Ein zentrales Element der russischen Kriegspropaganda ist die Behauptung, der Westen, also insbesondere USA und GB, wären antirussisch und pro-ukrainisch.
Dabei werden nicht nur die zahlreichen anderen Kriege ausgeklammert und vertuscht, die Russland in den letzten 25 Jahren führte, wie zum Beispiel der Tschetschenienkrieg 2000, der Georgienkrieg 2008 und der Syrienkrieg 2015, sondern es werden auch zahlreiche Ereignisse rund um die Ukraine völlig falsch interpretiert.
Im Budapester Memorandum von 1994 einigten sich USA, GB, Russland und Ukraine auf einen Deal, den man als ziemlich faul betrachten kann und der im Wesentlichen aus folgenden Punkten bestand:
1.) die Ukraine gibt im Zuge der vom russischen Präsidenten Jelzin angestossenen Sowjetunionsauflösung die Atomwaffen aus sowjetischen Zeiten an Russland.
2.) Dafür erhält die Ukraine vage und nichtssagende Sicherheitszusagen von USA und Großbritannien und Russland, die eigentlich nichts bedeuten, weil der Begriff der "Sicherheitszusage" ein völlig neuer war, der sich vom bis dahin üblichen Begriff der "Sicherheitsgarantie" unterschied.
3.) Es handelt sich eigentlich bloß um ein Memo, ein Memorandum und keinen Staatsvertrag, sodass sich die Frage der völkerrechtlichen Bindungswirkung stellt. Mit dem Begriff des "Memorandum", das eigentlich "Erinnerung" bedeutet, wird normalerweise an alte Rechtsbestände und Vertragsbestände erinnert, aber es werden normalerweise nicht neue Rechtsbestände geschaffen.
Dass Russland/Putin sich nicht so verhielt, wie dieses Memorandum es nahelegte, war so gesehen möglicherweise keine Völkerrechtsverletzung (aber unehrlich kann es trotzdem gewesen sein).
Diese drei Großmächte (USA, GB, Russland) haben damit die Ukraine massiv geschwächt, indem sie die ukrainischen Waffen an Russland verschoben.
Weiters haben USA und GB nach dem russischen Überfall auf die Ostukraine 2014 oder auf die Gesamtukraine 2022, der unvereinbar war mit dem Budapester Memorandum, keine Rückgängigmachung dieses Memorandums verlangt, also keine Wiederherstellung des Status quo Ante, also des vorherigen Zustands. Ausgehend vom "Gleichgewicht des Schreckens" (niemand startet einen Angriffskrieg, wenn er weiss, dass der Andere mit Atomwaffen zurückschiesst) kann man annehmen, dass die Angriffe Putin-Russlands auf die Ukraine 2014 und 2022 nicht erfolgt wären, wenn die Ukraine diese Waffen damals behalten hätte.
Dass ein paar Briten im Zuge des Krieg in der Ukraine von russischen Kräften gefangengenommen wurden, wurde von der russisch-putinistischen Kriegspropaganda massiv hochgespielt und als Beweis des anti-russischen Verhalten Großbritanniens dargestellt.
Aber dieselbe russische Propaganda verschweigt alle Argumente, die genau gegenläufig sind, zum Beispiel diejenigen in Zusammenhang mit dem Budapester Memorandum, wie dargestellt. Wir wissen weiters nicht, welche Rolle die einzelnen Staaten bei der Erstellung dieses Memorandum spielten, aber da Russland der Hauptprofiteur dieses täuschenden und verfälschenden Memorandums ist, kann man annehmen, dass Russland die treibende Kraft dabei war, die Form des "Memorandums" zu wählen, und nicht eine rechtlich-bindendere Form wie die des Staatsvertrags.
Ebenfalls haben USA und Großbritannien in Syrien für das russisch-alawitisch-iranische Bündnis den Hauptteil der Aufgabe übernommen, den "Islamischen Staat" (IS, ISIS) zu bekämpfen, zum Beispiel durch Luftbombardements.
Auch diese pro-russischen bzw. pro-Assad- Maßnahmen von USA und GB wurden und werden von der russischen/putinistischen sowie von der syrisch-assadistischen Kriegspropaganda heute verschwiegen und vertuscht.
Der damalige Nicht-Protest von Russland-Syrien-Iran gegen die US-britischen Bombardements auf den IS wird vielfach von Völkerrechtlern und Experten als "stillschweigendes Einverständnis" verstanden, das die Handlungen von USA und GB völkerrechtlich erlaubt macht, während die russisch-syrisch-iranische Propaganda erst Jahre später begann, diese Handlungen von USA und GB als völkerrechtswidrig einzustufen, in Vertuschung der früheren ost-westlichen Allianz gegen den IS.
Auch die Frage des Hintergrunddeals, also des Gegengeschäfts, blieb weitgehend unthematisiert: man kann vermuten, dass Russland und Assad-Syrien damals in Geheimgesprächen USA und GB erlaubten, sich beim ostsyrischen Öl in den Kurdengebieten geringfügig zu bedienen, als Gegengeschäft für die US-britische Hilfe im Kampf gegen den gemeinsamen Feind IS.
Umso gravierender wäre es natürlich, wenn Russland und Syrien und ihre Medien diese damaligen Geheimgespräche und Geheimvereinbarungen vertuschen würden, und wenn Russland-Syrien nun USA und GB das vorwerfen würde, was damals zwischen Russland, Syrien, USA und GB vereinbart wurde.
"All ist fair in love and war" - "Im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt", heisst es ja, auch das Vertuschen früherer Zusammenarbeiten von R, Sy, US und GB in der heutigen russisch-syrischen Kriegspropaganda.
Auch wenn das Gedächtnis der meisten Leute kurz ist, auch wenn die Medien einen Hang zur tagesaktuellen Skandalisierung haben, und die ferne Geschichte oft verschweigen, so sollten wir genau diesen Fehler nicht machen, sondern uns erinnern, wie das damals war.
Auch und insbesondere dann, wenn das die Kriegspropaganda von Kriegsparteien, in diesem Fall von Russland und Syrien, widerlegt ....
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Auch wenn der Krieg und die drastischen Bilder emotionalisieren und uns am Erinnern hindern, so sollten wir uns erinnern, wie das damals früher wirklich war, und wir sollten nicht auf die verfälschende Propaganda von Kriegsparteien hereinfallen.
Denn dann werden wir Opfer der Kriegspropaganda, in einem ähnlichen, aber weniger drastischen Sinne, in dem die im Krieg Getöteten und Vergewaltigten Kriegsopfer werden.
Die Vergewaltigung im Krieg geht mit der Vergewaltigung der Wahrheit oft einher, daher der Spruch: "Das erste Opfer des Krieges ist immer die Wahrheit".
Auch wenn die Wahrheit durch die Kriegspropaganda oft überdeckt wird, so gibt es sie aber dennoch.
https://de.wikipedia.org/wiki/Budapester_Memorandum
CC / US Gov. Employee / Clinton Library https://de.wikipedia.org/wiki/Budapester_Memorandum#/media/Datei:Presidents_after_signing_the_Trilateral_Statement,_Moscow,_1994.png
US-Präsident Clinton, Russland-Präsident Jelzin und Ukraine-Präsident Krawtschuk (der damals noch hoffnungsvoll war), bei der Vorbereitung des Budapester Memorandums.