzahlen und Elektorenzahlen der Wahl 2016 genommen und aus Gründen der Vereinfachung das "Winner takes all"-Prinzip (wer eine relative Stimmenmehrheit hat, bekommt alle Elektoren des Bundesstaats) auch auf die Bundesstaaten Nebraska und Maine übertragen, die in Wirklichkeit mehrere Wahlkreise haben.
Hier die Tabellenkalkulationsdaten für die einzelnen Bundesstaaten in unschöner Formatierung, weil FUF keine Excel-Formate oder ähnliche kennt:
SumElec Votes A B ElecA ElecB
Alabama 9 2123372 1061687 1061685 9 0
Alaska 3 318608 159305 159303 3 0
Arizona 11 2604657 1302329 1302328 11 0
Arkansas 6 1130635 565318 565317 6 0
California 55 14237893 0 14237893 0 55
Colorado 9 2780247 1390124 1390123 9 0
Connecticut 7 1644920 822461 822459 7 0
Delaware 3 443814 221908 221906 3 0
D. C. 3 311268 155635 155633 3 0
Florida 29 9502747 0 9502747 0 29
Georgia 16 4141447 0 4141447 0 16
Hawaii 4 428937 214469 214468 4 0
Idaho 4 690433 345217 345216 4 0
Illinois 20 5594825 0 5594825 0 20
Indiana 11 2757965 1378983 1378982 11 0
Iowa 6 1566031 783016 783015 6 0
Kansas 6 1194755 597378 597377 6 0
Kentucky 8 1924150 962076 962074 8 0
Louisiana 8 2029032 1014517 1014515 8 0
Maine 4 747927 373964 373963 4 0
Maryland 10 2781446 1390724 1390722 10 0
Massachusetts 11 3325046 1662524 1662522 11 0
Michigan 16 4824542 0 4824542 0 16
Minnesota 10 2945233 1472617 1472616 10 0
Mississippi 6 1211088 605545 605543 6 0
Missouri 10 2828266 1414134 1414132 10 0
Montana 3 501822 250912 250910 3 0
Nebraska 5 844227 422114 422113 5 0
Nevada 6 1125385 562693 562692 6 0
New Hampshire 4 744296 372149 372147 4 0
New Jersey 14 3906723 1953362 1953361 14 0
New Mexico 5 798319 399160 399159 5 0
New York 29 7721795 0 7721795 0 29
North Carolina 15 4741564 0 4741564 0 15
North Dakota 3 344360 172181 172179 3 0
Ohio 18 5536547 0 5536547 0 18
Oklahoma 7 1452992 726497 726495 7 0
Oregon 7 2001336 1000669 1000667 7 0
Pennsylvania 20 6166729 0 6166729 0 20
Rhode Island 4 464144 232073 232071 4 0
South Carolina 9 2103027 1051514 1051513 9 0
South Dakota 3 370093 185047 185046 3 0
Tennessee 11 2508027 0 2508027 0 11
Texas 38 8993166 0 8993166 0 38
Utah 6 1143601 571801 571800 6 0
Vermont 3 315067 157534 157533 3 0
Virginia 13 3982752 1991377 1991375 13 0
Washington 12 3316996 1658499 1658497 12 0
West Virginia 5 721233 360617 360616 5 0
Wisconsin 10 2976150 1488076 1488074 10 0
Wyoming 3 255849 127925 127924 3 0
Total 538 137125484 31578131 105547353 271 267
Votes 0,2302863777 0,7697136223
Donald Trump erhielt ja durchaus Anerkennung dafür, dass er in Sachen Nordkorea mit einer Madman-Strategie einen aussenpolitischen Erfolg erzielt zu haben scheint, aber auch das US-Wahlsystem hat aus Sicht eines Europäers, insbesondere eines Mitteleuropäers auch etwas von Madman.
Allerdings sind fast identische Resultate auch in Großbritannien möglich, und ähnliche in Frankreich mit seinem Mehrheitswahlsystem.
Gemeinfrei / Mitarbeiter des Executive Office of the President of the United States https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Official_Portrait_of_President_Donald_Trump.jpg
US-Präsident Trump (hier vielleicht in Anbetracht des Wahlergebnisses grinsend) erhielt mit 3 Millionen Stimmen weniger 70-80 Elektoren mehr als seine Gegenkandidatin Hillary Clinton.
Wie hoch kann der Stimmenrückstand werden, damit man trotzdem mehr Elektoren haben kann ?
(Alle Rohdaten von David Leip´s US-Elections-Atlas)
Noch einmal zum Thema Umfrageinstitute und wie weit sie daneben liegen: Hillary Clinton wurde ja von fast allen Meinungsforschungsinstituten ein Riesenvorsprung und ein sicherer Wahlsieg prognostiziert: das mag nicht nur Absicht sein, sondern das kann auch eine deformation professionelle sein: viele US-Meinungsforschungsinstitute haben universitären Hintergrund, aber in den Universitäten hatte Clinton einen Vorsprung. Wenn Meinungsforscher selbst mit Clinton sympathisieren, dann kann es passieren, dass sie Daten falsch interpretieren, und falsche Prognosen liefern, auch deswegen, weil sie die korrekten Prognosen bzw. korrekten Hochrechnungen aus den Rohdaten für absolut unmöglich halten.
Und das kann der Grund sein, warum die Meinungsumfragen so ausfielen, wie sie eben ausfielen, was eben die Wähler und -innen von Clinton bis zu einem gewissen Grad zum Zuhausebleiben verleitete, wodurch Trump die Wahlen gewinnen konnte.
Das das US-Wahlsystem so ist, wie es eben ist, hat historische und verfassungsrechtliche Gründe: Ende des 18. Jahrhunderts gab es keine Telekommunikation, und die Wahlmänner waren diejenigen, die mit Pferd nach Washington reiten mussten, um dort das Wahlergebnis ihres Bundesstaats zu verkünden. Verankert wurde das in der Verfassung, und die US-Verfassung ist sehr schwer änderbar.
Eine Möglichkeit, es zumindest zu versuchen, wäre ein Wahlboykott durch die Demokraten; dass die Demokraten einen derartigen Wahlboykott bisher nie machten, weist darauf hin, dass sie das sie benachteiligende System als nicht so schlimm betrachten, obwohl manche Demokraten es kritisieren, wie z.B. Barbara Boxer nach (!!!) der letzten Präsidentenwahl.
Auch wenn ich dem US-Präsidentenwahlsystem kritisch gegenüberstehe, so glaube ich doch, dass das US-Wahlsystem auf anderen Ebenen (SMS, Single-member-per-district) durchaus positiv insofern ist, als es den Abgeordneten sehr viel Möglichkeiten gibt, auch gegen die Linie der eigenen Partei zu stimmen. Das US-Wahlsystem ist das mit dem geringsten "Clubzwang".